Vor zwei Jahren im August ging ein dramatisches Bild durch die Medien: 323 Rentiere, dicht an dicht, tot umgefallen auf einem felsigen Plateau im norwegischen Hardangervidda-Nationalpark. Was nach einem sinnlosen Gemetzel aussah, hatte einen meteorologischen Grund: Offenbar hatten sich die Tiere in einem Gewittersturm hier schutzsuchend zusammengedrängt. Und waren dann von einem Blitz getroffen worden. Die extrem hohen Spannungen dürften bei allen Tieren zum Herzstillstand geführt haben.
Die Behörden beschlossen, die Kadaver liegen und der Natur ihren Lauf zu lassen. Ein Glück für die Wissenschaft. Denn zwei Jahre später zeigt sich: Wo massenhaft gestorben wurde, blüht heute ungewohnt üppiges Leben.
Dabei, so schreibt ein norwegisches Forscherteam, sorgten den Kadaver zunächst für weitere Zerstörung. Denn durch die Verwesungsprozesse erhöhte sich der Säuregehalt des Bodens. Und zusätzliche Nährstoffe störten den Stoffwechsel der empfindlichen, an eine nährstoffarme Umgebung angepassten alpinen Pflanzenwelt.
Videoteaser zu dem Forschungsprojekt REINCAR:
Aasfresser sorgen für neues Leben
Für neues Grün sorgten dann vor allem Aasfresser. Mit Wildkameras beobachteten die Forscher Füchse und Vielfraße ebenso wie Raben, Krähen, Adler, Bussarde und kleinere Vögel, die sich nicht nur am verrottenden Fleisch, sondern auch an verschiedenen austretenden Säften labten – und zahllosen Maden. 21 von 24 Proben solcher Ausscheidungen enthielten nicht nur Nährstoffe, sondern auch Samen der Krähenbeere. Die braucht für ihre Ausbreitung Vogelmägen – und zum Keimen genau diese Bedingungen: offenen, nährstoffreichen Boden.

Mit der Krähenbeere könnte sich, zumindest lokal, das ganze alpine Ökosystem verändern. Denn deren schwarze Früchte dienen vielen arktischen Tierarten als wichtige Nahrungsquelle.
Die Forscher nennen ihr Projekt REINCAR – als Abkürzung für Reindeer carcasses (Rentierkadaver), und als Anspielung auf das Wort „Reinkarnation“. Aus toten Lebewesen – so die Idee – sprießt verwandeltes, neues Leben.
