
James Adair und Ben Stenning haben sich an der Uni kennengelernt, nach Abschluss zogen sie gemeinsam nach London. Das Großstadtleben wurde ihnen schnell zuwider. Immer wieder machten sie Pläne für große Abenteuer, doch eine Idee ließ sie nicht mehr los: per Ruderboot über den Indischen Ozean. Beide hatten keine Ahnung vom Rudern. Dennoch sparten sie für ein Boot und ruderten im Jahr 2011 von der Westküste Australiens bis nach Mauritius. Vier Monate verbrachten sie auf einem kleinen Boot mitten auf dem offenen Meer ohne Begleitboot. Mit ihrer Ankunft auf Mauritius sind sie das erste Paar, das den Indischen Ozean ohne Unterstützung gerudert ist. Daraus entstanden ist der Film "And then we swam" - Publikumsliebling der diesjährigen International OCEAN FILM TOUR. Im Interview verraten sie, wie man sich auf so kleinem Raum aus dem Weg gehen kann, warum sie so risikofreudig waren und ihre Pläne für die Zukunft.
GEO: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, den Indischen Ozean mit einem Ruderboot zu überqueren?
Ben: Wir haben uns an der Universität St. Andrews in Schottland kennengelernt und sind dann nach dem Abschluss gemeinsam nach London gezogen. Die Gegend, in der wir wohnten, war nicht wirklich toll und wir waren beide sehr schnell genervt von unseren Jobs. Wenn wir dann abends gemeinsam eine Flasche Wein geöffnet haben, wanderten unsere Gedanken immer wieder zu möglichen Abenteuern.
James: Ich habe dann zufällig in der Zeitung eine Geschichte über einen 60-Jährigen gelesen, der über eine weite Distanz, ohne jegliche Hilfe gerudert war. Zuvor dachte ich immer, solche Trips wären nur durchtrainierten Sportlern vorenthalten. Mit diesem Artikel schien eine Ozeanüberquerung plötzlich auch für uns machbar.
GEO: Wie lange hattet ihr Vorlaufzeit, bevor es dann wirklich losging?
Ben: Wir haben die Idee erstmal zwei Jahre sacken lassen und haben dann ein gemeinsames Konto eingerichtet, um uns gegenseitig ein bisschen zu verpflichten.
James: Zwischen der Idee und dem Startschuss lagen insgesamt sechs Jahre. Die wirkliche praktische Vorbereitung haben wir in acht Monaten abgerissen.
GEO: Aber ihr hattet schon Rudererfahrung?
Ben: Nein, keiner von uns beiden ist jemals vorher gerudert. Wir haben beide nur an den Rudermaschinen im Fitnessstudio trainiert.
James: Kurz bevor es losging, haben wir dann ein wenig auf einem Fluss trainiert, aber nie mit unserem Boot. Mit dem gab es eine Training-Session in Australien. Die ging allerdings ziemlich in die Hose. Wir haben das mit dem Lenken irgendwie nicht verstanden und uns stattdessen in die Wolle bekommen.

GEO: Hatte ihr nicht irgendwann Zweifel?
Ben: Nachdem das Boot einmal gekauft war, hatte ich keine Zweifel mehr. Aber in den sechs Jahren zuvor gab es Momente, in denen ich gezweifelt habe. Einmal bin ich sogar abgesprungen.
James: Für mich war klar, dass ich es machen will, aber es ist mir schwegefallen, diesen Willen gegenüber Familie, Freundin und Freunden durchzusetzen. Mir war klar, dass es durchaus eine nicht unbedeutende Auswirkung auf ihr Leben haben würde, und das hat mich ab und an zum Nachdenken gebracht.
GEO: Wie packt man für eine dreimonatige Ozeanüberquerung auf einem kleinen Ruderboot?
Ben: Wir hatten eine kleine Anlage, mit der wir Meerwasser zu Trinkwasser filtern konnten, deswegen mussten wir kein Wasser mitnehmen. Zudem hatten wir uns für Astronautennahrung entschieden. Frühstück, Mittag-, und Abendessen kam aus kleinen Beuteln. Alles sah gleich aus, doch mit warmen Wasser aufgegossen, schmeckte man tatsächlich Chilli con Carne oder Kartoffel-Lauch-Suppe heraus. Die Beutel haben nicht viel Platz weggenommen. Modisch mussten wir auch nicht aussehen, also war das Packen nicht wirklich ein Problem.
GEO:Ihr seid ohne Begleitboot gerudert. Gab es irgendeinen Rettungsplan?
James: Wir hatten mehrere Gerätschaften. Mit dem einen konnten wir immer Kontakt zu Schiffen in der Umgebung aufnehmen. Und dann hatten wir noch ein Tracking-Gerät, das stets Signale an unseren Heimathafen in England gesendet hat. Damit arbeitet die gesamte Schifffahrt. Wäre dieses über längere Zeit unter Wasser gewesen, hätte es ein Notsignal an die Zentrale gesendet, die dann eine Rettung eingeleitet hätte. Doch wenn kein Schiff in der Nähe gewesen wäre, hätte es mitunter Tage dauern können, bis der Suchtrupp an der richtigen Stelle gewesen wäre.
GEO: War Euch stets bewusst, dass eine zu hohe Welle oder ein unbedachter Moment Euer Schicksal hätte besiegeln können?
James: Natürlich war uns bewusst, dass wir uns einem großen Risiko ausgesetzt haben. Aber das war eben der Preis für das Freiheitsgefühl, das wir jeden Tag spüren durften. Dieses Level an Freiheit erreicht man nicht, wenn man in einem gesicherten Umfeld ohne Risiko unterwegs ist.
GEO: An einem Punkt ist das GPS-Gerät kaputtgegangen. Wie wusstet ihr, wo ihr seid, und vor allem, wo Mauritius liegt?
Ben: Es sind viele essenzielle Geräte kaputtgegangen. An Tag 65 überschwemmte eine Welle die Kabine und hat nahezu alle elektrischen Geräte zerstört, so auch unser wirklich schickes GPS-Gerät. Zum Glück hatten wir noch ein ganz normales kleines GPS-Gerät, das mit Batterien lief. Aber auch die Zahl der Batterien war begrenzt. Wir haben uns dann ausgerechnet, dass wir rund 16 Stunden Batterie haben dürften, damit mussten wir Mauritius finden und weitere 45 Tage überbrücken. Wir haben also alle sechs Stunden das Gerät kurz angemacht und die Koordinaten gecheckt und sind danach die weiteren sechs Stunden gerudert.
GEO: Wie habt ihr die Aufgaben an Bord verteilt?
Ben: Der ursprüngliche Plan war, dass wir in Schichten rudern. Am Tag jeweils zwei Stunden rudern, zwei Stunden ruhen und nachts alle drei Stunden zu wechseln. Aber das hat dann manchmal variiert und es gab auch Situationen, wo wir beide unter Deck waren, weil es beispielsweise zu stürmisch war. Und jeden Sonntagmorgen haben wir zusammen den BBC World Service gehört.
GEO: Wie seid ihr damit umgegangen, ohne Rückzugsort über drei Monate auf einem kleinen Boot zusammenzuleben?
James: Die meiste Zeit konnte ich ja so tun, als wäre Ben nicht da, denn entweder war ich allein in der Kabine und habe geschlafen oder ich bin alleine gerudert. Aber es stimmt schon, besonders am Anfang war es teilweise ein beklemmendes Gefühl.
Ben: Das Boot wurde zu unserer Insel, unserem Zuhause. Nachdem wir die Handgriffe kannten und wussten, wo wir was gelagert hatten, wurde es einfacher, die kleine Gesamtfläche zu akzeptieren.
GEO: Was habt Ihr außer Rudern noch getan, um Euch die Zeit zu vertreiben?
Ben: Wir haben einiges angestellt, um vor allem den Kopf zu unterhalten. Eigentlich täglich haben wir Mind Mapping betrieben. So sind wir zum Beispiel im Kopf durch die Straßen unserer Studienstadt St. Andrews gelaufen und haben versucht, uns an so viele Details wie möglich zu erinnern. Wir haben Gedichte auswendig gelernt und sie uns gegenseitig vorgetragen, die Zeit gestoppt, wer es schneller aufsagen kann und solche Sachen.
GEO: Wurde das Meer nicht irgendwann langweilig?
Ben: Das Meer verändert sich ständig, mal ist es glasklar und ruhig mal aufgewühlt und sehr rau. Ich bin nicht müde geworden, mir diese Stimmungswechsel immer wieder anzusehen.
James: Außerdem waren wir ja nicht allein. Wir hatten Delfine, Wale, Haie und Vögel, die teilweise ganze Tage in der Nähe vom Boot waren und für Unterhaltung gesorgt haben.

GEO: Wie hat die Reise Eure Freundschaft beeinflusst?
Ben: Als die Reise losging, kannten wir uns bereits elf Jahre, und das sehr gut. Ich würde sagen, es hat unsere Freundschaft noch mehr gefestigt. Es gab während der gesamten Zeit nur kleine Auseinandersetzungen, nichts Dramatisches.
James: Ich denke, das Wichtigste war, dass wir mit denselben Erwartungen an den Trip herangegangen sind. Wir haben es als ein Abenteuer unter Freunden gesehen. Keiner von uns wollte Rekorde brechen oder Ähnliches.
GEO: Rund fünf Kilometer vor Mauritius kam es zu einem fatalen Unfall. Könnt ihr erzählen, was genau passiert ist?
Ben: Es war gegen Nachmittag, und wir sollten ursprünglich einen Hafen im Norden der Insel ansteuern, da Mauritius von einem Riff umgeben ist, das das Boot hätte zerstören können. Die Strömungen waren allerdings so stark, dass wir keine Chance sahen, so weit nördlich zu kommen. Per Funk versuchte man uns dann an das östliche Ufer zu lotsen, wo sich eine Lücke im Riff befindet. Wir waren auf dem Weg dorthin, das Wetter wurde schlechter und es wurde dunkel, als aus dem Nichts eine riesige Welle auftauchte. Sie brachte das Boot zum Kentern.
James: In den gesamten vier Monaten ist das so nicht einmal passiert. Wir sind danach sogar für einen kurzen Moment wieder auf das Boot gekommen, aber es war schon alles zerstört, auch die Paddel. Immerhin haben wir die Leuchtraketen gefunden und abgefeuert, nur Ben traf dabei mein Bein und ich fing an, stark zu bluten. Am Horizont rollte bereits eine ähnlich große Welle heran. Die besiegelte dann das Schicksal des Bootes. Wir konnten es nicht mehr sehen.
Ben: Wir waren rund drei Stunden im Wasser, James wurde immer schwächer wegen seiner blutenden Wunde. Und dann hat die Strömung uns auf das Riff gespült. Es war zwar Land, aber jeder, der schon mal versucht hat, auf einem Riff zu stehen, weiß, dass es unmöglich ist. Wir konnten also nicht einfach an Land laufen. Es wurde dunkler und James halluzinierte inzwischen. Unser Plan war, so lange auf dem Riff auszuharren, bis die Flut es uns ermöglichen würde, über das Riff zu schwimmen. Dann kreiste ein Helikopter über uns. Wir waren beide sofort auf den Beinen und haben gerufen und gewunken. Aber der Lichtkegel erreichte uns nicht und der Helikopter drehte ab. Es war furchtbar das immer leiser werdende Geräusch zu hören. Doch etwas später erkannten wir erneut ein Licht am Horizont, viel dichter und intensiver. Es kam von einem Schiff und dieses Mal blieb der Lichtkegel so lange auf uns gerichtet, bis wir an Bord waren.
GEO: Habt ihr jetzt genug vom Meer?
Ben: Nein, wir planen sogar eine ähnliche Reise über den Pazifik.