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Auslöser Finanzkrise
"Meine Beförderung war der Tiefpunkt", sagt Ben Harper. Kurz danach machte der Wirtschaftsprüfer Schluss, Schluss mit 14 Stunden Arbeit am Tag, Wochenendschichten, einer unpersönlichen Branche und dem Londoner Großstadtleben. Er tauschte die britische Metropole gegen die sambische Hauptstadt Lusaka und die Wirtschaftsprüfung gegen Solarzellen.
Ben Harper ergatterte einen von 5000 Jobs, die über die Online-Plattform escapethecity.org bisher vergeben wurden. Sie hilft gestressten Wirtschaftsprüfern, Managern oder auch Krankenschwestern bei der Flucht aus der zermürbenden Arbeitswelt, hinein in einen Job, der ihnen Spaß macht, weniger Stress bereitet und meist in einer exotischen Gegend liegt.
Die Idee für die etwas andere Jobbörse hatten die Briten Rob Symington und Dom Jackman 2009. Nach dem Studium arbeiteten die Mittzwanziger als Unternehmensberater für Ernest & Young, schoben Tag für Tag Überstunden und fragten sich nach kurzer Zeit wofür. Sie wollten mehr vom Leben, fanden ihre Jobs nicht sinnvoll und kündigten – mitten in der Finanzkrise. Durch Gespräche mit Freunden und ehemaligen Arbeitskollegen merkten sie schnell, dass sie mit ihrer Einstellung nicht allein waren. Kurze Zeit später machten sie sich an die Entwicklung von "Escape the City". Das erste Jahr verbrachten sie damit Firmen anzusprechen, die sie als "cool" empfanden, und konnten fast 3000 Positionen akquirieren, vom Elefantenschützer in Namibia bis hin zur Leitung eines Postamtes in der Antarktis. Inzwischen haben sich aus dem subjektiven Empfinden der beiden, bestimmte Arbeitgeber seien "cool", die fünf sogenannten "Escape-Faktoren" geformt: unternehmerisches Können, positiver sozialer Einfluss, eine exotische Destination, ein interessantes Geschäftsmodell. Mindestens einen davon müssen die Anbieter erfüllen, um ihre Ausschreibung auf der Webseite platzieren zu dürfen. "Die Unternehmen zahlen zwischen 150 und 200 Euro für eine Anzeige, während die Suche für die Bewerber kostenfrei ist", erläutert Rob das Geschäftsmodell der Seite.

Neben Jobs bei Nicht-Regierungsorganisationen in Entwicklungsländern werden auch Stellen in Städten wie Moskau oder London angeboten. Steht das nicht im Gegensatz zu dem ursprünglichen Konzept? "Nein", sagt Rob. "Escape the city darf man nicht wörtlich nehmen. ‚City’ steht in Großbritannien oft für das Finanz-Distrikt einer Stadt. Es geht also mehr darum, dem Druck der großen Konzerne zu entkommen und etwas Erfüllendes zu tun, als der Stadt im physikalischen Sinne", erklärt er. Wie genau das Angebot den Nerv der Menschen zu treffen scheint, zeigt der Erfolg der Webseite. 120.000 Alternativen-Suchende zählt die Plattform inzwischen sowie 5000 Menschen, die mit Hilfe von escapethecity.org ihr Leben von Grund auf geändert haben.

Auch Jessica Barratt ist eine von ihnen. Schon als Teenie träumte sie von einem Job in der Musikbranche. Den bekam sie auch, tourte als Musikmanagerin sechs Jahre lang von Festival zu Festival, traf die Stars der Szene und fühlte sich am Ende des Tages doch leer. So wie Jessica beschreiben die meisten "Escapees" ihre Beweggründe für den drastischen Lebenswandel. "Ich stellte mir immer vor, wie ich meinen Kindern von meinem bisherigen Leben erzählen würde, und ich konnte mich einfach nicht damit anfreunden zu sagen: Ich bin in die Stadt gegangen und habe seitenlange Reports geschrieben, die am Ende fast niemand gelesen hat", sagt Ben Harper.
Ein Jahr später hat er bereits eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Ben ist inzwischen der Finanzdirektor des kleinen Unternehmens Zamsolar, das zum Ziel hat, besonders die abgelegenen Dörfer in Sambia durch Solarzellen mit Strom zu versorgen. Statt sich am Morgen in die volle U-Bahn zu quetschen und die Tage im Großraumbüro zu verbringen, ist Ben Harper viel in dem südafrikanischen Land unterwegs und freut sich über jede Zamsolar-Zelle, die den Menschen den Strom bringt, den sie zum Leben und zur Weiterentwicklung ihrer Geschäfte benötigen. "Ich arbeite mehr und verdiene schlechter als zu meiner Zeit in London, aber es ist so ein dankbarer Job, und ich sehe jeden Tag, was wir gemeinsam erreicht haben."
Volunteer auf Zeit
Nicht alle Jobs sind bezahlt und langfristig, es gibt auch die Möglichkeit, sich als freiwilliger Helfer auf Zeit zu engagieren wie Jessica Barratt. Sie kehrte der Musikindustrie den Rücken und ging für ein Jahr nach Mozambique. Dort unterrichtete sie hochbegabte Kinder – unbezahlt.
"Die Arbeit in Mozambique hat mich darauf gestoßen, was mir wirklich Spaß macht und mich erfüllt. Nun bin ich zurück in London und arbeite an meiner eigenen Organisation. Dabei möchte ich mich auf Kinder aus sozial schwachen Familien konzentrieren und ihnen durch ein Tutorenprogramm einen guten Start in die Schule ermöglichen", erzählt sie.

Während ihre Schützlinge dabei sind, sich überall auf der Welt neu zu finden, sind Rob und Dom noch immer in London. Doch auch sie haben sich mit escapethecity.org ein neues Leben aufgebaut. Inzwischen können sie von der Webseite leben, auch wenn sie viel mehr arbeiten als zuvor. "Ich bin schlicht und einfach viel glücklicher, auch wenn die vergangen drei Jahre eine Achterbahnfahrt waren", sagt Rob.