Sie sind schon seit dem 19. Jahrhundert aktenkundig: Zehntausende Hunde ohne Halter bevölkern die Straßen der russischen Metropole. Und sie gelten als besonders klug und gerissen – das "wilde" Leben hat durch harte Selektion offenbar ihren Intellekt geschärft, sagt Andrei Pojarkow. Der Biologe vom A. N. Severtsow Institut für Ökologie und Evolution beobachtet die Streuner seit rund 30 Jahren.
Nun aber sind selbst Wissenschaftler verblüfft: Seit geraumer Zeit nämlich machen sich einige der Tiere die Moskauer Metro zunutze, um schneller von einem Ort zum anderen zu gelangen. Und zwar systematisch, schrieb die inzwischen verstorbene Tierpsychologin Natalia Meschkowa von der Lomonossow-Universität in Moskau: Die Streuner steigen nicht einfach irgendwo ein und aus, sondern wählen bewusst ihre Routen. Morgens fahren sie gewöhnlich ins Stadtzentrum, wo sie das meiste Futter ergattern können, um abends wieder in die Vorstädte zurückzukehren. Woran sie sich orientieren, ist bislang unklar. Der Biologe Alexei Wereschtschagin meint, sie imitierten einfach das Verhalten der menschlichen Pendler, was allerdings sehr verwunderlich sei: Normalerweise scheuen Hunde das dichte Gedränge.
Interessant sind auch ihre vielfältigen Strategien, an Essen zu gelangen: Während die "süßesten" Herumtreiber lieb um Happen betteln, schleichen sich andere raffiniert von hinten an Essende heran und bellen dann so laut drauflos, dass die Menschen vor Schreck ihren Snack fallen lassen. In der Metro selbst seien die Streuner meist entspannt und lammfromm, heißt es bei Meschkowa. Sie verteidigen aber ihre Reviere. Die Haltung der Moskauer zu den "Intelligenzbestien" ist gespalten. Während viele stolz auf ihre klugen Streuner sind, versuchen Tierfänger, der Menge Herr zu werden - und erhalten so den Selektionsdruck, dass auch weiterhin nur die besonders Cleveren überleben.
