Oliver, wie bist du auf die Idee gekommen, 20 Monate mit Hund und Bulli durch Europa zu fahren?
Ich hatte schon lange den Wunsch, mit dem Bus unterwegs zu sein, ohne ein geografisches Ziel zu haben. Irgendwann war dann einfach der Zeitpunkt günstig. Als ich losfuhr, war Locke noch ein Welpe. Aber ich wusste, ich würde unterwegs viel Zeit für den Hund haben, um eine Bindung aufzubauen.
Du hast 26 Menschen aus 26 Ländern porträtiert. Wie bist du da rangegangen?
Zu Beginn der Reise haben wir uns vom Zufall leiten lassen. Das Ziel war allerdings klar: interessante Menschen und Geschichten zu finden. Oft haben mir Leute, die ich vor Ort getroffen habe, Tipps gegeben. Später haben wir dann ganz gezielt nach Menschen und Geschichten gesucht. Gefunden habe ich so zum Beispiel eine Frau in Irland, die davon lebt, dass sie anderen Menschen Geschichten erzählt. Wir haben Chili-Bauern in Südfrankreich besucht und finnische Goldsucher. Wir haben einen Mann getroffen, der den ersten Heißluftballon der damaligen Tschechoslowakei gebaut hat und heute die drittgrößte Ballonfabrik der Welt besitzt.
Und Locke immer dabei ...
Locke war oft ein Türöffner. Dass ich mit dem Bus und dem Hund länger durch Europa fahre, das hat viele Leute interessiert. Man kommt so leicht ins Gespräch.


Du hast viel erfahren über deine Protagonisten. Wie hast du das gemacht?
Es war ganz wichtig, dass ich sie nicht nur von sich erzählen ließ, sondern auch etwas von mir preisgab. Sonst wären die Geschichten nie so persönlich geworden. Voraussetzung dafür war auch, dass ich nicht für einen Tag komme und dann wieder fahre. Ich blieb mindestens drei oder vier Tage, oft sogar eine ganze Woche.
Wer von den Menschen, die du getroffen hast, hat dich besonders beeindruckt?
Zwei Frauen: zum einen eine junge Frau, die seit vielen Jahren in Palermo öffentlich gegen die Mafia kämpft. Sie hat mit Freunden zusammen eine Organisation gegründet, "Addio Pizzo", was so viel heißt wie "Tschüss, Schutzgeld". 80 Prozent der Ladenbesitzer in Sizilien zahlen noch immer Schutzgeld an die Mafia. Addio Pizzo hilft ihnen dabei, sich zu Wehr zu setzen. Diese Frau beweist wirklich großen Mut. Die zweite Frau, die mich sehr beeindruckt hat, ist eine fast achtzigjährige Dame, die ihr Leben lang in einem kleinen Haus am Jakobsweg lebt. Sie verbringt ihren Tag damit, dass sie an einem kleinen Schreibtisch vor der Tür sitzt und den Familienstempel in die Pässe der vorbeiziehenden Pilger drückt. Sie ist den Jakobsweg selbst noch nie gegangen. Sie hat Spanien noch nie verlassen. Sie sagt, das müsse sie auch gar nicht. Sie könne vor dem Haus sitzen und dennoch zufrieden und glücklich sein. Andere suchen ihr ganzes Leben nach etwas, nach einer Aufgabe, sie hat ihre längst gefunden. "Zeit ist das, was man aus ihr macht", sagt sie. Das war eine sehr schöne Begegnung.
Du hast auch Berühmtheiten getroffen, wie den Fußball-Helden Lionel Messi. Wie bist du mit ihm in Kontakt gekommen?
Ich habe lange als Redakteur bei einem Fußball-Magazin gearbeitet. Und ich hatte ihn vorher schon zwei Mal getroffen. Es war gar nicht so schwer. Oft ist es allerdings bei Fußballern so, dass sie überhaupt nicht so interessant sind, wenn man ihnen dann begegnet. Das ist auch bei Lionel Messi so. Aber das ganze Umfeld, seine Lebensgeschichte, wie er in Barcelona angekommen ist, das haben mir verschiedene Menschen erzählt. Zum Beispiel sein erster Trainer und sein Vater. So konnte ich das Puzzle Lionel Messi nach und nach zusammensetzen.
Wenn man so lange unterwegs ist, gibt es sicher auch unangenehme Begegnungen oder Erlebnisse ...
Eigentlich nicht. Ich denke, wir haben Glück gehabt. Vielleicht lag es auch daran, dass ich Locke dabeihatte, meine Alarmanlage auf vier Beinen.
In deinem Buch stehen Menschen im Vordergrund. Haben dich auch Landschaften beeindruckt?
Ja, Estland zum Beispiel. Es gibt dort unglaublich viel unberührte Natur. Dort sind wir mehr Elchen als Menschen begegnet. Und ich konnte viele Tage einfach mal für mich sein. Das habe ich sehr genossen.
Was ist das Besondere an einer so langen Reise mit einem Hund?
Der Vorteil am Reisen mit Hund ist einfach, dass man nicht allein ist, dass man seinen besten Freund dabei hat. Ohne Locke hätte ich die Reise wahrscheinlich nicht gemacht. Ich habe sie jedes Mal gefragt, wie es ihr in einem Land gefallen hat. Und meist hatte ich den Eindruck, dass sie recht zufrieden war. Am besten hat es ihr vielleicht auf den Kanaren gefallen, wo wir fast vier Monate überwintert haben. Wir mussten mit den Jahreszeiten reisen, weil wir keine Heizung an Bord hatten. Und Locke mag das Meer.
Was hast du mitgenommen aus Europa?
Es klingt vielleicht etwas allgemein, aber egal, wo ich hingekommen bin: In jedem Land bin ich herzlich empfangen worden und habe mich schnell heimisch gefühlt. Besonders in Alltagssituationen, zum Beispiel, wenn ich beim Mittagessen mit am Tisch sitzen durfte. Ich weiß nun, dass Heimat ein Gefühl ist und vor allem mit den Menschen zusammenhängt, denen man begegnet. Es gibt so etwas wie eine gefühlte Heimat, die man überall erleben kann.

Für GEO.de schreibt Oliver Lück die Serie "Naturtalente": www.geo.de/naturtalente. Seine Homepage: www.lueckundlocke.de.