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Bernhard Grzimek: Der Mann, der die Tiere liebte

Bernhard Grzimek war der einflussreichste Naturschützer seiner Zeit. Ein bedeutender Wissenschaftler. Ein Pionier der Ökologie-Bewegung. Und ein TV-Star mit seiner Sendung "Ein Platz für Tiere"

Inhaltsverzeichnis

Reise nach Afrika

Seine Reise begann im Dezember 1957. Da bestieg er mit seinem Sohn Michael in Frankfurt ein Flugzeug, eine Dornier-27 mit Zebrastreifen, und mit der Selbstverständlichkeit derer, die in den Nachbarort aufbrechen, flogen sie los, nach Afrika. Bernhard Grzimek war 48 Jahre alt, ein Zoodirektor aus Hessen mit blauen Augen und klaren Gesichtszügen, 1,90 Meter groß, der davon träumte, der Welt eine Botschaft zu bringen – von der keineswegs feststand, ob sie jemand hören wollte. Serengeti darf nicht sterben!

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Der Flug dauerte zwei Wochen, er führte über Spanien und den Maghreb nach Ägypten, dann weiter bis nach Tanganjika, zu jenem Nationalpark, durch den die letzten großen Tierherden Afrikas zogen. Es herrschte kein Friede in diesem Naturstaat. Die britischen Kolonialherrscher wollten ihn zerschneiden, um Land für Siedlungen zu gewinnen. Noch nie hatten Forscher das Wanderleben der Zebras, Gnus und Antilopen untersucht – niemand wusste, weshalb die riesigen Trecks mal hier, mal dort auftauchten. Viel zu weit streckte sich die Serengeti unter der Äquatorsonne: fast so groß wie Schleswig- Holstein, durchzogen von nur einer Staubpiste.

Zwei Abenteurer der guten Absichten

Drei Naturschützer inszenieren sich als Afrika-Abenteurer: Bernhard Grzimek, sein Sohn Michael und dessen Schulfreund Hermann Gimbel (von links) 1958 in der Serengeti.
Drei Naturschützer inszenieren sich als Afrika-Abenteurer: Bernhard Grzimek, sein Sohn Michael und dessen Schulfreund Hermann Gimbel (von links) 1958 in der Serengeti.
© picture-alliance/OKAPIA KG

"Wir müssen fliegen lernen", hatte Michael gesagt, der 23-jährige Enthusiast und Glücksjunge, aufgewachsen im Zoo zwischen Gorillas und Geparden. Flugzeuge für die Tierforschung: Bernhard Grzimek erkannte, welche Chancen diese verrückte Idee seines Sohnes barg. Aus der Luft könnte man die Tiere zählen, ihre Wanderrouten ermitteln; und damit wissenschaftliche Argumente gegen die geplante Verstümmelung des Naturstaats sammeln. Die Grzimeks würden auch einen Film herausbringen, ein Buch, Zeitungsartikel – eine Serengeti-Kampagne in allen Medien. Deswegen das Zebramuster am Flugzeug, das sie "Ente" nannten. Serengeti von oben: Beim Zählen der Tiere erblickten sie zunächst nur Gewimmel, bis ihre Augen schmerzten. Aber sie übten. Legten Listen an. Teilten das Riesenland in Bezirke, den Boden in Streifen, die sie abflogen, in konstanter Höhe. Jeden Tag verbrachten sie drei Stunden in der Luft.

Heute, im Zeitalter der Peilsender und Satellitenfotos, mutet es wunderlich an, wie die Grzimeks mit der Gründlichkeit preußischer Verwaltungsbeamter zu registrieren versuchten, was kaum zu registrieren war. Stolz verkündeten sie schließlich das Ergebnis: 366.980 große Tiere lebten in der Serengeti; darunter 99.481 Gnus, 57.199 Zebras und 55 Nashörner. Mittlerweile glauben Forscher, dass die Grzimeks damals allein 50.000 Gnus übersahen. Aber darauf kam es nicht an. Nun war eine Methode in der Welt, die bald zu den Standards der internationalen Naturforschung gehörte. Und auch das zählte: Nach all den Flügen mit der „Ente“ kannte Bernhard Grzimek die Savanne besser als jeder andere. Er hatte begonnen, ihre Lebensgesetze zu verstehen.

Die Erforschung der Serengeti war ein Gedankenspiel: Sie lehrte den Zoodirektor, der Tiere in Käfigen hielt, die ökologische Analyse. Die Verwaltungsgrenzen des Nationalparks, das war ihm bald klar, mussten die Zugrouten der Wildtiere abdecken. Aber die Pläne der Briten sahen vor, die Ebenen im Osten von der Serengeti zu trennen; dort sollten Massai mit ihren Herden Platz finden. Michael und Bernhard Grzimek mochten diese feingliedrigen Hirten mit den Speeren und Kuhherden. Manchmal fuhren sie in die boma, die Massai-Runddörfer, und saßen in den Hütten aus Rinderdung. „Er war weiß und groß und ein Fremder“, sagt Joe ole Kuwai, damals 15 Jahre alt. „Wir dachten: Er will uns bedrohen. Wir nahmen unsere Speere. Aber er wollte nur reden.“ Als unbefangene Außenseiter sprachen die Grzimeks mit den Menschen von Gleich zu Gleich; anders als die Kolonialherren. Ein „Schlüsselfaktor“, der Grzimek immer deutlicher vor Augen geriet: Naturschutz hat nicht nur mit Tieren zu tun – er fängt vielmehr bei den Menschen an. Naturschützer sollten Politiker sein, Vermittler, Diplomaten.

Der Tod seines Sohnes

Mehr als ein Jahr verbrachten die Grzimeks in der Serengeti. „Vater und Sohn verstanden sich einzigartig gut“, sagt Hermann Gimbel, Michaels Schulfreund, ein anderer Kameramann. „Sie waren wie ein Paar.“ Und nun waren sie fertig. Sie konnten nach Hause fliegen. Am letzten Morgen Michael war noch einmal gestartet, um Luftaufnahmen zu machen: In Richtung Serengeti flog er, und von dort kam nun, es war der Morgen des 11. Januar 1959, ein Junge gelaufen. Der Wildhüter schicke ihn, sagte er, und reichte einen Zettel durchs Fenster der Hütte.

Ein halbes Jahrhundert später, ein Wintertag im Frankfurter Zoo. Erika Grzimek stützt sich auf ihren Regenschirm. Sie ist eine ältere Dame mit wachen Augen und Dauerwelle. Ihren Michael hat sie in der Tanzstunde kennengelernt; als die beiden heirateten, war sie 22 und er 21 Jahre alt. „Das Telegramm kam an einem Sonntagnachmittag“, erinnert sie sich. „Michael tödlich verunglückt. Alle anderen am Leben.“ Die Dornier war in 200 Meter Höhe geflogen, als ein Gänsegeier gegen den rechten Tragflügel prallte und die Steuerungszüge blockierte. Das Flugzeug raste senkrecht in den Boden. Die Beerdigung fand schon am Tag danach statt, am Kraterrand neben der Straße, wo sich der Blick grandios ins Rund öffnet – Bernhard Grzimek hatte den Ort, an dem er seinen Sohn zurückließ, nach der Wirkung auf künftige Besucher ausgewählt. Später ließ er ein Monument aufstellen: „Er gab alles, was er besaß, für die wilden Tiere Afrikas; auch sein Leben.“

Michaels Vermächtnis

In tierischer Gesellschaft: Bernhard Grzimek mit einem Galago
In tierischer Gesellschaft: Bernhard Grzimek mit einem Galago
© picture-alliance/OKAPIA KG

Zurück in Frankfurt, verwandelte Bernhard Grzimek seine Trauer in Arbeit. Tagsüber quälte er sich in den Zoo, abends kam er in das Büro, das Erika ihrem Mann Michael auf einem Dachboden eingerichtet hatte. Hier schrieb Bernhard, fügte die Bilder, die immer wieder seinen Sohn zeigten, zu einem Film zusammen. Seine Ehe zerbrach in dieser Zeit. Und Bernhard Grzimek schmiedete ein Bündnis mit seiner Schwiegertochter, die ihn jeden Abend mit Brötchen versorgte. 1978 heirateten die beiden. Grzimek trat das Vermächtnis seines Sohnes an: Es lag in Afrika. Dem Schutz der wilden Tiere gehörte jetzt sein Leben. Im Mai 1959 war „Serengeti darf nicht sterben“ fertig. Der Film lief in mehr als 60 Ländern und erhielt als erster deutscher Film einen Oscar. Das Begleitbuch wurde in 23 Sprachen übersetzt. Bernhard Grzimek hatte der Welt ein neues Afrikabild herbeigezaubert: „Afrika“ war kein gespenstischer Dschungel mehr, sondern eine weite, lichte Traumlandschaft; ein fragiles Eden mit Akazien, das man wehmütig betrachtete wie die eigene Lebensgeschichte.

...Eine gute Story! So begannen die Massenmedien, der Sorge um wilde Tiere den Glanz des exotischen Abenteuers zu verleihen. Die Ironie der Kampagne lag darin, dass ihr Anlass verloren gegangen war. Längst nämlich hatten die Briten ihre Pläne in der Serengeti geändert. Sie trennten zwar wie geplant den östlichen Teil des Nationalparks ab und siedelten dort Massai-Hirten an. Doch sie erklärten auch dieses Areal zum Schutzgebiet, das sie streng kontrollierten; die großen Herden konnten weiter wandern. Bernhard Grzimek aber sah schon die nächste Gefahr für die Natur voraus.

Tierschutz als Mission

In Afrika war plötzlich alles anders. Die Kolonialreiche fielen; Tanganijka würde bald Tansania heißen. Kaum vorherzusagen, was der Serengeti und anderen Nationalparks drohte, dem Albertpark in Belgisch-Kongo oder dem Königin-Elisabeth-Park in Uganda. Schon deren Namen verkündeten, dass sie ihre Existenz den Herrschern aus Europa verdankten. Die neuen Führer würden sie auflösen, würden ihre Schätze plündern – für die hungernden Menschen in ihren Ländern; oder für sich selbst. Das glaubten viele. Und so lief Bernhard Grzimek an einem Januarmorgen 1960, wenige Stunden nach der Uraufführung des Serengeti-Films in Tanganjika, durch die Palmenstraßen der Hauptstadt Daressalaam. Parlamentssprecher Julius Nyerere, Hoffnungsträger seines Landes, wartete auf ihn. Noch waren es fast zwei Jahre bis zur Unabhängigkeit, aber wieder vertraute Grzimek seiner Gabe. Er hatte gelernt, dass es darauf ankam, Menschen vom Sinn der Schutzgebiete zu überzeugen. Er musste mit Nyerere reden, jetzt.

Grzimeks Botschaft: Naturschutz lohnt sich

An diesem Morgen hielt er eine Rede, wie er sie noch vielen afrikanischen Politikern vortragen sollte. Er sprach von den Umwälzungen in der Weltgeschichte. Erzählte, dass in Europa und Amerika fast niemand mehr mit Tieren zusammenlebe; dass Nationalparks eine Attraktion seien, für die man Eintritt zahlen werde. Immer mehr Menschen könnten sich Urlaubsreisen leisten. Der Flugverkehr wachse. Auch nach Tanganjika würden Touristen kommen: um sich Giraffen, Elefanten und Löwen anzuschauen. Naturschutz lohnt sich, war die Botschaft dieser Rede. Grzimek überzeugte Nyerere. Auch er, den sie mwalimu nannten, den „Lehrer“, hasste alles Extravagante und neigte zum Missionieren. „Das Wildleben zu erhalten ist eine bedeutsame Angelegenheit für uns alle in Afrika“, verkündete er, nunmehr Ministerpräsident. Und: „Erfolg oder Misserfolg berührt nicht nur den Erdteil Afrika, sondern die gesamte übrige Welt.“ Er klang wie der Erzähler aus Grzimeks Film.

Zurück in Deutschland, sagte Bernhard Grzimek in seiner TV-Sendung, man könne jetzt Pauschalreisen buchen, afrikanische Wildnis, drei Wochen, 2000 Mark. Reiseveranstalter wussten davon nichts. Aber als Kunden nachfragten, mussten sie die Pauschaltrips ins Programm nehmen. Das Ausland zog nach. Grzimek hatte den modernen Afrika-Tourismus herbeigeredet. Heute kommen allein nach Tansania jedes Jahr mehr als eine halbe Million Besucher. Es gibt 15 Nationalparks, der Tourismus ist nahezu ein Milliardengeschäft. Und viele Tansanier bewundern Grzimek bis heute als eine Art Ludwig Erhard; als Vater eines kleinen Wirtschaftswunders.

Die Serengeti heute

Grzimek war der erste Zooleiter, der eine Pädagogin einstellte, und er tat alles, um den Besuchern ein Mini-Serengeti-Erlebnis zu bieten, damit sie ihr Herz für die echte Wildnis entdeckten. Ein radikales Konzept, seiner Zeit weit voraus. Erst in den 1990er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass ein Zoodirektor nicht Tiere sammeln sollte wie ein Philatelist seine Briefmarken. Ein Erzieher soll er sein, der sich an seinem Beitrag für den Naturschutz messen lassen muss. Die Frankfurter bauten Wüstenlandschaften aus Polyester. Sie bearbeiteten Baumstämme mit dem Bunsenbrenner – so lange, bis sie alt aussahen. Bemalten die Rückwände der Käfige so realitätsgetreu wie möglich. Sorgten dafür, dass Besucher zu den Tieren aufschauen mussten, und ersetzten Gitterstäbe durch Glasscheiben. Sie machten den Zoo zur Internationale des Naturschutzes, sie erzählten Geschichten aus der ganzen Welt. Bernhard Grzimek stand jeden Morgen um sechs Uhr auf. Im Zoo trug er sich für alle Sonntagsdienste ein. So sammelte er Ausgleichstage und konnte im Winter einige Monate in Afrika verbringen.

Al Gore seiner Zeit

Je berühmter Grzimek wurde, je älter und starrsinniger auch, desto mehr versteinerte er zu seiner eigenen Legende. Er hatte keine Freunde. Rochus, Michaels Bruder, zog sich zurück aus dem Leben dieses Mannes, der seinen Charme für den Naturschutz verschwendete und sich doch einkapselte in Sprachlosigkeit. Der sein Zuhause als fröhliche Wohngemeinschaft von Tier und Mensch inszenierte, aber zwei uneheliche Kinder zeugte. Ein weiteres Kind, Thomas, sein schwarzer Adoptivsohn, nahm sich das Leben.

Bernhard Grzimek radikalisierte sich. Seine Sorge um die Plünderung der Erde durch eine wachsende Menschheit kannte keine Grenzen: Was also sprach dagegen, den Kampf für die Tiere auf die ganze Welt auszudehnen? So wuchs Grzimek in seine wichtigste Rolle hinein. Die des Mahners, des Al Gore seiner Zeit. Er wusste, dass es darauf ankam, das Fernsehen zu nutzen. Vor jeder TV-Sendung lief er durch den Zoo und wählte ein Tier für den Studioauftritt aus. Ein Pfleger musste es abrichten, zum Hessischen Rundfunk begleiten und mit Futter ruhig halten, während Grzimek moderierte. Auf dem Bildschirm war immer nur er mit „seinem“ Tier zu sehen, das ihm wundersam gehorchte. „Ein Platz für Tiere“ wirkte auch nach den Maßstäben der 1960er und 1970er Jahre dilettantisch, wie ein Diavortrag, voll mit Versprechern und Ach-übrigens-Anekdoten. Dabei hatte Grzimek jedes Wort, jeden Zwischenschnitt genau kalkuliert. „Er erarbeitete sich einen Gemütlichkeits-Bonus. So konnte er Dinge sagen und zeigen, die unbequem waren“, analysiert Jens Ivo Engels, Historiker an der TU Darmstadt und Autor eines Buches über „Naturpolitik in der Bundesrepublik“.

Umweltschutz als politisches Thema

Das Wort „Umweltschutz“ ist nicht alt. Zum ersten Mal fiel es wahrscheinlich in Bonn, am 7. November 1969 gegen 16 Uhr, in einer Konferenz beim Innenminister der neuen sozialliberalen Koalition. Hans-Dietrich Genscher suchte nach einem Thema, welches die FDP besetzen konnte. „Environment Protection“, diesen Begriff kannten Genschers Beamte aus den USA; sie übersetzten ihn für eine Abteilung in ihrem Ministerium. Die Politik adoptierte den Umweltschutz, welch eine Revolution. Bis dahin hatten sich viele Deutsche damit beschäftigt, in den Aufschwung der 1950er und 1960er Jahre zu taumeln; als Nutzer, nicht als Freunde der Natur. Greenpeace? Schon das Wort verstand niemand.

Im November 1971 kannten dann schon 90 Prozent der Deutschen das neue Wort Umweltschutz. Die sozialliberale Koalition hatte ein „Sofortprogramm“ aufgelegt, sie hatte den Bleigehalt im Treibstoff beschränkt, die Luftverschmutzung und die Abfallmenge, und Willy Brandt hatte sich ein prominentes Gesicht ins Kanzleramt geholt: Bernhard Grzimek, erster Beauftragter einer deutschen Regierung für den Naturschutz. Grzimek hoffte auf den Wandel von oben, aber er scheiterte an der Politik. Oder die Politik scheiterte an ihm. Das Landwirtschaftsministerium, nicht Genschers neue Abteilung, war für die Natur zuständig. Und wenn der Minister Ertl mit Umweltschützern im Helikopter über Deutschland flog, dann sagte er: „Was wollen Sie denn, ist doch alles grün.“ Bernhard Grzimek, der Autokrat, hasste die „Sachzwänge“. Als er merkte, dass er hier nicht gewinnen würde, trat er zurück.

Was blieb: Wandel von unten. Bürgerinitiativen. Schon 1972 engagierten sich eine halbe Million Menschen, sie begriffen Naturschutz als kritisches, „linkes“ Anliegen. In wenigen Jahren bildete sich, was wir heute Umweltbewusstsein nennen. „Die Umweltbewegung war bei uns von Anfang an in die Gesellschaft integriert; viel stärker als in anderen Ländern“, sagt Jens Ivo Engels, der Historiker. „Grzimek hatte dem Bürger im Fernsehsessel vermittelt, dass Protestieren nicht unanständig war.“ Grzimek spürte: Jetzt war er da, der große Aufbruch. Mit prominenten Mitstreitern wie dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz und dem TV-Journalisten Horst Stern gründete er den Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Vom Politiker zum Anti-Politiker: Bernhard Grzimek verkörperte nun den Typus, der später mit den Grünen die Parlamente eroberte. Er besaß Meinungsmacht, Spendengelder, Kontakte; er machte Politik und war ihr doch immer voraus.

Naturschutz in Deutschland

Und Grzimek versuchte, seinen Traum zu verwirklichen: eine deutsche Serengeti. Er fuhr oft nach Tansania, in das Land, in dem sein Kampf begonnen hatte. Ließ sich aus dem Flugzeug die Herden zeigen und wollte kaum glauben, dass inzwischen schon eine Million Gnus über die Ebenen wanderten, zehnmal mehr als früher. Die Serengeti: Statussymbol des internationalen Naturschutzes. Sein Lebenswerk. Hubert Weinzierl traf Grzimek im Januar 1966 in Arusha, unterhalb des Kilimandscharo. Weinzierl hatte sich in der Serengeti umgeschaut, um zu lernen, wie das geht: einen Nationalpark aufzubauen. Auch er wollte ein Schutzgebiet mitten in Deutschland: im Bayerischen Wald.

In der Serengeti hatte er Grzimeks neues Buch gelesen, eines von 19, „Wildes Tier – Weißer Mann“. Nein, klagte Grzimek plötzlich darin, in Europa werde es nicht gelingen, „für unsere Enkel noch einen Teil der eigenen, unberührten Natur zu erhalten“. Weinzierl überreichte Grzimek dessen eigenes Buch. Die pessimistische Passage war angestrichen und mit dem Kommentar versehen: „Hier irrt Grzimek.“ „Dann wollen wir uns das mal anschauen“, sagte der. Im Frühjahr fuhren sie nach Bayern. Das größte ursprüngliche Waldgebiet Mitteleuropas, Grzimek war begeistert, und er dachte sofort, was er immer dachte. „Hier gehören Bären rein!“ Er startete die Kampagnenmaschine.

Der erste Nationalpark

Grzimek erzählte in seiner TV-Sendung vom Bayerischen Wald, rief dazu auf, Geld für 300 Braunbären zu spenden. Mit Weinzierl besuchte er den Ministerpräsidenten in München. Als sie die Staatskanzlei verließen, redete Grzimek in alle Kameras: „Wir haben den Nationalpark beschlossen!“ Hatten sie nicht; aber nun verwandelte Grzimek die Debatte in ein Perpetuum mobile. Am 7. Oktober 1970 wurde der erste deutsche Nationalpark eröffnet. Ohne 300 frei lebende Bären. Immerhin, Grzimek und Weinzierl konnten Luchse, Wisente und Wölfe in Gehegen ansiedeln. Jäger und Forstleute verhinderten mehr. Im Bayerischen Wald ruht die Jagd bis heute nicht. So gelang Bernhard Grzimek nur ein halber Sieg. Natur in Deutschland, sich selbst überlassen: Das bleibt die Utopie.

Die Letzte PR-Kampagne des Bernhard Grzimek, so scheint es, war sein eigener Tod. Am 13. März 1987 starb er, 77 Jahre alt, bei einer Vorstellung des Zirkus Althoff in Frankfurt. Der Empfangschef hatte ihn zur Loge gebracht; als Grzimek sich hinsetzte, kippte sein Körper vornüber. Seine Asche wurde nach Tansania geflogen. Joe ole Kuwai verwahrte sie in seinem Boma, jener Massai, der sich als Kind vor dem großen, weißen Fremden gefürchtet hatte. Heute arbeitet er als Naturschützer in der Serengeti. Soldaten feuerten Salutschüsse ab, als die Urne sich ins Grab am Ngorongoro-Krater herabsenkte, zu Michael.

GEO Nr. 04/08 - Bernhard Grzimek

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