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Klassiker-Route Wie Sie den Südschwarzwald mit dem Rad neu entdecken

Deutschland, Schwarzwald. Die Haslach muendet hinter dem Rechenfelsen in die Wutachschlucht.
Schwarzwälder Wildnis: Am Rechenfelsen zwängt sich die Haslach zwischen überwucherten Klippen hindurch, vereinigt sich mitder Gutach zur Wutach und strömt weiter durch ein betörend schönes Engtal – die Wutachschlucht
© Berthold Steinhilber/laif
Radfahren im Schwarzwald? Sicher, da geht es rauf und runter. Doch der Südschwarzwald-Radweg führt durch herrliche Landschaften, streift Aussichtsgipfel und Rheinterrassen. Unser Autor entdeckt vom Sattel aus das Land seiner Kindheit noch einmal neu

Hinterzarten liegt zehn Kilometer Luftlinie vom Feldberg, der mit 1493 Metern höchsten Erhebung des Schwarzwalds. Der Titisee, der Schluchsee und andere Klassiker sind nicht weit. Aber die Luftlinie spielt im Schwarzwald nur eine Rolle, wenn man ein Kuckuck oder ein anderer Vogel ist.

Aus Sicht eines Radlers ist das größte deutsche Mittelgebirge das Gegenteil von Holland: Kurvige Sträßchen winden sich durch bergige Landschaften, die Höhenmeter summieren sich im Laufe eines Tages. Jakob ist 20 und fühlt sich topfit, für ihn dürfte das kein Problem sein. Ich bin 30 Jahre älter und gut zehn Kilogramm schwerer. Vielleicht hätte ich doch ein E-Bike leihen sollen?

Tag 1: Hinterzarten - Bonndorf

50 Kilometer vor uns am ersten Tag, aber immerhin. Also raus aus den Federn, Funktionsklamotten an – und nach einem kräftigen Frühstück im »Schwarzwaldhof « in Hinterzarten auf die frisch aufgepumpten Trekkingräder, die wie bestellt zum Hotel geliefert worden sind. Damit uns die Zeitreise auf dem Zweirad leichter fällt, wird unser Gepäck von Hotel zu Hotel transportiert, wir haben nur das Nötigste in den Satteltaschen.

In meiner Jugend war die Gegend, die ich jetzt mit meinem Sohn neu entdecke, mein liebstes Trainingsgelände. Oft stieg ich zu Hause in Laufenburg am Hochrhein aufs Rad und fuhr einfach los, ohne Plan, ohne Ziel, ohne Karte. Ich folgte den Landstraßen, die mich bergauf über Herrischried und St. Blasien in Richtung Schluchsee führten. Ich kurbelte so lange, bis ich eine perfekte Fernsicht auf die Alpen hatte, dann kehrte ich um und rollte glücklich bergab nach Hause. Ungefähr 35 Jahre später sind wir auf den gleichen Straßen mit 21-Gang-Trekkingrädern unterwegs und zeichnen die Tour mit der Tracking-App meines Smartphones auf. Früher radelte ich in Jeans, jetzt tragen wir Atmungsaktives samt Helm.

Klassiker-Route
Die Klassiker-Route "Südschwarzwald"; Länge: 290 Kilometer; Dauer: 5 Tage
© Frank Strauss für GEO Special

Über Waldwege und Seitenstraßen rollen wir relativ mühelos bergab zum Titisee. An der Uferpromenade des gleichnamigen Örtchens legt gerade das Ausflugsboot »Titus« ab. See und Schiff sind angeblich benannt nach dem römischen Kaiser Titus Flavius Vespasianus, der einst in der Nähe des Bergsees sein Lager aufgeschlagen haben soll. Wie dem auch sei, der Name klingt vertraut.

In der Fußgängerzone von Titisee ist eine ganze Hauswand mit einer Kuckucksuhr bemalt. Der Kuckuck ist ein Riesenthema im Hochschwarzwald, schon am ersten Tag passieren wir ein Uhrenmuseum, eine Kuckucksuhrenfabrik und viele Souvenirläden mit Kuckucksuhren. Das Einzige, was wir nicht hören und sehen, ist ein echter Kuckuck.

Der Großteil der Strecke von Neustadt nach Bonndorf führt über eine ehemalige Bahnstrecke, die 1977 stillgelegt wurde – sehr angenehm zu fahren, wenige Kurven und kaum Steigungen. Wir kommen an blumengeschmückten Holzhäusern und Ententeichen vorbei. Die Strecke ist perfekt ausgeschildert, wir folgen immer dem Schildchen mit dem Symbol für den Südschwarzwald-Radweg: ein Radfahrer, der fröhlich dahinsaust.

Unser Tagesziel, der »Gasthof Sommerau « in Bonndorf, liegt einsam auf einer Lichtung. Der perfekte Ort, um sich von der Tour zu erholen: Das Wasser im Bio-Schwimmteich ist klar und kühl, es gibt keinen Handyempfang, kein Internet, kein Fernsehen. Den Sound liefert die Natur: Grillen zirpen, Bienen summen, Haflinger schnauben, der Wind rauscht in den Tannen. Dazu ein melodisches Hupen. Ein Kuckuck? Nein. Oben, am Waldrand, übt ein Posaunist die Melo- die von »What a Wonderful World«. Die Töne hallen noch beim Einschlafen in meinem Kopf nach, und ich kann nur zustimmen.

Tag 2: Bonndorf - Waldshut

Tag der Schleifen und Kringel! Am Morgen biegen wir auf den »Philosophenweg« ein, der uns mit Sinnsprüchen zum Innehalten bringt: »Blicke in die schöne Natur und beruhige dein Gemüt« (Ludwig van Beethoven). Zum Kringeln! »Mit Philosophie hat das wenig zu tun«, sagt Jakob, der in München Philosophie studiert. Amüsiert fotografiert er einige der Inschriften – mit meiner alten analogen Kamera, die ich schon für die ersten Aufträge der Lokalzeitung benutzt habe. Der »Südkurier « schickte mich damals regelmäßig zu Kulturveranstaltungen im Schwarzwald, auch in Bonndorf war ich mal für ein Jazzkonzert. Während mir das einfällt, betrachtet Jakob meine Heimat durch das Objektiv meiner Minolta X300. Bei jedem Klick schließt sich ein Kreis.

Hinter Blumberg absolvieren wir eine Extraschleife, um zu einem besonderen Aussichtspunkt zu gelangen. Wir fahren an Weizenfeldern und Obstbäumen vorbei bis zum Wutachflühen-Blick in Blumegg. Von einer Bank aus sieht man steil aufragende Felsen, unten kann man den Fluss erahnen. Die Wutachschlucht sieht hier aus wie der Grand Canyon des Schwarzwalds: Weiße Felswände aus Muschelkalk bilden einen grellen Kontrast zu den dunkelgrünen Tannen. An den Wänden rauschen Wasserfälle hinunter, die Sackpfeiferdobel und Sturzdobel heißen.

Durchs Tal nebenan schlängelt sich eine Zugstrecke, von den Einheimischen liebevoll »Sauschwänzlebahn« genannt. Es ist keine Schweinetransportbahn, der Zug überwindet zwischen dem Bahnhof Weizen und Blumberg 231 Höhenmeter, indem er sich in Kehrtunneln durch den Berg schraubt. Der direkte Weg wäre viel zu steil für die Bahn – deshalb sieht die gedehnte Strecke ziemlich kringelig aus.

Der Radweg führt nun abwärts in Richtung Rheintal. Es wird wärmer und gleichzeitig urbaner. Statt Wäldern säumen nun Gewerbegebiete die Strecke. Vom Schwarzwald-Kitsch, wie man ihn aus Heimatfilmen kennt, sind wir hier meilenweit entfernt. Der Radweg ist trotzdem schön zu fahren, es geht am Rhein entlang bis zur Altstadt von Waldshut.

Das Glockenspiel läutet zur Begrüßung, als wir die Räder durch das östliche Stadttor schieben. Da heute der Tag der Schleifen und Kringel ist, essen wir im »Restaurant Rheinterrasse Santorini« mit Blick auf den Rhein passend dazu frittierte Calamari.

Freiburger Umland, Landschaft, Schauinsland,
Der Name ist Programm: Blick von Freiburgs Hausberg Schauinsland (1284 Meter) über den Südschwarzwald
© Tobias Gerber/laif

Tag 3: Waldshut - Beuggen

Tag der Höhenunterschiede! Der Hochrhein heißt zwar Hochrhein, er liegt jedoch im Vergleich zum Hochschwarzwald ziemlich tief. Gestartet waren wir am ersten Tag in Hinterzarten auf knapp 900 Meter Höhe, in Waldshut sind es dagegen gerade noch 340 Meter über null. Unsere nächste Etappe in Richtung Basel führt am Rhein entlang, dabei geht es immer leicht abwärts. Es riecht nach Flusswasser, und der Schotter des Rheinuferweges knirscht unter den Reifen.

Nach einer knappen Stunde kommt die Doppelstadt Laufenburg in Sicht: Laufenburg, Schweiz, und Laufenburg, Baden, zwei mittelalterliche Städte, zwei Kirchen, zwei Bahnlinien und zwei Gemeinden, getrennt durch den Rhein, verbunden durch zwei Brücken. Wir weichen kurz von der offiziellen Route ab und fahren auf der Schweizer Seite durch die Altstadtgassen und am Spital vorbei, in dem ich geboren bin. Ich war mit Jakob mal hier, als er ein kleines Kind war, aber daran kann er sich nicht mehr erinnern.

Weiter stromabwärts führt der Radweg am Naturerlebnisbad Murg vorbei, ein Stopp in diesem Öko-Freibad lohnt bei heißem Wetter. Oder man wählt die wilde Variante: Jakob springt vom Bootssteg in den Rhein und lässt sich ein paar Hundert Meter flussabwärts treiben, bis er von bedrohlich zischenden Schwänen ans Ufer gescheucht wird. So haben wir das früher auch gemacht. Wir sind manchmal sogar von der Bad Säckinger Rheinbrücke gesprungen, was gefährlich ist, weil es im Wasser Strudel gibt.

Diese alte Rheinbrücke, zehn Kilometer weiter flussabwärts, ist so krumm und schief, dass man sich fragt, wie sie so lange gehalten hat – immerhin handelt es sich um die längste gedeckte Holzbrücke Europas. Der Blick durch ihre blumengeschmückten Fenster geht auf das Fridolinsmünster, den Gallusturm und die engen Gassen der Altstadt.

historische Holzbruecke ueber den Rhein, Bad Saeckingen
Europas längste gedeckte Holzbrücke – 203,7 Meter lang – spannt sich bei Bad Säckingen über den Hochrhein. In ihrer Mitte liegt die Grenze zur Schweiz
© Ralf Brunner/laif

Tag 4: Beuggen - Müllheim

Tag der Erfrischungen! Am Vortag ist uns der Schweiß nur so runtergelaufen, jetzt wird er gleich vom strömenden Regen abgeduscht. Man muss nur alles positiv sehen. In Rheinfelden teilt sich die Route in eine Stadt- und eine Landvariante. Die urbane Schleife führt durch Basel und weiter am Rhein entlang bis an die französische Grenze. Wir bleiben dem Schwarzwald nahe und fahren über verkehrsarme Sträßchen in Richtung Lörrach. Die ersten Weinberge des Markgräfler Landes kommen in Sicht. »Wie in der Toskana, nur viel feuchter«, bemerkt Jakob trocken. Eigentlich ist das hier ja die wärmste Gegend Deutschlands, statistisch gesehen wird man hier fast immer von der Sonne verwöhnt – der regionale Tourismusverein prahlt mit 1700 Sonnenstunden pro Jahr.

Auf einer triefnassen Wiese grasen Alpakas, die Tiere glotzen neugierig über den Zaun. Sind Alpakas die neuen Maskottchen des Schwarzwalds? Ich wäre absolut dafür, denn die Viecher machen lustige Quietschgeräusche, sehen aus wie wollige Riesenpudel und benehmen sich viel zutraulicher als Kuckucke. Die »Neuweltkameliden« stammen aus den Anden, das ursprüngliche Zuchtgebiet liegt in der Gegend des Titicacasees; in der Nähe des Titisees fühlen sie sich offensichtlich genauso wohl. »Alpakas haben keine Hufe, sondern Sohlen wie ein Hund, dadurch bleiben Hänge länger intakt, als wenn Schafe oder Kühe grasen«, sagt Alexandra Prunu, die in Elbenschwand im Wiesental Alpakas züchtet und aus deren Wolle Tücher, Decken und Hüte macht. Die Alpakas haben sich jedenfalls schnell in unseren Sprachgebrauch eingegliedert, beim Weiterfahren sagen wir statt »Also, packen wir’s« kurz: »Alpackmas!«

Wir kommen früh am Nachmittag in Müllheim an, und kaum habe ich meine triefnassen Klamotten zum Trocknen aufgehängt, scheint wieder die Sonne. Na schön! Also schlendern wir auf einem ausgeschilderten »Erlebnisrundgang« durch das Städtchen. Im »Markgräfler Lindenhof« probieren wir Weißwein der Müllheimer Winzergenossenschaft – Grauburgunder, Weißburgunder, Sau- vignon blanc, Blanc de noir, einer spritziger als der andere. Eine Flasche zeigt einen Zeppelin auf dem Etikett: Weißweine aus Müllheim wurden zu Zeiten der »Hindenburg« in den Luftschiffen zum Essen serviert. Gute Idee! Da unser Gepäck sowieso transportiert wird, reist nun eine Flasche Zeppelinwein mit.

Tag 5: Müllheim - Himmelreich - Hinterzarten

Tag des Aufstiegs! Unsere letzte Etappe beginnt lieblich: Wir rollen bei Sonnenschein durch Weinberge, auf denen Gutedel- und Spätburgunderreben wachsen. Nach einem kurzen Abstecher in die Altstadt von Freiburg geht es an dem Fluss Dreisam entlang leicht aufwärts bis zu einem Bahnhof, der den märchenhaften Namen Himmelreich trägt. An dieser Stelle endet der Südschwarzwald- Radweg eigentlich. Die Höllentalbahn schafft die 13 Kilometer nach Hinterzarten in 13 Minuten.

Vom Himmelreich ins Höllental, und das mit der Bahn? Das klingt für uns wie ein Abstieg, obwohl es steil bergauf geht. Da wählen wir lieber die Muskelkraft-Variante über Oberried in Richtung Feldberg. Schwitzend und schnaufend kurbeln wir uns auf den Rinken, einen 1196 Meter hohen Pass am Feldberg. Mehr als 800 Höhenmeter auf zehn Kilometern, das ist einer der knackigsten Anstiege für Radler im Schwarzwald – und nur für sehr sportliche Fahrer zu empfehlen. Jakob gewinnt die Bergwertung mit deutlichem Vorsprung.

Spätestens jetzt ist es höchste Zeit für einen Kalorien-Klassiker: die Schwarzwälder Kirschtorte. Wir verspeisen ein Mittelgebirge aus Sahne, Schokoladenteig, Kirschen und Schnaps stilvoll im Gasthaus »Zum Engel«, einem typischen Schwarzwälder Holzhaus auf 1030 Metern in Hinterzarten.

Auf den letzten Kilometern ins Zentrum von Hinterzarten rollen wir flott abwärts. Aber innerlich geht es weiter bergauf. Ein heimatliches Hochgefühl macht sich breit. Ich konnte meinem Sohn die Landschaft zeigen, in der ich aufgewachsen bin. Und ich habe festgestellt, dass der Südschwarzwald noch schöner ist, als er in meiner Erinnerung war. Die Alpakas haben den Job vom klassischen Kuckuck übernommen. Das ist aus meiner Sicht okay. Die Frage wird nur sein, wie man die riesigen Alpakas in die kleinen Uhren reinbekommt.

GEO SPECIAL Nr. 02/2018 - Deutschland: Der sonnige Südwesten

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