GEO.de: Natur- und Tierfilme sind bei den deutschen Fernsehzuschauern und Kinobesuchern nach wie vor beliebt. Wie erklären Sie sich das?
Dirk Steffens: Da muss ich ein bisschen spekulieren. Mein Eindruck ist, dass die allgemein und zu recht empfundene Bedrohung durch Naturzerstörung dazu führt, dass Menschen sich mehr für Naturthemen interessieren. Gleichzeitig führt wohl die Überforderung durch die globalisierte, naturzerstörerische Welt dazu, dass die Menschen sich auf die Natur, auch auf die heimische Natur, rückbesinnen. Überfordert wie wir sind, genießen wir es, einfach einmal durch den Wald zu gehen und Eichhörnchen dabei zu beobachten, wie sie sich um den Baum jagen.
Sie leiten eines der wichtigsten deutschen Naturfilm-Festivals, "Green Screen", und waren auch an der Auswahl der Highlights beteiligt, die jetzt auf Deutschlandtour gehen. Was macht für Sie einen guten Tierfilm aus?
Das unterscheidet sich von Film zu Film. „Planet Earth II“ zum Beispiel hat die Tierfilm-Ästhetik auf ein Niveau gehoben, das noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war. Das ist Kunst. Dann gibt es Filme wie Megeti, die Geschichte einer Äthiopischen Wölfin, die wir auch in unserer Green-Screen-Auswahl zeigen. Die Wölfin stirbt am Ende an der Staupe – übertragen durch Hunde, die sich im Gefolge der Menschen ausbreiten. Das ist eine sehr traurige Geschichte, denn diese Krankheit droht die ganze, sehr seltene Art vom Erdball zu tilgen. In diesem Fall berührt also vor allem die extrem emotionale Geschichte. Noch ein anderes Beispiel: David Attenboroughs „Light on Earth“, ein Film über Biolumineszenz. Hier ist es die technische Brillanz, die mich beeindruckt. Schwach leuchtende Raupen in einer Höhle zu filmen, das wäre vor zehn oder 15 Jahren technisch gar nicht möglich gewesen.

Heute muss ein Tierfilmer in relativ kurzer Recherchezeit mit immer knapperen finanziellen Mitteln eine gute Geschichte erzählen, dramatische, noch nie gesehene Szenen choreografieren. Viele greifen zu Tricks ...
Da muss man unterscheiden. Das eine sind technische Tricks. Ein großartiger Kollege wie Jan Haft zum Beispiel, den wir in unserer Auswahl mit einem Film über Wildbienen zeigen, baut für seine Aufnahmen extra Bienenhotels. Und er benutzt winzige Spezialkameras, mit denen er den Insekten besonders nahe kommen kann. Die zweite Ebene sind die sogenannten CGIs, computer generated images. Mit solchen computeranimierten Bildern kann man Szenen nachstellen, die unmöglich zu drehen sind. Etwa Spezialaufnahmen vom Flug der Störche, die mit Helikoptern oder anderen Mitteln gar nicht realisierbar wären. CGIs sollten aber für die Zuschauer als solche erkennbar sein. Das ist im internationalen Markt allerdings nicht immer so. Als Drittes kommt hinzu die Arbeit mit abgerichteten Tieren. Ich kenne allerdings keinen deutschen Tierfilmer, der das heute noch macht und behauptet, die dressierten Tiere seien wilde. Und international ist das inzwischen auch geächtet. Ob sich alle daran halten, weiß ich aber nicht.
Oft ist in Tierfilmen zu sehen, wie sich ein Beutegreifer an sein Opfer anschleicht, das Opfer spitzt die Ohren, Erzähler und Musik steigern die Dramatik ... Ist ein geschickter Schnitt schon Trick?
Das frage ich mich bei einigen Filmen auch. Aber ich würde da Gnade vor strengem Recht ergehen lassen. Nämlich dann, wenn die Situation naturgetreu ist, also so, wie es sich in der Natur tatsächlich immer wieder abspielt. Ob der kleine Hase tatsächlich derselbe ist, den die Eule in der Schlusseinstellung frisst … Hier sollten wir es mit der Authentizität nicht zu weit treiben. Es geht ja darum zu zeigen, dass Eulen Hasen jagen und verspeisen. Ich würde sagen, dass die wahre Geschichte wichtiger ist als das wahre Detail.
Haben Sie schon erlebt, dass mit der Trickserei eine klare Grenze überschritten wurde?
Ja, ich habe mal Aufnahmen von einem Hai gesehen, der hochschnellt und direkt vor der Kamera einen vorbeischwimmenden Fisch frisst. Eine große, internationale Produktion. Wenn man das Bild angehalten und genau hingeschaut hat, sah man, dass der Fisch an einer Angelschnur durch das Bild gezogen wurde. Das ist die Art von Trickserei, die man nicht machen darf. Es sei denn, man weist im Film explizit darauf hin.
Seit Bernhard Grzimek ist am Schluss eines Tierfilms der Hinweis Standard, dass das gezeigte Tier und sein Lebensraum bedroht sind. Mit welchem Effekt?
Diese Frage kann wohl niemand seriös beantworten. Denn wir wissen nicht, was noch alles passiert wäre, wenn Grzimek und die anderen nicht gewarnt hätten. Vielleicht wäre alles noch schlimmer. Aber vielleicht hat es auch überhaupt nichts gebracht. Aber es liegt wohl in unserer Natur, dass wir es nicht lassen können. Dass wir angesichts einer Bedrohung sagen: Lasst uns doch versuchen, es besser zu machen in Zukunft.
Das internationale Naturfilmfestival Green Screen zeigt in diesem Jahr erstmalig sieben Highlights aus dem Festivalprogramm in 17 deutschen Kinos, zum Auftakt am 23.3. in Berlin mit Festivalleiter Dirk Steffens.Hier gibt es die Tourdaten und Tickets. GEOCard-Inhaber erhalten einen Rabatt!