Sie sieht so harmlos und anmutig aus, mit ihren beiden in Ruhestellung wie zum Gebet am Körper angelegten Vorderbeinen. Doch Mantis religiosa, die Europäische Gottesanbeterin, ist nicht zimperlich, zumindest das weibliche Exemplar, wenn es um den Umgang mit ihren männlichen Partnern geht: Es frisst sie bisweilen schon während der Paarung auf. Aber auch die Europäische Gottesanbeterin wird offenbar des öfteren ausgetrickst. Nicht nur von ihren Fressfeinden, wie Eidechsen, Vögeln und Fledermäusen, sondern ausgerechnet von einem ihrer Beutetiere, wie die beiden Naturfotografen und Mantis-Experten Monika und Richard Fellinger zufällig in Kroatien entdeckten.
Sie wurden Zeuge, wie eine weibliche Gottesanbeterin, die gerade im Begriff war, ihre Beute zu vertilgen, von einer Faltenwespe der Art Vespula germanica angegriffen und mit gezielten Bissen ihrer Fühler beraubt wurde. Um dieses bislang unbekannte Verhalten näher zu studieren, nahmen die beiden Fotografen eine ungefähr 500 Quadratmeter große Fläche auf einem Gelände rund 50 Kilometer südlich von Split genauer unter die Lupe. Über drei Jahre hinweg studierten sie täglich sechs bis acht Stunden lang vor allem weibliche Gottesanbeterinnen, die sich oft tagelang auf denselben Hecken und Sträuchern aufhalten.
Und tatsächlich: In insgesamt 16 Fällen griffen die Wespen an - allerdings nicht immer erfolgreich. Denn die Opfer, so zeigte sich, wehren sich heftig. Während sie mit dem einen Fangbein ihre Beute - außer Wespen vor allem Heuschrecken, Bienen und andere Insekten - festhalten, schlagen sie mit dem anderen nach den Angreifern, zum Teil mit tödlichen Folgen für diese.
Gelang es einer Wespe jedoch, im Kampf die Fühler der Gottesanbeterin abzubeißen, stand dem Mahl meist nichts mehr im Wege: Die Fangschrecke musste ihre Beute teilen. Denn mit den Antennen verliert Mantis religiosa ein für ihre Nahorientierung wichtiges Sinnesorgan, mit dessen Hilfe sie nicht nur ihre Beute erspäht, sondern offenbar auch testet, ob diese bereits tot ist oder noch lebt. Ohne ihre Fühler scheint sie selbst für Berührungen weitgehend unempfindlich zu sein. Sogar als die Faltenwespe beim Fressen den Körper der Fangschrecke berührte, so die Fotografen, habe diese kaum noch Reaktionen gezeigt.
Unklar sei noch, was aus jenen Gottesanbeterinnen werde, die ihr Leben künftig ohne Fühler bestreiten müssten. "Wir wissen bisher nicht, ob diese Tiere beispielsweise noch in der Lage sind, Beute zu machen oder sich erfolgreich fortzupflanzen."