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Kolumne: Stimmwechsel Wie mir ein Influencer den Reise-Moment meines Lebens verdarb

Berggorilla
Jochen Schliemann (o.l.) und Michael Dietz (o.r.), Macher des größten Reise-Podcasts im deutschsprachigen Raum, berichten in der GEO Saison-Kolumne "Stimmwechsel" von ihren Abenteuern aus mehr als 100 Ländern.
© FCG / shutterstock
Reise-Podcaster Jochen Schliemann hat kein einziges Foto von sich mit den letzten Berggorillas, die er in Ruanda besuchte. Warum nicht? Fragen Sie den Influencer, der Schliemanns Lebenstraum ruinierte...

Charles kaut Bambus. Er mustert den blassen Schlaks in Trekking-Montur, vor den er sich gesetzt hat: mich. Charles ist ein Silberrücken, etwa 1,80 Meter groß, rund 200 Kilo schwer, muskulös, und eigentlich sollten mindestens sie­ben Meter zwischen dem Berggorilla und mir liegen. Hatte man mir morgens noch am Fuße der Virunga-Berge in Ostafrika eingeschärft. Charles ist das egal.

Jetzt ist der Moment also da. Einer der größten meines Reise-Lebens und sicher auch meiner neun Gruppengefährten aus aller Welt. Schon vor Monaten hatten alle die Gorilla- Erlaubnis für heute teuer erstanden, die Anreise hat Tage gedauert, der Aufstieg Stunden. Und wären die Tiere nicht aufgetaucht oder einer von uns erkrankt (Ansteckungsgefahr wegen der genetischen Ähnlichkeit), wäre alles vergebens gewesen. Die Demut vor diesem Moment ist riesengroß. Dachte ich.

Es hatte sich bereits beim Aufstieg angedeutet. Ein junger Kerl, mit einer Frisur wie der eines hippen Fußballers auf Instagram, hatte jeden seiner Schritte mit dem Endgerät festgehalten, um ihn sofort mit der Restwelt zu teilen. Auch Tourguide Frederick hatte er schon miteinbezogen. »Heute besuche ich die fantastischen Berggorillas. Was war das Tollste, was du je mit ihnen erlebt hast, Fred?« Der grinste verlegen und lief mit seiner Machete weiter.

Ohne Tourismus wäre der Schutz der Berggorillas nicht finanzierbar

Jetzt sitzt Frederick links hinter mir. Silberrücken Charles bricht sich noch einen Ast ab und schaut mich an. Als Kind hatte ich Fotobücher über diese Tiere. Ich könnte heulen vor Freude, aber rechts hinter mir raschelt es. Der Influencer setzt zum Selfie-Video an – von sich und dem Tier. Optimiert Winkel, Licht, Haare. »Ist das nicht unglaublich«, flüstert er in die Kamera. »Fred, was denkst du gerade? Fred?« – »Der Tourist ...« – »Ja?« – »Der Tourist zerstört, was er sucht«, sagt Fred. Stille.

Ich bin aus der Hocke hintenüber in eine Distel gefallen, was wehtut, aber ich sitze noch immer Auge in Auge mit einem der schönsten Lebewesen der Welt. So viel Anmut, Kraft, Würde und doch Fragilität. Ohne Tourismus wäre der Schutz der letzten Berggorillas nicht finanzierbar. Und ohne Menschen wäre dieser Schutz gar nicht nötig. Wo liegt die Grenze? Frederick tippt mir auf die Schulter. Unsere Zeit ist um. Er fragt, ob er ein Foto machen soll. Nein, danke. Als Charles im Busch verschwunden ist, mache ich ein Bild von der Stelle, wo er saß. Dann gehen wir zurück. Wie auf Wolken.

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