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Tierrechte Freiheit für Tommy!

Tommy, Schimpanse
Sitzt Tommy zu Recht ein? Mit dieser Frage befassen sich US-Gerichte seit drei Jahren
© picture alliance / AP/Bill Trojan
Ein amerikanischer Anwalt klagt auf Freilassung eines Schimpansen. Weil er eine Person sei. Irre oder folgerichtig? Ein Kommentar von Peter Carstens

Tommy ist 29 und lebt in Michigan, USA. Tommy war mal eine Celebrity, spielte 1987 an der Seite von Matthew Broderick im Kinofilm "Project X". Jetzt sitzt er hinter Gittern. Und niemand scheint sich für ihn zu interessieren. Außer Steven Wise. Der Rechtsanwalt klagte vor drei Jahren im Namen von Tommy - auf Freilassung. Tommy selbst kann das nicht. Denn er ist ein Schimpanse.

Die Gene dieser Menschenaffen sind zwar zu 99 Prozent mit Homo sapiens identisch. Aber das Rechtssystem würde Tommy nicht verstehen, dazu reicht sein Intellekt nicht aus. Ein Grund, ihn weiter gefangen zu halten? Nein, meint Wise. Und weil er die amerikanische Justiz besser kennt, beruft er sich im Namen von Tommy und drei weiteren Schimpansen, die verstreut über die USA von Privatleuten oder Forschungseinrichtungen gefangen gehalten werden, auf eine Besonderheit des amerikanischen Rechts: den Writ of Habeas Corpus.

Nach diesem Grundsatz hat jeder Gefangene Anspruch auf die Überprüfung seiner Haftbedingungen: Wird er überhaupt zu Recht festgehalten? Im Fall von Tommy dürfte kaum ein Grund zu finden sein. Außer, dass er jemandem gehört, wie andere Sachen auch. Sein Besitzer kann durch kein geltendes Recht daran gehindert werden, Tommy einzusperren. Das will Steven Wise ändern. Einziger Haken an der Sache: Noch nie hat ein US-Gericht einem nicht-menschlichen Gefangenen diese Haftüberprüfung gewährt.

Tiere sind uns ähnlicher, als wir wahrhaben wollen

Nun geht es Wise natürlich nicht nur darum, einen Schimpansen aus der Isolationshaft zu befreien. Der Tier-Anwalt will nichts Geringeres, als das menschliche Selbstverständnis erschüttern. Er will zeigen, dass es Tiere gibt, die uns so ähnlich sind, die so sozial und intelligent sind, dass sie einen Anspruch auf grundlegende Rechte haben. Etwa auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit. Wise macht damit ein grundlegendes Paradox im menschlichen Selbstverständnis sichtbar.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Verhaltensforschung und Genetik gezeigt, wie ähnlich uns manche Tiere sind, wie komplex sie denken und fühlen. Man muss eben nur genau hinsehen. Die Krone der Schöpfung musste zur Kenntnis nehmen, dass neben uns auch Menschenaffen, Delfine, Elefanten und manche Vögel ein Ich-Bewusstsein haben. Dass sie nicht nur Schmerzen empfinden, sondern auch Gefühle haben. Der Primatologe Volker Sommer sagte im GEO-Interview: "Je näher ein Lebewesen mit mir verwandt ist, desto wahrscheinlicher ist auch, dass die ähnlichen Strukturen in seinem Kopf ein ähnliches Empfinden ermöglichen." Tiere zeigen ein komplexes soziales Verhalten, nutzen Werkzeuge und kommunizieren raffiniert mit Artgenossen. Delfine etwa geben sich Namen, können also über Familienmitglieder lästern, die gerade nicht anwesend sind.

Doch all diese Erkenntnisse können nicht verhindern, dass wir Tiere heute in einem nie dagewesenen Maß ausbeuten. Wir züchten, mästen und essen sie, lassen sie im Namen fragwürdiger Forschung leiden, begaffen sie im Zoo. Die Tierschutzgesetzgebung verhindert all das nicht, weder in den USA noch anderswo auf der Welt. Stattdessen regelt sie nur, was wir mit Tieren anstellen dürfen und was nicht. Und wird von Gerichten so schwammig ausgelegt, dass so ziemlich alles legitim ist. Von der betäubungslosen Kastration (in Deutschland erlaubt bis 2019) bis hin zur Schlachtung von schwangeren Kühen.

Warum Richter zögern, Grundrechte für Tiere anzuerkennen

Der Fall Tommy wird nun schon seit drei Jahren verhandelt. Wise stapelt Gutachten auf Gutachten und gibt nicht auf - auch wenn bislang kein Richter anerkannt hat, dass Tommy ein autonomes Lebewesen ist, eine Person. Und dass ihm damit Persönlichkeitsrechte zustehen.

Aus der Sicht der Richter ist das Zögern verständlich. Denn Tiere als Rechtssubjekte anzuerkennen, käme einem Erbeben gleich, es wäre ein Dammbruch. Es hätte Konsequenzen bis ins tägliche Leben zukünftiger Generationen. Denn wenn erst einmal einem nicht-menschlichen Wesen subjektive Rechte zugesprochen wurden (und folgerichtig auch allen seinen Artgenossen) - welche Art wäre dann die nächste? Wie lange werden Menschen noch Schweine- und Rinderfleisch essen können?

Doch kann das ein Grund sein, fühlenden, intelligenten, sozialen Wesen neben uns Rechte grundsätzlich zu verweigern? Haben wir, andersherum, das Recht, Tiere auszubeuten, weil wir es schon immer getan haben - und weil wir es können? Es gibt so etwas wie eine Evolution der Moral, und einiges deutet darauf hin, dass wir nach der Abschaffung von Sklaverei und der Unterdrückung ethnischer Minderheiten (und selbst der Frauen) den Kreis derer, die Anspruch auf grundlegende Rechte haben, weiter ziehen werden.

Ein Wertewandel kündigt sich an

Der Wertewandel, der diesen Schritt ermöglicht, ist in vollem Gang. So hat neulich der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck uns Menschen das Recht abgesprochen, Nutztiere zu halten und zu töten - in einem Vortrag vor Fleischproduzenten. Eine Sensation, vor allem, weil Habeck daraufhin nicht zurücktreten musste. Populäre Philosophen wie Richard David Precht sehen das Ende der Tierbeherrschung gekommen. Schlachthöfe, meint er, würden schon bald in Gedenkstätten des begangenen Unrechts umgewandelt. Der vegane Lifestyle ist schwer im Kommen.

In Argentinien hat im vergangenen Jahr ein Gericht entschieden, dass die Schimpansin Cecilia nicht mehr in einem Zoo ausgestellt werden darf. Die Begründung: Die Dame sei keine Sache, sondern eine Person. Sie kommt nun - weil sie nicht ausgewildert werden kann - in ein brasilianisches Refugium für Menschenaffen. Solche Entscheidungen machen Steven Wise und seinen Mitstreitern Mut. Im Januar 2017 steht im Fall Tommy die nächste Anhörung vor einem New Yorker Berufungsgericht an.

Ihr Erfolg käme nicht nur den unterdrückten Spezies zu Gute. Sondern auch uns Menschen. Denn im Wertbewusstsein für Schwächere zeigt sich erst die ganze Menschlichkeit.

Mehr über das Nonhuman Rights Project von Steven M. Wise: nonhumanrightsproject.org

Menschenaffen gehören zur menschlichen Familie: ein Plädoyer des österreichischen Juristen Eberhart Theuer

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