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Nicaragua Die zwei Gesichter des Ökotourismus

Der boomende Ökotourismus auf der Insel Ometepe im Nicaraguasee ist auch für die Einheimischen eine wirtschaftliche Chance – wenn sie daran teilhaben können, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg
Nicaragua: Der Vulkan Concepción ist aktiv und ist zum letzten Mal im Jahr 2010 ausgebrochen. Zusammen mit dem Vulkan Maderas formt er das Gesicht der Insel Ometepe
Der Vulkan Concepción ist aktiv und ist zum letzten Mal im Jahr 2010 ausgebrochen. Zusammen mit dem Vulkan Maderas formt er das Gesicht der Insel Ometepe
© Volanthevist/Moment Open/Getty Images

Mit knirschenden Reifen kämpft sich der Minibus vorwärts, die Temperatur im Innenraum steigt. Je weiter sich der Wagen ins Innere der Insel vorarbeitet, desto steiniger wird der Weg - und desto beeindruckender die Aussicht: Die schroffe, umwerfend schöne Landschaft von Ometepe präsentiert ein Postkartenmotiv nach dem anderen: den riesigen Nicaraguasee, die quirlige Stadt Moyogalpa und die beiden Vulkane Concepción und Maderas.

Ometepe in Nicaragua ist mit rund 30.000 Einwohnern und 270 Quadratkilometern die größte vulkanische Insel in einem Süßwassersee. Und offensichtlich ein Traum für Menschen, die ihrer Reise einen grünen Anstrich verpassen möchten: Unzählige Schilder weisen den Weg zur nächsten "Ecolodge", die sich mal als unauffälliges Häuschen, mal als schicke Finca mit Pool präsentieren. Eco – das klingt nach Strom aus Sonnenenergie, Mülltrennung, Bio-Bananen und nach Fairness. Viele Unterkünfte werben damit, verantwortungsvoll mit der Umwelt umzugehen, manche nutzen alternative Energien und kompostieren ihren Müll.

Gute Ansätze, findet Alvaro Molina. Er sitzt mit ernster Miene und kurzen Hosen vor einem Teller Möhrensalat im Restaurant seiner Hacienda Mérida, zu der sich der Minibus nach anderthalb Stunden Fahrt geschleppt hat. "Für mich bedeutet der Begriff Eco aber viel mehr. Es geht um Verantwortung, nicht nur der Umwelt gegenüber, sondern vor allem der lokalen Bevölkerung." Diese Idee lebt Molina auf seiner Hacienda, seit das "Nicaraguan Institut of Tourism" ihm 2002 das Grundstück der ehemaligen Kaffeefarm überschrieb. Er ließ die alten Häuser renovieren und eröffnete ein Hotel, das heute mit elf Unterkünften und 18 Angestellten Besucher aus aller Welt empfängt. Seine Idee ging von Anfang an über den Tourismus hinaus. Aus dem Gebäude neben dem Restaurant ertönen Kinderstimmen. Molina ließ auf dem großen Grundstück eine kleine Schule errichten, die sich aus den Einkünften des Hotels und Spenden finanziert. "Es ist eine öffentliche Schule, die privat geführt wird, die Eltern müssen nichts bezahlen. 25 Kinder aus dem Dorf werden hier unterrichtet, und wir wollen weiter wachsen." Die Schule ist bilingual und legt den Fokus auf solide Englisch-Kenntnisse. Denn trotz eines in den letzten Jahrzehnten verbesserten Bildungssystems gehen viele Kinder auf Ometepe nur wenige Jahre zur Schule, Englisch sprechen die wenigsten. "Bildung ist eine Möglichkeit, an der touristischen Entwicklung zu partizipieren. Englisch öffnet den jungen Nicas hier viele Türen, denn etwa 50 Prozent der Touristen kommen aus Europa oder Nordamerika", betont Molina.

Nicaragua: Alvaro Molina erklärt, wie er aus Plastikflaschen nicht nur Häuser baut, sondern das Sammeln der Flaschen ebenfalls in ein faires Geschäftsmodell umgewandelt hat
Alvaro Molina erklärt, wie er aus Plastikflaschen nicht nur Häuser baut, sondern das Sammeln der Flaschen ebenfalls in ein faires Geschäftsmodell umgewandelt hat
© Isabel Ehrlich

Auf der Hacienda Merida sind fast alle Mitarbeiter Einheimische. Nicht alle sprechen Englisch, doch zusammen mit denen, die es können, funktioniert der Betrieb. Einer von ihnen ist der 19-jährige Darwin Barrios. Fast akzentfrei erzählt er von den Möglichkeiten, die sich durch den regelmäßigen Englischunterricht für ihn ergeben haben. Er arbeitet an der Rezeption, kann von dem Geld seine Familie unterstützen. "Meine Familie ist sehr stolz auf das, was ich mache", sagt er lächelnd. Einen Tisch weiter spricht ein Tourguide mit neuen Besuchern. Auch er hat hier Englisch gelernt. Für die Zusammenarbeit gibt es einen Deal: "Die Tourguides sammeln Müll in 10-Liter-Kanistern. Für jede Flasche dürfen sie eine Tour machen", erklärt Molina. "Die Flaschen bilden das Fundament für die Mauern und Möbel der Schule."

Kunden für die Tourguides gibt es genügend. Zwar steckt der Tourismus des Landes im Gegensatz zum Nachbarn Costa Rica noch in den Kinderschuhen. Doch die Zahl der Besucher wächst kontinuierlich. Im Jahr 2008 verzeichnete die World Tourism Organization rund 1 Millionen Ankünfte ausländischer Touristen, im Jahr 2012 waren es bereits über 1,2 Millionen. Die Insel Ometepe steht bei vielen Touristen auf der Agenda, liegt der Fähranleger in San Jorge doch strategisch günstig am Südzipfel des Landes. "Allein auf unserer Inselhälfte ist die Zahl der Unterkünfte in den letzten 14 Jahren von nur einer Finca auf 22 gewachsen", weiß Molina. Fast alle bieten ihren Gästen geführte Touren an, Wanderungen auf den Vulkan, Ausritte zum Wasserfall. "Die Inhaber wissen genau, was ihre Gäste wollen. Das liegt auch daran, dass viele von ihnen selbst Europäer und Amerikaner sind." Und hier sieht Molina ein weiteres Problem. Er sei grundsätzlich für Investitionen, betont er. "Doch wenn rund 75 Prozent der Hotelbetreiber aus den USA oder Europa stammen, herrscht ein Ungleichgewicht."

Chancen bleiben ungenutzt

Ein Stück weiter nördlich, zwischen den Ortschaften Santa Cruz und Balgüe, sitzen Eileen Warren und Darrin Schellenberg auf der Terrasse ihres Hauses. "Als wir 1998 das erste Mal herkamen, haben wir uns in die Insel und die Menschen verliebt", sagt Warren. "2001 haben wir das Stück Land gekauft und sind geblieben." Das Paar stammt aus Kalifornien, beide hatten saisonale Jobs, reisten viel. "Wir hatten den Traum, unsere eigenen Lebensmittel anzubauen. Wir haben gelernt, landwirtschaftlich zu arbeiten und uns weitestgehend selbst zu versorgen", erzählen sie. 'La Via Verde', der grüne Weg – der Name ihres kleinen Bed & Breakfast, in dem sie zwei Zimmer vermieten, ist gleichzeitig eine Art Lebensphilosophie. Den Begriff "Eco" vermeiden die beiden, er ist ihnen zu schwammig. "Ich weiß nicht, ob die Touristen wirklich auf solche Begriffe anspringen. Wir nennen uns lieber 'Organic Farm', uns geht es um das einfache, natürliche Leben ohne Pestizide und mit möglichst wenig Müll", sagt Warren.

Der Einstieg in den Tourismus war eher zufällig. Erst ließen sie ein paar Missionare bei sich übernachten, dann kamen die ersten Anfragen von Urlaubern. "Mit dieser touristischen Entwicklung hätten wir erst in 20 Jahren gerechnet", betont Schellenberg. "Für die Einheimischen kam die Entwicklung auch sehr überraschend", ergänzt seine Partnerin. "Und sicher ist nicht jeder glücklich über die Veränderungen. Aber der Tourismus birgt auch Chancen für die Bevölkerung." Natürlich könne nicht jeder Kleinbauer aus dem Stegreif ein touristisches Business starten. "Aber die Einheimischen können auf anderem Wege am Tourismus partizipieren, indem sie Fahrräder und Pferde verleihen, Touren anbieten. Dafür können sie mit ausländischen Hotelbesitzern kooperieren und lernen gleichzeitig, was die Touristen erwarten." Das Bildungssystem müsse deutlich ausgebaut werden, bestätigt das Paar Molinas Einschätzung. Dennoch wünscht sich Warren oft mehr Eigeninitiative: "Ich habe das Gefühl, dass sich manche Einheimischen noch schwer damit tun, sich auf etwas Neues einzulassen."

Nicaragua: Die Stadt Moyogalpa liegt idyllisch zwischen dem Ufer und dem Vulkan Concepción und erfreut sich an immer mehr Besuchern aus dem In- und Ausland
Die Stadt Moyogalpa liegt idyllisch zwischen dem Ufer und dem Vulkan Concepción und erfreut sich an immer mehr Besuchern aus dem In- und Ausland
© Isabel Ehrlich

Zurück auf der Hacienda Merida. Alvaro Molina möchte noch über das Thema Wasser reden. Es sei nämlich nicht selbstverständlich, dass es permanent zur Verfügung steht - zumindest nicht für die Einheimischen. Sauberes Quellwasser wird über Rohre von der Spitze des Vulkans ins Dorf geleitet. "Viele Fincas haben sich relativ weit oben angesiedelt und haben so schneller Zugang zum Wasser als viele der Kleinbauern, die nah am See wohnen", beklagt Molina. "Heute Morgen kam in meinem eigenen Haus kein Wasser aus der Dusche, während weiter oben in den sogenannten Eco-Lodges die Pools permanent gefüllt sind." Verantwortlich für die Aufteilung des Wassers ist das sogenannte Water Committee. Auch Eileen Warren und Darrin Schellenberg beschäftigt die Thematik seit Jahren: "Viele der großen Hotels haben eigene Wassertanks. Als wir vor ein paar Jahren erfuhren, dass der Speicher für das ganze Dorf Madronal nur rund 7400 Liter fasst, viele Fincas aber Tanks mit bis zu 40.000 Litern hatten, gab es viele Beschwerden", erzählt Warren. Mittlerweile wurde das System verbessert und der öffentliche Tank vergrößert. "Wirklich limitiert wird der Verbrauch aber immer noch nicht. Viele große Hotels haben nach wie vor große Speicher für ihre Pools, während es bei uns und der lokalen Bevölkerung in der Trockenzeit oft knapp wird." Fair wäre es, findet Warren, wenn jeder gleich viel Wasser zur Verfügung hätte.

Es gibt noch einiges zu tun auf Ometepe, Politik, Einheimische und ausländische Investoren müssen noch besser kooperieren - da sind sich alle einig. Doch Molina freut sich über die positiven Beispiele: Darwin, der seit einigen Monaten eine feste Stelle in der Hacienda Merida hat, reist in diesem Sommer zum ersten Mal nach Costa Rica. Sein Englisch ist mittlerweile so gut, dass ihn ein Freund aus den USA für eine Reise durch das Land angeheuert hat – als Übersetzer.

Anreise und Unterkünfte Ometepe

Anreise

Ab San Jorge fahren stündlich Fähren bis Moyogalpa. Die Überfahrt dauert eine Stunde. Es gibt auch Fährverbindungen zwischen Granada und Ometepe, allerdings wesentlich weniger frequentiert. Von Moyogalpa aus fahren Busse, Taxen und Minibusse zu allen gewünschten Zielorten. Die meisten Unterkünfte organisieren Transporte vom und zum Fähranleger. Achtung: Unbedingt Geld mitbringen oder in Moyogalpa zum Bankautomaten gehen. In den kleinen Orten abseits der Häfen gibt es keine Banken.

Unterkünfte

Auf Ometepe gibt es nur wenige Straßennamen und praktisch keine Hausnummern. Wichtig ist der Name des (nächstgelegenen) Dorfes und sowie der Unterkunft, dann kennen die meisten Taxi- und Busfahrer den Weg.

Westliche Inselseite/ Vulkan Concepción

The Corner House Bed & Breakfast Moyogalpa, Main Street, einen Block vom Fähranleger entfernt Tel. 00505-25694177 www.thecornerhouseometepe.com

Finca San Juan del Isla Nähe Altagracia, El Quino, 200 Meter nördlich, 2,3 Kilometer westlich Tel. 00505-88860734/ 00505-86909563 www.sanjuandelaisla.com

Östliche Inselseite/ Vulkan Madéras

La Via Verde, Bed & Breakfast El Madryonal, Busse Richtung Balgüe Tel. 00505-84358667 viaverde.blinkweb.com

Hacienda Mérida Mérida, Isla Ometepe Tel. 00505-88688973 www.hmerida.com

Finca Magdalena Nahe Balgüe, ca. 20 Minuten Fußweg von der Hauptstraße Tel. 00505-84981683 www.fincamagdalena.com

Totoco Ecolodge Nahe Balgüe, oberhalb der Hauptstraße Tel. 00505-83587718 / 00505-86598558 www.totoco.com.ni

Lesenswertes zum Thema Ökotourismus

In der Nähe des Fischerdorfs El Ostional an der Pazifikküste Nicaraguas können Touristen die nächtliche Arbeit der Schildkrötenschützer miterleben. Durch den Tourismus will die Gemeinde eine Alternative zum Handel mit Schildkröteneiern finden. Eine Reportage von Mirco Lomoth (Länge: 12:18 Min; 12,6 MB)

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