Herr Frenz, was fasziniert Sie an der Kryptozoologie?
Ich habe Bücher über die Entdeckung unbekannter Tierarten schon als kleiner Junge verschlungen, "Auf der Suche nach dem Beutelwolf" und so etwas. Das waren einfach Abenteuerbücher für Jungs. Dazu kommt der Gedanke, dass solche Entdeckungen heute noch möglich sind. Dass Wunder möglich sind. Außerdem ist es für mich als Journalisten eine tolle Möglichkeit, Wissen über Naturschutz und Evolution zu vermitteln ...
... in einer Welt, in der Biologen immer wieder den Artenschwund beklagen ...
Ich finde es wichtig, dass man auch mal sagt, es ist nicht alles nur schlecht oder apokalyptisch. Es gibt auch noch etwas, das wirklich zum Staunen ist. Und Staunen braucht man, um sich zu engagieren. Man findet immer noch neue, große, spektakuläre Arten. Anfang der Neunziger wurden in Vietnam ein paar neue Tierarten entdeckt, das Waldrind Pseudoryx nghetinhensis, beispielsweise. Das hat mich wirklich elektrisiert. Es gibt noch Überraschungen. Man sieht per Satellit aus dem All nicht alles.

Die Kryptozoologie ist immer noch vom Nimbus des Geheimnisvollen umgeben ...
Sicher. Ursprünglich hat sich die Kryptozoologie ja mit Monstern beschäftigt. Großen, spektakulären Ungeheuern wie Nessie oder Bigfoot. Aber in den vergangenen Jahren hat der Begriff eine Ausweitung erfahren, man fasst jetzt darunter auch die Suche nach Tieren zusammen, die es wirklich gibt. Diejenigen, die neue Tierarten finden, Marc van Roosmalen zum Beispiel, sind häufig Wissenschaftler, die eigentlich etwas ganz anderes erforschen wollten. Und dabei auf solche Tiere stoßen.
Hatten Sie selber einmal Jagdglück?
Ja, ich habe mit Marc van Roosmalen das Riesenpekari entdeckt. Ich bin 2002 zum ersten Mal bei ihm gewesen. Da hatte er schon zwei oder drei Felle bei sich zu Hause. Ich habe gleich gesehen, dass die wirklich ganz anders sind als die anderen Pekaris. Ich sollte damals für GEO nur ein kleines Porträt über Roosmalen schreiben. Aber daraus wurden dann zwei Expeditionen von über drei Monaten - und ein Film für den NDR über unsere Entdeckung. Das Riesenpekari hätten wir heute nicht, wenn wir diesen Film nicht gemacht hätten.
Welchen Anteil hatten Sie an der Entdeckung?
Ich hatte die Idee zu diesen Expeditionen mit Marc und habe sie ausgerüstet. Unterwegs haben wir gemeinsam seine Arbeitsweise bei der Suche nach neuen Arten nachvollzogen: Er nimmt erst mal das wörtlich, was die Jäger vor Ort sagen. Darauf gibt er viel. Das ist eine klassisch kryptozoologische Vorgehensweise. Also habe ich unterwegs in den Dörfern immer dieselben standardisierten Fragen gestellt: "Wie viele Pekari-Arten kennt ihr, wie sehen die aus?" Und überall habe ich die gleichen Antworten bekommen. Die Jäger konnten sich nicht untereinander abgesprochen haben, um uns etwas zu erzählen, was wir unbedingt hören wollten. Das fand ich wirklich beeindruckend.
Sie sind selber Biologe. Wird man von "seriösen" Wissenschaftlern als Kryptozoologe nicht belächelt?Die Kryptozoologie ist ja keine offizielle Wissenschaft, sondern eher eine Herangehensweise, die bestimmte, oft ungenutzte Informationen nutzt: alte Legenden oder Berichte von Einheimischen. Ich habe von ganz vielen Universitätsprofessoren gehört, die das alle total spannend finden. Und alle sagen, es traut sich nur keiner, das offen auszudrücken. Weil es natürlich etwas mit großen Träumen zu tun hat, solche Tiere zu finden. Das ist doch der Traum eines jeden Biologen. Aber nach außen hin sind viele lieber vorsichtig und halten Distanz, damit sie nicht als unseriös betrachtet werden.
Was ist Ihr Lieblings-Kryptide?Das sind eigentlich zwei: Der eine ist der Orang-Pendek auf Sumatra. Der so genannte "kleine Mensch", der dort in den Wäldern leben soll. Nach allem, was ich dort gehört habe ? Ich habe so ein Gefühl - und es geht oft ums Gefühl, was man überhaupt für möglich hält - dass, wenn irgendwo noch eine richtige Überraschung lauern könnte, dann dort. Der andere ist der Beutelwolf, weil das ein Tier ist, das es bis gestern noch gab.
Was glauben Sie denn? Lebt der Beutelwolf?Ich war ja selber mal auf Tasmanien, insgesamt drei Monate, und habe einen Film über den Beutelwolf gemacht. Und ich bin mit dem Gefühl da runter gefahren, dass das möglich sein könnte. Ich habe dann mit etlichen Augenzeugen gesprochen. Und als ich wieder weggefahren bin, hatte mich dieses Gefühl verlassen. Anders kann ich das nicht ausdrücken. Es gibt dort natürlich große Wälder, aber die entsprechen gar nicht dem Lebensraum des Beutelwolfs. Es ist für mich einfach kaum vorstellbar, dass dieses Tier auf dieser Insel seit fast 70 Jahren unentdeckt geblieben sein soll.
Tut das weh?Es ist auf jeden Fall schade, dass er wohl wirklich weg ist. Aber es war spannend, dort die Geschichten von Augenzeugen zu hören, die den Beutelwolf gesehen haben wollen. Das sagt ja trotzdem etwas über den Menschen und seine Sehnsüchte aus. Ich habe dort so viele wunderbar schrullige, vor allem ältere Männer getroffen, die immer noch nach dem Beutelwolf ihrer Kindheit suchen. Ich glaube, der Beutelwolf ist erst endgültig ausgestorben, wenn auch diese Männer tot sind.

Buchtipp
Lothar Frenz:Riesenkraken und Tigerwölfe. Auf den Spuren der KryptozoologieRowohlt TaschenbuchReinbek 2003
ISBN 3499616254