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Flughunde: Die Vollversammlung der Flatterwesen

Tagsüber hängen sie als Kontakt-Künstler in dicken Trauben an ächzenden Bäumen, nachts bringen Millionen von ihnen die Luft zum Vibrieren - der jährliche Einfall der Flughunde in Sambias Kasanka-Nationalpark hat Weltrekordniveau. Vermutlich treffen sich nirgendwo sonst auf der Welt derart viele Säugetiere auf derart kleinem Platz. Und das ist ihm denn auch anzusehen

Inhaltsverzeichnis

Flugschau der Flattertiere

Genauer betrachtet, ist der afrikanische Busch ziemlich erschreckend. „Sieh nur!“, haucht Jill. Sie macht eine Kopfbewegung gen Himmel, wo gerade das letzte blaue Fenster hinter schwarzen Vorhängen verschwindet. „Und dort!“, ruft Lee-Anne, deren weit aufgerissene Augen zwei gleichzeitig auf dem Horizont einschlagende Blitze widerspiegeln. Ich verhalte mich still, es kann ja noch schlimmer kommen. Wenn sich jetzt zum Beispiel diese düsteren Wolken über uns ausregnen würden. Ja, genau so, wie es augenblicklich geschieht. „Oh, mein Gott!“, resümieren Jill und Lee-Anne unsere Lage.

Flugschau der Flattertiere

Da stehen wir nun, von oben und unten gut gewässert in dieser Sumpfwiese im sambischen Nationalpark Kasanka, knapp 100 Kilometer östlich der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo, wie betäubt vom Gewitterdonner, und ringen um frischen Mut. Und den brauchen wir: Dunkle Flugobjekte halten auf uns zu. Hunderttausende! Millionen? Zehn Meter hoch fliegen sie über unsere Köpfe hinweg, die wir dennoch instinktiv einziehen.

Im Wetterleuchten sehe ich eines dieser Wesen für Sekundenbruchteile genauer: Hundeschnauze. Glubschaugen. Muskulöse Spindelarme, an deren Enden sich tentakellange Fingerknochen befinden. „Wie wundervoll!“, ruft Lee-Anne ergriffen. Und Jill fragt plötzlich ganz ruhig: „Wie wär’s mit einem Glas Wein?“ Die beiden haben sich auf diesen Abend gründlich vorbereitet. Jill Derderian, die an der amerikanischen Botschaft in Lusaka arbeitet, mit einer Flasche Sauvignon. Lee-Anne Singh, indem sie ihren Geländewagen für die Fahrt aus Sambias sechs Autostunden entfernter Hauptstadt fit gemacht hat. So kann nun Leslie, unser Safari-Führer, die Flasche aus der Eisbox im Kofferraum fischen.

Forscher bestücken starke Männchen mit federleichten Halsbändern, an denen Sender haften
Forscher bestücken starke Männchen mit federleichten Halsbändern, an denen Sender haften
© Kieran Dodds/Rex Features

Schnell trinken, rät er, sonst gerät mehr Regen als Wein ins Glas. Wir erheben die Gläser zum Himmel und sprechen bewegt: „To the straw-coloured fruit bats!“ Eidolon helvum, der Palmenflughund. Wie ihr englischer Name verrät, tragen die Geschöpfe, die gerade über unsere Köpfe hinweggerauscht sind, eine Art strohfarbenen Kragen um den Nacken herum; und er zeigt an, dass sie sich von Früchten ernähren.

Sie sind zu groß, um "Mäuse" zu heißen

Zusammen mit den Fledermäusen gehören Flughunde zur großen Gruppe der Fledertiere. Dass sie nach dem Haustier benannt sind, hängt mit ihrer Kopfform zusammen. Ausgewachsen haben die Tiere eine Flügelspannweite von 80 Zentimetern, sind etwa 300 Gramm schwer - und damit auch einfach zu groß, um „Mäuse“ zu heißen. „Angezogen von der Vielfalt und Menge an wild wachsenden Früchten, die Namen wie 'musuku' und 'mupundu' tragen, kommen jedes Jahr Millionen von Flughunden in unseren Park“, lehrt Leslie im Tonfall des unfehlbaren Naturkenners. „Um Weihnachten herum, wenn sie alles abgeerntet haben, verlassen uns die Tiere wieder.“

Flughunde säen ganze Wälder aus

Das klingt spannend - aber reicht vielleicht noch nicht, um zu verstehen, weshalb vier Erwachsene bei Gewitter im Sumpf stehen und sich beschwipsen. Was man also noch wissen sollte: Die Flughunde gelten als Rekordhalter - sie unternehmen die wohl längste Migration von Säugetieren in Afrika!

Im Vergleich zu der von ihnen zurückgelegten Strecke - mindestens 2000 Kilometer - wirkt die saisonale Wanderung der Gnus in der Serengeti fast kurzatmig. So haben die Flughunde den 420 Quadratkilometer kleinen und unlängst noch kaum beachteten sambischen Park schlagartig berühmt gemacht. Obwohl es da noch ein paar Unklarheiten gibt. Zum Beispiel: Wie viele Millionen Flughunde kommen nach Kasanka? Mindestens fünf, heißt es in einem Bericht der Universität von Florida. „Bwana“ David Lloyd, ein ehemaliger britischer Kolonialbeamter, der den Park seit 1985 in privater Verwaltung führt, spricht dagegen von über zehn Millionen.

Nach sechs Monaten hat eines der Versuchstiere rund 2000 Kilometer hinter sich gebracht
Nach sechs Monaten hat eines der Versuchstiere rund 2000 Kilometer hinter sich gebracht
© Kieran Dodds/Rex Features

Fressen und gefressen werden

Auf mich macht Fibwe Forest den Eindruck eines Afrika- Restaurants à la Darwin. Ein Ort des üppigen Fressens und Gefressenwerdens. Brechen gerade keine Äste ab, sind die Flughunde trotzdem nicht vor dem Hunger anderer sicher. Diverse Greifvögel, etwa Fischadler und Kampfadler, haben den Wald zu ihrem Revier erkoren. Von unserem Hochstand aus können wir gut beobachten, wie sich ein Adler einen Flughund im Vorbeifliegen schnappt. Manchmal, scheint es, pflückt sich ein Greifvogel seine Mahlzeit sogar direkt vom Baum.

Flughunde säen ganze Wälder aus

Wissenschaftlich beschäftigt hat sich mit dieser Population nur Heidi Richter, eine US-Amerikanerin, die vor Jahren als Entwicklungshelferin nach Sambia kam und zufällig auf die gegen Jahresende eintreffenden Scharen von Flughunden aufmerksam wurde. Später kehrte Richter als Biologiestudentin der Universität von Florida in den Kasanka-Nationalpark zurück. Anders gesagt: Ihre Forschungsmittel waren begrenzt.

Dennoch fand sie viel Interessantes heraus. Zum Beispiel, dass die Palmenflughunde, wenn sie abends den Fibwe-Wald verlassen, ihre Nahrung in einem Radius von rund 60 Kilometern suchen, in weit größerer Entfernung als vermutet. Forscher gehen davon aus, dass die Tiere in Zentralafrika bis zu 60 Prozent der nachwachsenden Bäume durch mit ihnen hin- und herreisende Samen aussäen - und damit zum Erhalt des Regenwaldes beitragen.

Fliegende Fruchtpressen

Die Amerikanerin gelangte auch zu dem Ergebnis, dass die von ihr untersuchten Flughunde pro Nacht das bis zu Zweieinhalbfache ihres Eigengewichts an Früchten „verzehren“, wobei der Verdauungs- und Ausscheidungsprozess 20 Minuten in Anspruch nehme. Gehe man davon aus, dass fünf Millionen Flughunde zehn Wochen in Kasanka verweilten, so würden sie in dieser Zeit also 262 Millionen Kilo Obst „konsumieren“. Diese Darstellung bedarf einer Präzisierung: Vielleicht „benutzen“ die Flughunde die angegebene Fruchtmenge, aber sie „verzehren“ sie nicht.

Flughunde sind fliegende Fruchtpressen

„Mit ihren weiten, elastischen Backen können Flughunde große Fruchtfleischstücke aufnehmen“, schreibt Gerhard Neuweiler in seinem Standardwerk ‚Biologie der Fledermäuse‘. „Der Fruchtbrei wird mit der Zunge gegen die nach hinten gerichteten harten Rippen des Gaumens gedrückt und ausgepresst. Der Fruchtsaft wird geschluckt und der Pressrückstand aus Fasern ausgespuckt. Flughunde fressen also keine Früchte, sondern trinken nur den ausgepressten Saft.“ Schließlich sei die Speiseröhre derart eng, dass Fruchtstücke gar nicht verschluckt werden könnten.

Im Dezember 2005 gelang es Heidi Richter, an vier männlichen Flughunden Sender zu befestigen, die von Solarkollektoren über aufladbare Minibatterien gespeist wurden. Alles ultraleicht. Dennoch muss es für die Versuchspiloten eine elende Schlepperei gewesen sein, weshalb die Biologin den kräftigsten unter den vieren „Herkules“ taufte.

Als diese Pioniere den Park um die Weihnachtszeit verließen, konnte der Satellit sie bis tief in den Kongo-Urwald verfolgen. Dort setzten die Signale aus. Vielleicht, wurde vermutet, waren die Batterien leer, weil die Solarkollektoren unter dem Urwalddach keine Sonnenstrahlen mehr auffangen konnten. Vielleicht hatten es die Tiere auch geschafft, sich von den lästigen Geräten zu befreien. Oder aber sie waren aufgefressen worden: von Adlern, Krokodilen oder Pythons.

Flughunde sind verblüffend ausdauernd

Trotzdem: Die Versuchsergebnisse waren spektakulär. Einer der Flughunde befand sich, als er von Richters Radarschirm verschwand, 1200 Kilometer weit entfernt. Und das war nur einen Monat nach seinem Abflug aus Kasanka. Niemand hatte gedacht, dass die offenbar nomadisierenden Flughunde solche Strecken bewältigen. Der letzte, der noch sendete, war Herkules: Sechs Monate nach seinem Abflug aus Kasanka hatte er rund 2000 Kilometer zurückgelegt.

GEO Nr. 07/08 - Wer sind die Amerikaner?

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