
Die Diagnose Krebs bedeutet für alle Betroffenen erstmal eine Umstellung - des Alltages, des Lebens und des Denkens. Was die Krankheit für den Körper und die Psyche bedeutet, weiß Marc Naumann nur zu gut. Ein Hirntumor krempelte sein Leben von einen auf den anderen Tag komplett um und ließ ihn seine Laufbahn als Juristen anzweifeln. Er entschied sich sein Hobby, das Segeln, zum Beruf zu machen. Weil ihm der Sport nach dem Ende seiner Behandlung die nötige Zuversicht, Kraft und den Lebensmut zurückgab. Diese Erfahrung möchte er nun mit anderen betroffenen teilen und rief die Segelrebellen ins Leben. Vor Kurzem kehrten sechs begeisterte Jungfernfahrer vom Mittelmeer zurück. Einer von ihnen ist Hauke Gonschorek, als Spätfolge seiner Krebserkrankung leidet er an einer geschwächten Lungenfunktion. Der Segeltrip zeigte ihm, dass er körperlich und mental viel mehr Kraft hat als gedacht. Im Interview erzählen die beiden von ihren Erfahrungen.
GEO: Wie kam es zu der Idee der Segelrebellen?
Marc: Als ich das zweite Mal die Diagnose "Hirntumor" bekam und dann auch noch Chemotherapie vor mir hatte, stand ich kurz vor dem Examen zum Juristen. Das musste ich dann unterbrechen und habe mir überlegt, was mache ich, wenn ich den Einstieg nach der Therapie nicht wieder schaffe? Es dauerte nicht lang, bis mir die Idee kam, dann zum Skipper umzuschulen. Die Chemo lief aber gut und ich konnte mit dem Examen weitermachen. Damit war der Skipper-Plan eigentlich schon wieder verworfen, bis ich nach meiner letzten Prüfung die Nachricht erhielt, dass ein guter Freund von mir den Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Das war ein entscheidender Moment. Nach dem Tod von meinem Freund habe ich meine Juristenkarriere hinterfragt und entschieden, dass ich erstmal segeln gehen möchte. Für mich war das Segeln nach meiner Therapie ein wahrer Motivationsbringer. Es hat mir gezeigt, dass ich durchaus in der Lage bin, vieles zu schaffen und hat mir wieder neue Kraft gegeben. Diese Erfahrung möchte ich jetzt mit dem Projekt Segelrebellen weitergeben.
GEO: Von der Idee bis zur Jungfernfahrt ist dann wie viel Zeit vergangen?
Marc: Zwischen der Grundidee und dem Törn lag jetzt knapp ein Jahr. Ich war letzten Mai auf einer Teil-Atlantiküberquerung und hatte viel Zeit, mir das noch mal zu überlegen und mit meinen Mitseglern zu besprechen. Von da an stand das Konzept und richtig gestartet mit Webseite und allem Drum und Dran bin ich dann im September.
GEO: Hast du ein eigenes Boot gekauft?
Marc: Nein, das Boot für die Jungfernfahrt kam von Kaya Lodge, für die ich auch als Skipper arbeite. Das Boot musste überführt werden von Marseille nach Mallorca, und weil sie meine Idee mal antesten wollten, haben sie mir das Boot umsonst gegeben. Nachdem sie gesehen haben, was für ein Erfolg die Jungfernfahrt war, hoffe ich nun auf weitere Unterstützung. Bin aber natürlich auch offen für andere Bootsponsoren.
GEO: Wie hast du Aufmerksamkeit für dein Projekt generiert?
Marc: Auf ganz unterschiedliche Weise. Viel lief über Facebook, ein einfacher und schneller Weg viele betroffene Menschen zu erreichen, dann aber auch über Flyer in Arztpraxen und über Empfehlungen von Patientenorganisationen.
GEO: Sind die Segelrebellen nur für Krebspatienten vorgesehen?
Marc: Nein, es sind auch Menschen mit anderen Krankheiten eingeladen, mitzusegeln. Ich hatte beispielsweise gerade eine Anfrage von einer Frau mit MS. Es geht ja darum, wieder zurückzufinden ins Leben, neue Kraft und neuen Mut für den weiteren Weg zu sammeln, und das benötigen ja nicht nur Krebspatienten.

GEO: Wie entscheidest du, wer fit genug ist, mitzukommen?
Marc: Das muss jeder für sich selber wissen, aus dem einfachen Grund, dass es eine Sportveranstaltung ist und ich keine Verantwortung dafür übernehmen kann, dass jeder gesund nach Hause kommt - damit meine ich, Sport birgt immer eine Grundgefahr, die man einfach nicht vermeiden kann, ebenso wie das Leben an sich schon, was ja auch die Diagnose Krebs schon zeigt. Was ich allerdings mache, ist, dass ich bei Teilnehmern, die vielleicht gerade erst aus der Therapie raus sind, nach einem Attest frage. Der ist allerdings keine Teilnahmebedingung, aber vielleicht noch mal ein Anreiz für den Interessenten, sich gründlich mit der Reise auseinanderzusetzen.
GEO: Warum ist es das Segeln geworden und nicht die Alpenüberquerung?
Marc: Das hat einen einfachen Grund. Wenn ich die Alpen überquere, kann ich jederzeit der Gruppe ausweichen, indem ich beispielsweise langsamer gehe. Das geht auf dem Schiff schon mal nicht, weil ich einen begrenzten Raum habe. Zudem kann ich beim Wandern jederzeit aussteigen, den nächsten Bus nehmen und ins Tal fahren. Auch das geht beim Segeln nicht. Dadurch bin ich der Kraft der Natur viel mehr ausgesetzt und nehme die Erfahrung in der Gruppe und mich selbst viel objektiver wahr. Hinzu kommt noch, dass die Alpenüberquerung mehr eine körperliche Anstrengung ist und das Segeln mit uns eher eine mentale.
GEO: Was genau erwartet denn die Teilnehmer an Bord?
Marc: Abenteuer und Erlebnis durch das Segeln an sich, aber auch durch die Erfahrung in der Gruppe. Da alle Mitreisenden krank sind, oder auf dem Weg der Besserung, sind wir alle gleichgestellt. Ich hatte beispielsweise einen Teilnehmer mit einer verringerten Lungenleistung an Bord. Wenn der die Segel hochgezogen hat, hat er es eben nicht gleich geschafft. Auf einem Boot mit einer sonst gesunden Besatzung hätte man ihm wahrscheinlich gesagt: „Setz dich mal hin und ruh dich aus, das übernimmt jetzt jemand anders.“ Wir haben einfach fünf Minuten gewartet und dann weitergemacht, sodass er seine Aufgabe zu Ende bringen konnte. Für ihn hat die Anstrengung somit auch zum Erfolg geführt.
GEO: Wie war die Stimmung an Bord, gab es auch mal Krach?
Marc: Es ist anfänglich erstmal eine Schicksalsgemeinschaft, wie im Krankenhaus, aber da man eben nicht wegkommt, versucht man sich mit den Macken der anderen zu arrangieren. Kleine Spitzen sind dann auch mal nötig, damit sich nicht zu viel anstaut. Das ist mit Aufgabe des Skippers, solchen Freiraum zu gewähren.
GEO: Im Juni stichst Du wieder in See, wie kann ich denn teilnehmen?
Marc: Auf der Webseite kann man sich unverbindlich anmelden. Danach folgt ein Telefongespräch mit mir, um einfach zu sehen, ob es passt. Es geht vor allem darum, falschen Vorstellungen vorzubeugen. Ich hatte schon manche dabei, die sich einen entspannten Segelurlaub mit gutem Essen und viel Erholung vorstellen. Das ist es eben nicht, ich verkaufe keinen Urlaub. Natürlich wird auch die Krankheitsgeschichte und körperliche Verfassung angesprochen.
GEO: Ihr bietet ein sogenanntes Segelstipendium an. Was ist das?
Marc: Wir machen für geeignete Teilnehmer, die sich die Kosten aber nicht voll leisten können, Spendenaufrufe. Bei einer Teilnehmerin hatten wir das Geld bereits nach vier Stunden zusammen. Für die Geldgeber ist es auch schön, weil sie eben gezielt für einen Menschen spenden können. Es wurde am Ende gar mehr gespendet, als die Teilnehmerin benötigt hat. Aus diesem Topf können wir nun weitere Teilnehmer finanziell unterstützen.
GEO: Was macht das Projekt Segelrebellen für dich denn so einzigartig?
Marc: Für mich ist es toll, die Dankbarkeit der Teilnehmer während der Reise zu spüren, sowie die Erfahrungen unterwegs zu beobachten. Sie akzeptieren das Segeln einfach für das, was es ist. Sie erwarten nicht dieses Urlaubssegeln, wo alles schön und perfekt organisiert ist, sondern das Segeln steht im Vordergrund, auch an schlechten Tagen. So ist schlechtes Wetter, was ja meist auch mehr Wind bedeutet, das spätere Highlight der Reise, wenn man sich durchbeißt und an den eigenen Grenzen kratzt. Es gibt den schönen Spruch: Du beginnst dein Leben wirklich zu spüren, wenn du deine Komfortzone verlässt. Genau das ist es.

GEO: Hauke, wie bist Du auf das Projekt aufmerksam geworden?
Hauke: Im Grunde durch meine Freundin, die bei der Nachsorge einen Flyer im Wartezimmer entdeckt hatte. Da ich in meiner Kindheit schon gesegelt bin, war sie der Meinung, das wäre doch was für mich. Ich war in dem Augenblick allerdings noch skeptisch. Der letzte Kick kam dann eigentlich, als ich erfahren habe, dass meine Lunge als Spätfolge meiner Krebserkrankung, angegriffen ist und ich nur noch ein Atemvolumen von 50 Prozent habe. Da habe ich mich entschieden, dass ich jetzt das Abenteuer haben möchte.
GEO: Hast Du deine Teilnahme mit Deinem Arzt abgesprochen?
Hauke: Ich habe meinen Facharzt drauf angesprochen, und der hat mir aufgrund von Ansteckungsgefahr und Keimdichte natürlich davon abgeraten. Ich habe mir dann noch eine Zweitmeinung von meiner Hausärztin eingeholt, die das Ganze etwas entspannter gesehen hat, und bin dann schlussendlich doch los.
GEO: Wie hast Du die Stimmung an Bord empfunden und welchen Stellenwert hatte die jeweilige Krankheit?
Hauke: Es herrscht schon von Anfang an Aufbruchsstimmung, auch wenn wir Fremde waren und uns erst mal ein wenig kennenlernen mussten. Das ging dann aber relativ schnell, als die See das erste Mal etwas rauer war und wir im Team funktionieren mussten. Die Krankheit war für mich immer dann ein aktuelles Thema, wenn ich die Einschränkungen gemerkt habe, beim Segel setzen und so. Meistens haben wir abends oder in Ruhephasen sehr intensiv über das Leben mit der Krankheit gesprochen, allerdings ohne Mitleid, es war eher ein Austausch an Erfahrungen. Ich fand das wichtig und gut, zu merken, dass man auch als junger Mensch nicht alleine dasteht mit der Krankheit.
GEO: Was konntest Du für Dich aus der Reise ziehen?
Hauke: Im Grunde haben mir diese zehn Tage wieder gezeigt, was ich tun kann, um glücklich zu sein und auch, dass ich körperlich viel mehr leisten kann, als ich dachte.