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GEO.de: Der Nürnberger Zoo hat entschieden, der Eisbär-Mutter Vera das Baby wegzunehmen. Wie stehen Sie dazu?
Peter H. Arras: Das war keine tiergartenbiologische Entscheidung, sondern eine kommunalpolitische. Ich bin sicher, dass der Bürgermeister von Nürnberg hier eine Gelegenheit gesehen hat, nach dem Beispiel von Berlin mit einem zweiten Knut Geld zu machen - und dass er entsprechend Druck auf den Zoodirektor ausgeübt hat. Das verurteile ich aufs Schärfste. Der Zoo hat noch einen Tag vor dieser Entscheidung eine ganz andere Position vertreten. Die Bärin hatte, das zeigen auch die Fotos, nicht vor, das Junge zu fressen oder es im Stich zu lassen. Ich finde es auch ungewöhnlich, dass man in diesem sehr sensiblen Zeitraum der ersten vier Wochen - die Öffentlichkeit wusste ja noch gar nichts von den Babys -gleichzeitig verkündet, dass Babys da sind, und dass man nicht eingreifen werde, sollten die Mütter ihre Jungen verstoßen. Mir scheint, die Zoodirektion wollte sich von der Öffentlichkeit die Absolution für die Wegnahme der Jungen erteilen lassen.
Wie hätten Sie entschieden?
Ich bin für die Position, die der Zoo ursprünglich vertreten hat. Man hätte die Mütter entscheiden lassen müssen. Auch auf die Gefahr hin, dass die Jungen dabei zu Tode kommen. Denn es ist immer noch humaner, sie kommen beizeiten durch das Gebiss ihrer eigenen Mutter zu Tode, als dass sie ihr Leben als Retortenbabys fristen.
Welche Überlebenschance hat das Eisbär-Baby?
Die Zoos sprechen von fifty-fifty. Laut Statistik glücken aber nur 20 Prozent der Nachzuchtversuche. Ich finde es schäbig, dass die Zoos sich in einer Sache versuchen, in der sie immer wieder scheitern werden, die Tieropfer in Kauf nehmen – und das womöglich noch als Arterhaltungsmaßnahme bezeichnen. Großtiere wie Elefant und Eisbär sind für Zoos nichts anderes als Besuchermagnete und Statussymbole.
Es geht also nur um Geld und Renommee?
Knut wurde emotional von der ganzen Nation missbraucht. Das hatte mit der Erfüllung eines erzieherischen Auftrages, nämlich Tier- und Naturkunde der Allgemeinheit näher zu bringen, nichts mehr zu tun. Wie wir mit Knut immer noch umgehen, dass zeugt nicht von Respekt, sondern von Vereinnahmung, Projektion, Kompensation. Ich erwarte von einem Zoo, dass er pädagogisch vorgeht und nicht um des Geldes Willen so ein Spektakel zulässt. Leider braucht der Mensch für Tier- und Naturschutz einen emotionalen Aufhänger. Es ist eine traurige Tatsache, dass wir es offensichtlich nicht fertigbringen, aus rein rational-ethischen Erwägungen ein Existenzrecht für Tiere und ihre Schutzwürdigkeit herzuleiten.
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Ein falsches Bild vom Eisbär?
Machen wir uns ein falsches Bild vom Eisbär?
Der Nürnberger Tiergarten berichtet stolz, dass er von Fans gehäkelte Lätzchen geschickt bekommt. Das ist für mich der Beweis für ein völlig missratenes Mensch-Tier-Verhältnis - das natürlich auch durch die Boulevard-Presse geschürt wird.
Und in der Bildzeitung erklärt der Geschäftsführer des Verbandes der Zoodirektoren, Hubert Lücker, "wenn sich bei Knut die Hormone melden, ist das, als ob ein Schalter umgelegt würde". Auch das ist barer Nonsens. Knut wird mit einem Weibchen nichts anfangen können.
Warum?
Knut war vom ersten Tag an ein Flaschenbaby. Gerade in den ersten Wochen ist aber der Geruch der Mutter ungeheuer wichtig, denn der spätere Sexualpartner der Männchen wird vorgeprägt vom Geruch der Mutter.
Wie sehen Sie Knuts Zukunft?
Das Interesse der Öffentlichkeit erlischt, weil das Kindchenschema schwindet. Und für mich steht fest: Berlin kann ihn nicht gebrauchen. Sie können ihn nicht integrieren und sie haben keine Anlage, die sie ihm geben können. Knut hat Millionen in die Kassen der Zoos, der Stadt und der Medien gespült. Wir sollten uns schämen, wenn wir es nicht hinbekämen, Knut eine eigene Anlage zur Verfügung zu stellen. Und wenn sie extra gebaut werden muss.
Man weiß, dass sich manche Tierarten in Zoos wohler fühlen als andere. Wie geht es Eisbären in der Gefangenschaft?
Einige Tierarten kann man in Zoos einfach nicht artgemäß und verhaltensgerecht halten, dazu gehören besonders die Delfine und Walartigen und extreme Nahrungsspezialisten. Der Eisbär gehört meines Erachtens auch dazu, zum Beispiel, weil er in freier Wildbahn nur in seltenen Ausnahmefällen auf Artgenossen stößt oder den Geruch von Artgenossen ertragen muss. Der Bär ist ein sehr sensibles Geruchstier und orientiert sich primär mit seiner feinen Nase. Ich sage nun nicht, man sollte alle Bären einzeln halten. Im Gegenteil, es ist so, dass selbst in freier Wildbahn einzelgängerisch lebende Tiere in Gefangenschaft gesellig gehalten werden sollen. Das wirkt nämlich am besten gegen Langeweile. Artgemäß ist es dennoch nicht, sondern nur das kleinere Übel.
Was ist die Alternative zum lebenden Anschauungsobjekt?
Es gibt gut gemachte Zeitschriften, die es schaffen, Natur und Tiere den Menschen zielgruppengerecht näher zu bringen. Wir haben das Internet, wir haben Dokumentarfilme. Diese Medien müssen schrittweise an die Stelle der Zootiere rücken, weil sie die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum in Würde so zeigen, wie sie wirklich sind.
Viele Tierschützer lehnen die Haltung von Wildtieren in Tiergärten generell ab ...
Ich bin nicht generell gegen Zoos. Die Mutter von Knut zum Beispiel ist ein ehemaliger Zirkusbär. Wenn man in so einem Fall sagt, wir haben Platz, wir nehmen das arme Tier auf, finde ich das in Ordnung. Außerdem schätze ich die Berliner Eisbärenanlage. Sie ist groß und prima strukturiert. Ein positives Beispiel für Eisbärenhaltung in Deutschland. Trotzdem meine ich, dass die Zoohaltung von Tieren, die man nicht artgemäß halten kann, aufhören muss. Einfach dadurch, dass man die Nachzucht unterlässt. ... Und so lange Menschen wie Herr Lücker das Sagen haben, die in Tieren nur automatisierte Kohlenstoffeinheiten sehen und keine Wesen mit einer Psyche - so lange sind die Zoos in den falschen Händen. Wenn wir hier Menschen hätten, die dem Tier als Individuum einen Wert beimessen, und nicht nur als Schau- und Investitionsobjekt, dann würden sich ganz von selbst die Verhältnisse ändern.
Das Interview führte Peter Carstens.