Unsere Körper werfen bereits meterlange Schatten, als unsere Zeitreise in den Spätbarock beginnt. Die tiefstehende Sonne zaubert zarte Regenbögen in den Sprühnebel der Brunnen. Sie taucht das Wegenetz des Schwetzinger Schlossgartens in warmes Gelb. Streng geometrisch durchzieht es das satte Grün buchsbaumgefasster Rasenstücke. Abergläubische würden es wohl Schicksal nennen, dass wir die Gartenanlage still und beinahe menschenleer erleben dürfen. Ich nenne es zumindest Glück im Unglück.
Unser Roadtrip entlang der Burgenstraße war gestartet wie viele Familienreisen: mit Chaos. Ein gerissener Keilriemen hatte meine Frau, unseren drei Monate alten Sohn und mich zu einer unfreiwilligen Pause im mittelhessischen Irgendwo gezwungen. Warten, abschleppen, warten, weiterfahren. Wir erreichen das Schwetzinger Schloss zu spät, um dessen frisch renovierte Räume zu besichtigen. Aber gerade noch rechtzeitig, um dessen pompösen Garten zu bestaunen.
Als wir das enge Durchfahrtstor des mächtigen Baus durchschreiten, verliert sich der Blick ins Weite. Die Ausmaße sind gewaltig. Während sich das Herzstück des Parks, das einzigartige Kreisparterre samt Arionbrunnen, dem Auge geradezu aufdrängt, muss manch anderer Schatz erst entdeckt werden.
Hinter jeder Hecke hält der Schlossgarten eine architektonische Überraschung bereit. Zu viele um sie alle aufzuzählen. Ein Bauwerk aber ist besonders staunenswert. Als wir durch die schattigen Wäldchen (Boskette) schlendern, kündigt es sich hinter hohen Hecken durch Kuppel und Minarette an. In zartem Rosa erstrahlt die letzte erhaltene Gartenmoschee aus dem 18. Jahrhundert. Ein Ort an dem Kulturen verschmelzen.
Die Abendsonne im Rückspiegel schlängeln wir uns vorbei am Heidelberger Schloss hinab in das Neckartal – einem der schönsten Abschnitte der Ferienroute. Hier folgt die Burgenstraße den Windungen des Flusses und wird ihrem Namen so gerecht wie nirgendwo sonst. Alleine vier Wehranlagen passieren wir in Neckarsteinach bevor wir am Abend bei einem weltbekannten Ritter unterkommen. Götz von Berlichingen bewohnte die Burg Hornberg, die heute als Hotel-Restaurant genutzt wird. Von unserem Zimmer aus fällt der Blick über den Neckar – und in Sichtweite erstrahlt bereits das nächste Ziel.
"Um die Enttäuschung gleich vorweg zu nehmen: eine Burg ist hier nichts Besonderes", begrüßt uns Bernolph von Gemmingen-Guttenberg. Eine Untertreibung. Zwar kommen Burgen hier tatsächlich häufiger vor als vielerorts Tankstellen. Selten sind diese aber derart gut erhalten, wie die Burg Guttenberg.
Die Anlage zwischen Neckar- und Mühlbachtal wurde nie zerstört und kontinuierlich von den Burgherren bewohnt - seit Mitte des 15. Jahrhunderts von der Linie Gemmingen. "Wenn eine Familie seit 17 Generationen nicht umzieht, können Sie sich vorstellen, wie unser Speicher aussieht", sagt der sympathische Freiherr – und beginnt seine Führung entlang der Schätze, die es vom Speicher in das Burgmuseum geschafft haben.
Es sei eine Herausforderung mit so einer Ausstellung sowohl die Schulklasse als auch den geschichtsinteressierten Pensionär zu erreichen, wirft der Burgherr ein, während er von Rittern, Reformation und Räuberpistolen, die sich um den wertvollen Marienaltar drehen, berichtet. Wir jedenfalls fühlen uns im besten Sinne informativ-unterhalten, noch bevor wir das berühmteste Exponat gesehen haben: die Guttenberger Holzbibliothek. Sie ist eine der weltweit seltenen Sammlungen von Zweigen, Blättern, Wurzeln und Samen. Baumteile auf Moos gebettet und in Form von Büchern gestaltet. Der deutsche Wald in 93 Bänden.
Unser nächster Halt im Fachwerkstädtchen Bad Wimpfen ist kurz, aber intensiv. Schweißtreibende 134 Stufen muss man zurücklegen, um in Blanca Knodels Wohnung zu gelangen. Was diese so besonders macht, kann niemand besser erklären, als Frau Knodel selbst (siehe Video):

Wer von Bad Wimpfen weiter auf der Burgenstraße reist, passiert Weinberge und Schlösser, gelang in sehenswerte Städte wie Heilbronn und Schwäbisch Hall. Wir entschließen uns dennoch hier eine Abkürzung zu nehmen, um noch am Abend in unserer letzten Station anzukommen. Einem Ort anzukommen, der in Japan, China oder den USA ähnlich bekannt ist wie hierzulande. Mit gedämpften Erwartungen fahren wir nach Rothenburg ob der Tauber. Steht die mittelalterliche Kleinstadt doch im Ruf hoffnungslos überlaufen zu sein.
Eines stimmt: Rothenburg wird man immer mit Touristen teilen müssen. Das wird bereits bei der Ankunft klar, als wir unser Auto durch die Gässchen der Innenstadt manövrieren. Hier eine Familie, die unachtsam die Straße kreuzt. Dort ein Paar das Selfies knipst. Aber Massen?
Selbst am nächsten Tag bei herrlichstem Wetter begegnen uns nicht die gefürchteten Ströme, die im Stechschritt durch die Altstadt jagen. Mit Kinderwagen schlendern wir durch das romantische Fachwerk ohne anzuecken. Ja, sogar ein Foto von Rothenburgs Postkartenansicht (Plönlien und Sieberturm) gelingt ohne Menschen vor der Linse.
Woran liegt es, dass wir die Stadt so erträglich leer erleben? "Sie haben Glück", erklärt ein Hotelier. "Sie sind unter der Woche hier. Die Ferien sind zu Ende und das Oktoberfest hat noch nicht begonnen. Erst dann wird es noch einmal richtig voll." Ob das bewusst so geplant war? Keineswegs! Vielleicht lasse ich mich doch noch vom Begriff Schicksal überzeugen.