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Als die ersten Pendler aus dem Bahnhof Cais do Sodré strömen, entziehe ich mich dem Stress der Stadt. Ein sommerheißer Morgen in Lissabon. Die Brücke des 25. April liegt noch im Nebel, fahl fällt das Sonnenlicht auf den Bahnsteig. Ich höre Taxis hupen, Trams klingeln. Der Zug fährt ein, der Motor schnauft. Ich suche mir einen Fensterplatz, lege Badetuch und Sonnenhut neben mir ab. Es ruckelt und zuckelt, dann geht es los, der Urlaub beginnt.
Jeder Tourist hat seine eigene Vorstellung vom Paradies. Die einen streben nach dem ganz Großen, dem weißesten Sandstrand, der einsamsten Bucht, dem weitesten Horizont. Ich bin Pragmatikerin. Das Geräusch rauschender Wellen in den Ohren, das Gefühl von feinem Sand unter den Füßen erfüllen mich. Wirklich glücklich macht mich aber, wenn das Meer einfach in der Nähe, schnell und stressfrei erreichbar ist. Ein bisschen Stadt, ein bisschen Strand, so stelle ich mir den perfekten Urlaub vor. Und ich bin überzeugt: Ob Vouliagmeni bei Athen, Mondello bei Palermo oder eben Cascais bei Lissabon – zu jeder südeuropäischen Großstadt gehört ein Vorort, den es sich zu entdecken lohnt.
Hauptsache Schatten und etwas Wind vom Meer
Ich habe meine Vorliebe für den Urlaub in Suburbia zufällig entdeckt. Vor bald fünf Jahren verbrachte ich mit einer guten Freundin eine Woche in Palermo – mitten im Juli. Selbst die schweren Gemäuer am Quattro Canti schützten nicht vor der Hitze, die Marmorplatten vor dem Theater Massimo glühten noch weit nach Sonnenuntergang. Am zweiten Tag starteten wir den ersten Fluchtversuch. Wir fuhren nach Cefalù, mit dem Zug, denn für das Abenteuer Autofahren auf Sizilien fehlte uns der Mut. Die verschlafene Küstenstadt zählt sicher zu den idyllischsten Destinationen Italiens. Wenn ich aber an diesen Ausflug denke, sehe ich nur noch mich und meine Freundin im Zug sitzen, eingeklemmt zwischen vollbepackten Strandhändlern, den letzten Schluck Wasser aus der Flasche saugend, an jedem Bahnhof die Distanz bis zum Zielort berechnend. 70 Kilometer liegen zwischen Palermo und Cefalù, umgerechnet in sizilianische Zugstunden macht das eine halbe Ewigkeit.
Tags darauf hatten wir keine Ansprüche mehr, Hauptsache Schatten und etwas Wind vom Meer. Etwa 20 Kilometer westlich von Palermo zeigte Google Maps den nächst gelegenen Strand an, Mondello. Die richtige Haltestelle für den Bus dorthin fanden wir nicht sofort, aber das war nicht weiter schlimm: Die Verbindung verkehrt im 20-Minuten-Takt. Nach einer halben Stunde, ein paar steilen Kurven und viel dichtem Wald, zogen die ersten Jugendstil-Villen vorbei, tauchten kurz vor der Endhaltestelle der leuchtend weiße Strand mit seinen pastellblauen Badehäuschen und die mächtige Seebrücke mit seinem Kurhaus auf. Wer nach Mondello kommt, mag es mondän. Mir gefiel es auf Anhieb hier.
Ähnlich wie in Starnberg oder Hamburg-Blankenese ist in den Vororten, von denen ich schwärme, das Geld zuhause. Wer hier wohnt, kann es sich leisten, die Wirklichkeit auszublenden. Obwohl Sizilien zu den ärmsten Ecken Italiens gehört, werden in Mondello Villen für anderthalb Millionen Euro verkauft. Und, ja: Hinter manch glänzender Fassade läuft ein schmutziges Geschäft. Bis vor einigen Jahren zum Beispiel standen auf den Hügeln vor Mondello mehr als 200 Villen, illegal von der Mafia gebaut.

Die schönsten Entdeckungen liegen so nah
Der Wohlstand in den Vororten wirkt beständig. Eine Illusion, die selbst dort Bestand hat, wo die Finanzkrise am stärksten gewütet hat: in Griechenland. Als ich vor zwei Jahren das erste Mal nach Athen reiste, streikte gerade die Müllabfuhr. In der Straße, in der ich für ein paar Tage wohnte, hatte sich der Geruch von faulem Gemüse breit gemacht. Nachts jaulten die Katzen und die Sirenen der Feuerwehr. Es war Juli, es war heiß, statt auf die Akropolis wollte ich nur noch ganz schnell ans Meer.
Vouliagmeni liegt ungefähr 20 Kilometer südlich von Athen, auch hierhin fährt der Bus in regelmäßigem Takt. Das US-Reisemagazin „Monocle“ nannte die Vorstadt kürzlich den Schatz von Athens Riviera. Während andere Orte an dem Küstenstreifen am Mittelmeer mit Einkaufszentren und Hotelburgen zu betoniert wurden, konnte Vouliagmeni seinen Charme bewahren. Weiße Villen im sachlichen Stil der Sechziger Jahre, luxuriöse Strandclubs, die versteckt hinter überwucherten Mauern liegen, erinnern von der Prominenz vergangener Zeiten, als Frank Sinatra oder Jackie Onassis hier verweilten.
Dazwischen, gut zu finden und halbwegs erschwinglich: das öffentliche Strandbad "Akti Vouliagmenis“, an dem es die Tageskarte inklusive eigener Liege und Sonnenschirm vier Euro kostet. Das Gefühl, Urlaub wie Einheimische zu machen, gibt es gratis dazu. Ich hatte bei meinem Ausflug dorthin nicht die Öffnungszeiten überprüft und nach meiner Ankunft kurz vor neun Uhr zusammen mit den Stammgästen am Eingang warten müssen. Genau wie die betagten Damen, die ihre Föhnfrisuren mit Badekappen vor dem Salzwasser schützten, sicherte mich mir dann direkt eine Liege in der ersten Reihe. Genau wie die aufgekratzten Kinder, die ihre Ferien bei Giagiá und Pappoús – Oma und Opa – verbrachten, gönnte ich mir noch vor dem Mittagessen das erste Eis.

Unter Einheimischen am Strand
Die Vororte, von denen ich schwärme, eignen sich ideal für Touristen, die keine sein wollen. Hier bleiben, anders als an Urlaubszielen wie die Algarve oder Kreta, die Locals selbst in der Hauptsaison meistens unter sich. In Cascais, dem Vorort von Lissabon, wohnt zum Beispiel Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa. Jeden Morgen, so heißt es, gehe er hier schwimmen, ohne Leibwächter und ganz für sich. Überprüfen kann ich das Gerücht nicht – mein Zug kommt erst in Cascais an, als er wie alle Pendler längst zur Arbeit nach Lissabon aufgebrochen sind.
Fünf Minuten laufe ich vom Bahnhof Cascais, das berühmt ist für seine royale Vergangenheit, für seine eleganten Sommerschlösser und die Zuckerbäcker-Architektur, bis zum Strand. Der Weg ist gesäumt von Souvenir-Läden, in denen es Korktaschen aus China und Christiano-Ronaldo-Handtücher aus Bangladesch gibt. In einem der historischen Häuser hat sich ein McDonalds eingemietet. Ich laufe zielstrebig daran vorbei, vor bis zur Promenade. Von hier führen Stufen hinunter zum winzigen Strand. Dort, direkt in der Mitte ragt ein gigantischer Findling empor, in seinem Schatten ergattere ich noch einen Streifen Sand. Ziel erreicht, ich habe keine weiteren Ansprüche an diesen Tag.
Die Stunden verlaufen wie Make-Up in der Sonne, die Gedanken erreichen ihren Siedepunkt. Es ist bereits früher Abend, als mich das Gekicher aufgekratzter Teenager zurück ins Leben holt. Schulschluss, Partystimmung. In den Händen ploppen die Bierflaschen auf, aus den Musik-Boxen wummern die Bässe. In mir steigt eine Unruhe auf. Ich schaue auf mein Smartphone, kontrolliere meine Nachrichten. Mein Gastgeber fragt, ob ich heute Abend mit auf ein Konzert in einer neuen Bar am Largo Indendente komme. In einer Stunde geht es los. Ich rubble den Sand von Händen, tippe die Antwort ein. „Super gern, ich nehme den nächsten Zug“, schreibe ich. „Bis gleich!“
Tipps für Cascais, Mondello und Vouliagmeni
Drei Tipps für Mondello
Wenn die letzte Villa im Rückspiegel verschwindet und aus der breiten Straße ein holpriger Sandweg wird, dann dauert es nur noch ein paar Kurven, ehe Capo Gallo am Horizont auftaucht. Die idyllische Bucht liegt westlich von Mondello und fasziniert durch etwas, das im lange von der Mafia kontrollierten Westen Siziliens fast einmalig ist: einer unbebauten Küstenlandschaft. Auf den Felsen machen es sich im Sommer die Einheimischen bequem, der Weg über die glitschigen Steine ins Meer erfordert Geschick, wird aber mit einem Bad im extra kühlen, extra blauem Wasser belohnt.
Von außen sicher kein Hingucker, hinter den Vitrinen aber glänzt der Genuss: Das Touring Café am Strand von Mondello lockt mit einem umfassenden Angebot an sizilienanischer Snack-Kunst, alles frisch und leider auch alles extrem lecker. Süße Cannoli mit Ricotta, salzige Arancini mit Reis und Parmesan, und danach direkt dann ein Eis in der Brioche! (Viale Regina Elena 13).
In ihrer historischen Villa aus den 1930ern beherbergt Luciana ihre Gäste im The Turtles Bed and Breakfast, verwöhnt sie mit frischen Ciabatta und selbstgemachter Limoncello. Auf der schattigen, mit Pflanzen überwucherten Terrasse oder den kühlen, elegant gefliesten Zimmern möchte man am liebsten den Tag verweilen, hörte man nicht das Meer in 50 Meter Entfernung rauschen.
Drei Tipps für Vouliagmeni
Besucher nennen das Strandbad Akti Vouliagmenis auch die „Karibik Griechenlands“: An der schönsten Stelle der Bucht von Vouliagmeni liegt das öffentliche Strandbad des Ortes, das täglich und von morgens bis abends geöffnet hat. Strandliegen und Sonnenschirme sind im Eintrittspreis inklusive, das Erlebnis, Urlaub wie Einheimische zu machen, gibt es gratis dazu (Poseidonos Avenue 2).
Im Aqua Marina riecht es nach der Vergangenheit, von der Vouliagmeni bis heute lebt. Saftige Eclairs, zuckrige Kuchen, sahniges Eis. Das Angebot, sagen die Gäste, habe sich seit den 1970ern kaum verändert – genau deshalb kommen sie immer wieder. Die Einrichtung ist einfach und schlicht, der Ausblick dafür umso opulenter: Von der Terrasse aus hat man freien Blick auf die Bucht (13 Agiou Padeleimona).
Urlauben, wo Einheimische das Wochenende verbringen: Die Ferienwohnung Seaside Secret liegt in einem sachlich-mondänen Apartmenthaus aus den Sechzigern, verfügt über einen großen Balkon mit Hollywood-Schaukel mit Blick auf die Bucht, eine gut ausgestattete Küche mit eigener Waschmaschine und liegt nur hundert Meter vom Strand entfernt. So lässt es sich der Sommer in Suburbia angemessen aushalten.
Drei Tipps für Cascais
In Portugal hat alles Stil, sogar der Jahrhunderte alte Leuchtturm Santa Mariasieht auf den ersten Blick aus wie das Meisterstück eines Bauhaus-Architekten. Strahlend weiße, sachlich-schlichte Fassaden, an denen üppige Palmen ihre Schatten werfen. Der Besuch lohnt sich wegen der großartigen Fotokulisse, dem einmaligen Ausblick auf das Meer und natürlich wegen des Museums an sich: Einheimische Frauen, die im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms der Regierung angestellt sind, führen durch die alten Gemäuer, erzählen aus der Ära, in der Portugal eine Seefahrer-Weltmacht war (Farol Museu de Santa Marta, Rua do Farol).
Oktopus only: Im Polvo Vadio, einem modernen, urban eingerichteten Laden mit tiefblauen Fliesen und weiß getünchten Tischen, huldigen die jungen Besitzer dem lokalen Lieblings-Meeresbewohner. Ob gegrillt oder frittiert und mit hausgemachter Knoblauch-Mayonnaise serviert. In der offenen Küche brutzeln die Köche Oktopus, Oktopus, Oktopus. Weil das nicht jedermanns Geschmack ist, gibt es nur wenige Tisch – reservieren ist also Pflicht! (R. Afonso Sanches 47).
Vier-Sterne-Luxus in Landhausatmosphäre: Wer in einer der hellen, mondän eingerichteten Suiten im Boutique-Hotel The Charm of Cascais wohnt, fühlt sich wie das Mitglied einer britischen Adelsfamilie. Im gemütlichen Frühstücksraum sitzen die wenigen, überwiegend langjährigen und vor allem englischen Gäste gern beisammen. Während draußen die Hunde des Hauses durch den Garten toben, gibt die deutsche Gastgeberin Susanne Tipps für den Tagesausflug, kennt das Personal bereits am zweiten Tag individuelle Vorlieben. „Für Sie wieder das Rührei ohne Speck?“ (Av. Infante Dom Henrique 669).