Mit etwas Glück kann man im herbstlichen Wald Zeuge eines artistischen Spektakels werden — dann nämlich, wenn ein Eichhörnchen ein zweites verfolgt. Oft rennen die rotbraunen Nager in einem halsbrecherischen Tempo hintereinander her, hasten senkrecht einen Baum- stamm hoch, rasen in Sekundenschnelle bis hinauf ins schwindelhohe Geäst. Und sind dabei so rasch unterwegs, dass man Mühe hat, ihnen mit den Augen zu folgen.
Virtuos hangeln sich die Tiere durch das Gewirr von Zweigen, springen von einem Wipfel zum nächsten. Um dann kopfüber an einem Stamm herunterzustürmen — gerade so, als gälte die Schwerkraft für sie nicht.
Kaum ein Waldwesen bewegt sich so meisterhaft durch die Baumkronen wie das Eichhorn. Sein beeindruckendes Ge- schick verdankt der rund 40 Zentimeter lange Nager etlichen körperlichen Besonderheiten. Ausgewachsene Tiere wiegen —dank ihres schlanken Körpers und des extrem leichten Skeletts — gerade mal 400 Gramm. Scharfe Krallen an den höchst beweglichen Zehen bieten selbst auf glatten Baumstämmen sicheren Halt; die Füße lassen sich um 180 Grad nach außen drehen und erlauben so kunstfertige Klettermanöver.
Auch die Sinne der Eichhörnchen sind bestens aufs Klettern ausgerichtet: Die tiefschwarzen Augen gewähren zu beiden Seiten wie nach vorn ein riesiges Gesichtsfeld und hervorragende räumliche Wahrnehmung. Dadurch können die flinken Säuger bei ihren Sätzen die Entfernung zwischen zwei Ästen perfekt abschätzen. Zudem verfügen Eichhörnchen über eine Art sechsten Sinn: An der Schnauze, an Bauch und Beinen wachsen lange, sensible Haare, und diese Vibrissen vermitteln dem Tier ständig wichtige Tasteindrücke über die nähere Umgebung.
Der buschige Schwanz wird multifunktional eingesetzt
Der bis zu 20 Zentimeter lange, buschige Schwanz übernimmt zudem gleich mehrere Funktionen: Beim Klettern verschafft er die nötige Balance, und bei den bis zu fünf Meter weiten Sprüngen (weit mehr als das Zehnfache der Körperlänge!) dient er als Steuerruder — und garantiert so, dass die Nager ihr Ziel in luftiger Höhe treffsicher erreichen.

Darüber hinaus hilft der Schwanz bei der Kommunikation mit Artgenossen. Seitliches Wedeln, dazu rasches Stampfen mit den Pfoten bedeutet zum Beispiel: Ich bin nervös! Ein aufgerollter, zitternder Schwanz, begleitet von einem hörbaren Schnalzen, heißt: Nimm dich in Acht, ich bin wütend!
Die kommunikativen Nager besetzen in der Regel Streifgebiete, die je nach Nahrungsangebot zwischen drei und 14 Hektar groß sind (für ein einzelnes Tier!). Die Territorien überlappen sich oft mit denen von Rivalen und werden daher (bis auf ein Kerngebiet) meist nur schwach verteidigt.
Der Kobel - ein schützendes Heim
In ihren Revieren bauen die Eichhörnchen meist mehrere kugelförmige Nester aus Zweigen. Diese sogenannten Kobel polstern sie mit Moos und Gras, manchmal auch mit Federn weich aus. Die Kugelnester dienen als Basisstationen für allerhand Unternehmungen und als Ruheorte.

So nächtigen die Tiere im wärmenden Schutz eines Kobels, wobei sie ihren kleinen Körper mit dem flauschigen Schwanz wie mit einer Kuscheldecke umhüllen. Auch für den Fall, dass sich ein Feind — etwa ein Baummarder — dem Eingang des Kugelnests nähert, ist gesorgt: Der Kobel besitzt einen von innen verstopften Notausgang, den das Hörnchen schnell freiräumen und zur Flucht nutzen kann.
Eichhörnchen folgen einem routinierten Tagesablauf
Mit den ersten Sonnenstrahlen beginnt der Tag für die kastanienroten Kletterer. Erst recken sie sich, dann steht ausgiebige Körperpflege an. Dazu gehört, sorgfältig mit der Schnauze die Vorderpfoten zu reinigen — sowie mit den Krallenfingern gründlich den Schwanz zu kämmen und von lästigen Parasiten wie Läusen zu befreien. Und manchmal auch: die Zähne zu putzen. Hierfür schälen Eichhörnchen Bast von Ästen ab und ziehen ihn wie Zahnseide zwischen den Nagezähnen hindurch.

Ist das morgendliche Hygieneritual erledigt, geht es auf Futtersuche. Auf dem Speiseplan stehen Samen, Beeren, Pilze, Würmer, Schnecken, zuweilen Vogeleier und sogar Vogelküken. Gegen Mittag ziehen sich Eichhörnchen zur Siesta in einen der Kobel zurück. Und widmen sich dann bis zum Einbruch der Dunkelheit wieder der Nahrungsbeschaffung.
Bis zu 2500 Nüsse, Samen und Eicheln vergräbt ein Eichhörnchen pro Jahr
Gerade im Herbst — wenn der Wald seine Früchte trägt — können die Hörnchen aus dem Vollen schöpfen. Da der Winter naht, ist nun Vorsorge überlebenswichtig: Die emsigen Tiere fressen sich etwas Speck an und sammeln Vorräte.
Gefundene Nahrung unterziehen die Tiere zunächst einer Qualitätskontrolle: Sie nehmen zum Beispiel eine Nuss mit Zähnen und Klauen auf, drehen und beäugen sie kritisch. Scheint sie nicht geeignet für eine Lagerung, wird sie an Ort und Stelle verzehrt. Reicht die Güte aus, gräbt das Hörnchen ein Loch in den Waldboden, lässt den Leckerbissen hineinfallen, drückt ihn mit der Schnauze fest und verscharrt das kleine Depot. Auf diese Weise versteckt ein Eichhorn pro Jahr bis zu 2500 Nüsse, Eicheln und andere Samen!
Beim späteren Wiederfinden der Schätze hilft den Nagern vermutlich ihr gutes Gedächtnis sowie ihr Geruchssinn: Selbst unter einer 30 Zentimeter dicken Schneedecke können Eichhörnchen eine Nuss erschnüffeln. Doch trotz ihrer Cleverness vergessen Eichhörnchen viele Verstecke. Unfreiwillig erweisen sie damit ihrer Heimat, dem Wald, einen unschätzbaren Dienst: Im nächsten Frühjahr keimen aus den verborgenen Lagern unzählige junge Bäumchen. Damit nehmen die Kletterer eine zentrale Rolle im Lebensraum Wald ein: Sie forsten ihn ständig auf.