Eine Biene oder Hummel sieht Blumen anders als ein Mensch. Für unsere Spezies spielen Blüten als Nahrungslieferanten keine Rolle, und wir sehen auch nicht die gleichen Farben wie die auf Blumennektar spezialisierten Tiere, deren Wahrnehmungsspektrum zum kurzwelligen UV-Bereich hin verschoben ist und kein Rot enthält. In einem ungewöhnlichen Projekt an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst haben nun der Verhaltensbiologe Lars Chittka und der Installationskünstler Julian Walker die Frage untersucht, ob von Menschenhand gemalte Bilder von Blumen auch für eine Insektenspezies attraktiv sind - und wenn ja, welche Gründe das haben könnte.
Zu diesem Zweck fertigten sie Poster von vier bekannten Ölbildern an. Zwei davon zeigen Blumen (Vincent van Goghs "Sonnenblumen" und Paul Gauguins "Blumenvase"), die beiden anderen nichtpflanzliche Motive (Patrick Caulfields "Tontöpfe" und Fernand Légers "Stillleben mit Bierkrug"). Jede der Abbildungen wurde bei Tageslicht vier Minuten lang einem Schwarm von Hummeln aus drei verschiedenen Stöcken angeboten. Alle Tiere hatten vorher nie echte Blumen gesehen - sie konnten also nicht auf Erfahrungswissen zurückgreifen.
Das überraschende Ergebnis: Zwar waren van Goghs "Sonnenblumen" für die Hummeln am attraktivsten, doch Gauguins "Blumenvase" fanden sie von allen vier Darstellungen am wenigsten anziehend. Was sie anlockte, war in erster Linie eine Farbe im Bereich des so genannten "Bienengrüns", das Menschen als Gelb sehen. Es dient in der Natur dazu, die Insekten aus größerer Distanz zu Blumen hinzuführen. In etwa jedem vierten von 482 Fällen näherten sich die Hummeln einem Bereich in dieser Farbgebung bis auf wenige Millimeter. Van Goghs Blumen zeigen alle diesen Farbton, in Gauguins Bild jedoch kommt er kaum vor.
Wenn sich Tiere allerdings auf den vier Gemälden niederließen, taten sie dies in 26 von 34 Fällen auf den beiden, die Blumen darstellten. Als Anreiz für die Landung machten die Forscher vor allem starke Farbkontraste zwischen Bienengrün (Gelb) und Bienenblau (Blau) aus, welche die Hummeln anzogen. Dabei setzten sich zwei Tiere sogar auf die blaue Signatur van Goghs, die aus dem gelben Hintergrund hervorsticht. Die Präferenz für Blau als Kontrastfarbe erklärt sich früheren Studien zufolge dadurch, dass blaue Blumen meist eine besonders ergiebige Quelle für Nektar bereitstellen; die bevorzugte Farbwahl der Hummeln ist evolutionär begründet. Was Blumen für Menschen so attraktiv macht, ist hingegen aus evolutionärer Sicht schwer zu erklären. Lars Chittka vermutet, sie könnten ein Erkennungsmerkmal fruchtbarer Landschaften sein.