Vielleicht werden Sie irritiert sein, wenn Sie im Hochberghaus auf 1200 Metern ankommen, noch ganz benommen von der steilen Serpentinenstraße, von diesem Geruch aus Kuh und Kupplung, von der Wahnsinnsaussicht ins Flachland und von Hüttenwirt Hermann Hüthmayr in seiner Lederhose und dem rot-weiß karierten Hemd, der vor die Tür tritt und sagt: "Griaß di! Hier oben bei uns sagen wir zueinander du." Aber vielleicht wirst du dich auch schnell daran gewöhnen, wenn der Hermann dir in der Stube mit den Hirschgeweihen an der mit Holz getäfelten Wand, dem Kachelofen und den geblümten Gardinen ein "Zirbenschnapserl" vor die Nase stellt, während der Sommertag in Lila- und Orangetönen hinter den Bergen verschwindet.
Am Kasberg, oberhalb des Almtals, das in Oberösterreich zwischen Linz und Salzburg liegt und sich bis an die steilen Felswände des Toten Gebirges hinein zieht, hat der Hermann schon vor vielen Jahren auf genau 1000 Meter Höhe einen sogenannten Du-Stein aufgestellt, einen großen Felsblock. An dem kommt jeder Besucher aus der Ebene vorbei und verliert seinen Nachnamen, sobald er die Aufforderung liest: "Jetzt sagt Du". Auf einer Holztafel daneben steht: "Ein schöner Brauch gilt hierzuland seit altersher und immerzu: Am Berg reicht man die Freundeshand und sagt einander Du." Herrlich ist das Du-Land: Kühler Wind streift selbst an heißen Sommertagen durch den Nadelwald und über die Almen oberhalb des Hochberghauses. Es genügt vollkommen, erst gegen Mittag loszumarschieren, schließlich bist du ja schon auf 1200 Metern, mitten in den Bergen. Der Blick wandert an den sanft auslaufenden Bergflanken hinunter ins Tal. Die Luft duftet nach Tannenzapfen. Eine gute halbe Stunde dauert es bis zur Kasbergalm. Senner Jürgen Flachberger, ein kräftiger 35-jähriger Naturbursche mit Vollbart, sagt "Griaß di" und serviert ein Holzbrett mit Butter, Brie, Schnittkäse, Sauerteigbrot und ein Glas Holundersaft-Schorle. Dann sagt er, den Blick auf den Käse gerichtet: "Wenn du Stress hast, dann wird ein Käse nix. Der braucht halt seine fünf bis sieben Wochen."
Drei Sommermonate lang macht er Käse, Butter, Brot und Schnaps und zeigt Besuchern, wie das alles funktioniert. Und erst im Herbst, wenn die Kühe von der Alm zurück in die Dörfer getrieben werden, geht auch der Jürgen wieder ins Tal. Das Almtal und der Kasberg strahlen Gelassenheit aus, als würde sich das Leben dort nach einer guten alten Zeit richten. "Wenn etwas passiert in der Welt, dann kommt’s ins Almtal, da ist die Welt noch in Ordnung“, sagt der Hermann und erzählt, wie er auf die Idee mit dem Du-Stein kam. Vor 20 Jahren sei das gewesen, da sei ihm gemeinsam mit einem Freund aufgefallen, dass sich vor allem die Gäste aus Wien gesiezt und so eine gestelzte Sprache gesprochen hätten. "Da haben wir uns gefragt, was wir dagegen tun können, um den alten Brauch, dass man sich in den Bergen duzt, zu bewahren", sagt er in seiner Märchenerzählerstimme und zupft sein blaues Halstuch zurecht.
Niedergeschrieben ist der Brauch nicht, daher kann die Du-Grenze variieren: Meist liegt sie auf 1000 Metern, in den hohen Bergen Tirols manchmal aber auch auf 2000 Metern. Hermann sagt: "Überall, wo die Natur es erfordert, dass man zusammenhält, da duzt man sich eben. Man darf dabei nur den Respekt vor dem anderen nicht verlieren." Falls du es nach einer Weile am Kasberg nicht mehr aushältst, dann solltest du hinunter ins Sie-Land gehen, nach Grünau, auf 500 Meter Höhe. Auch dort gibt es einiges zu entdecken, etwa den Rad- und Wanderweg, der an der Alm entlang in den Talschluss führt, mit Badestellen, einladenden Restaurants und dem großzügigen Wildpark. Oder den grünblauen Almsee, auf dessen Oberfläche sich Felsen und Wald spiegeln. Das Schmelzwasser aus den Bergen hat eine Durchlaufzeit von zehn Tagen, wärmer als 14 Grad wird der See nie. Und doch: Radler und Wanderer, die mit erhitztem Kopf und Körper ankommen, zieht das klare Wasser magisch an, und dann: drei – Sie laufen los – zwei – atmen tief durch – eins – springen hinein, tauchen einmal unter und staksen schnell wieder raus. Dann stehen Sie da, in der Sonne, blinzeln und genießen das Prickeln auf der Haut und wissen: Es ist eines der besten Sommer-in-den-Bergen-Gefühle, die es gibt. Und jetzt sagen wir du zueinander!
Anreise, Unterkünfte und Erlebnisse
Anreise
Per Bahn ist das Almtal gut zu erreichen: Fernzüge fahren bis Wels, dann geht’s mit der regionalen Almtalbahn nach Grünau (www.gruenau-almtal.at).
Schlafen
Klausur- und Familienalm nennt "Du-Stein"- Erfinder Hermann Hüthmayr sein "Hochberghaus" und zeigt, dass Ruhe und spielende Kinder prima harmonieren (www.hochberghaus.at).
Das erste Haus im Tal ist wohl das gut gelaunt kitschige Romantikhotel Almtalhof. Beim Dinner auf der Terrasse ist das in der Region übliche "Du" dennoch unbedingt zu empfehlen (www.almtalhof.at).
Wohnen mit Privatstrand bietet die "Glückhütte" für bis zu acht Personen am Großen Ödsee. Mit dunkler Holzfassade und großem Balkon klemmt sie zwischen Ufer und Felswand; eine Treppe führt zum Steg. Hetzau, ca. 15 km südlich von Grünau gelegen (www.hetzau.at).
Erleben
Ein gemütlicher Wandertag zu den Almwiesen im Almtal beginnt am besten mit einem Frühstück unter freiem Himmel. Dann führt die "Kasberg-Almrunde" über die Käserei auf der Sonnenalm (donnerstags von 10 bis 14 Uhr dürfen Gäste beim Käsemachen und freitags beim Brotbacken zuschauen) zur Kasbergalm und weiter zur Sepp-Huber-Hütte. Geführte Touren hat z. B. der Tourismusverband im Programm, www.almtal.at.
Bären, Wölfe, Adler leben im "Wildpark Cumberland", einer Mischung aus Tier- und Freizeitpark, Abenteuerspielplatz und botanischem Garten. Grünau, www.wildparkgruenau.at.
Die Augen wandern lassen, über Schermberg, Großen Priel und andere Gipfel, während man auf der Terrasse einen Hütten- Hugo (gespritzten Holundersaft) trinkt. Viele Gäste im "Almtalerhaus" lassen das bereits als Tagestour gelten, einige, wie ich, machen sich tatsächlich auf den Weg durch schönste Natur. Hetzau bei Grünau, www.almtalerhaus.at.