"Die Weisheit beginnt damit, die Dinge beim Namen zu nennen", sagt ein chinesisches Sprichwort. Für die Tier- und Pflanzenwelt hat sich um dieses Vorhaben vor allem ein Mann verdient gemacht: der schwedische Botaniker Carl von Linné.
In seinem Bemühen, die Vielfalt des Lebens systematisch zu ordnen, setzte er vor 250 Jahren jene Standards der Namensgebung, die weitgehend bis heute gelten. Er entwickelte in seinem Werk "Systema Naturae" erstmals ein einheitliches System zur Einteilung von Tieren und Pflanzen nach Verwandtschaftsgraden: in Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten. Für die eindeutige Kennzeichnung von Arten führte Linné zudem die bis heute verwendete latinisierte Doppelbenennung ein, die "binäre Nomenklatur". Wissenschaftlich korrekt heißt der Mensch seither Homo sapiens; hinter den Gattungsnamen Homo setzte Linné den spezifischen Artnamen sapiens.
Die Gattung Homo zählt darüber hinaus zur Klasse der Säugetiere. Unter diese "Mammalia " fallen nach Linné alle Lebewesen mit typischen Milchdrüsen. Weil dazu etwa auch die Wale gehören, trennte Linné sie in seiner Systematik von den Fischen - trotz des offensichtlich gemeinsamen Lebensraumes. Und er hatte Recht: Wale stehen entwicklungsgeschichtlich den Landsäugern tatsächlich viel näher als den meisten anderen Wasserwesen.
Trotz aller Weitsicht dürfte Linné aber kaum geahnt haben, wie kompliziert die Nomenklatur des Lebens für seine "Erben", die Biosystematiker, werden würde. Gerade 6000 Pflanzen- und 4400 Tierarten benannte der Forscher in der "Systema Naturae". Inzwischen geht die Mehrzahl der Experten von bis zu 30 Millionen Tierarten aus, die meisten noch unentdeckt.
Eine kaum zu ermessende Vielfalt, die zudem sehr ungleichmäßig über die Erde verteilt ist. Tropenwälder bergen den weitaus größten Teil des biologischen Reichtums. In manchen Regionen der Tropen und Subtropen lassen sich auf 10 000 Quadratkilometern mehr als 5000 verschiedene Spezies finden - während wir in unseren Breiten bei einer vergleichbaren Fläche auf 500 bis 2000 Arten kommen.
Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist noch nicht geklärt. Womöglich führt eine sehr lange Besiedlung eines Gebietes zu verschärfter Konkurrenz unter seinen Bewohnern und in der Folge zu einer immer weiteren Ausdifferenzierung der Arten.
Für das Ökosystem hat diese Vielfalt Vorteile: Je mehr lebendige "Systemteile" sich in ihm vernetzen, desto stabiler wird es. Zumindest gegenüber kleineren Störungen. Werden aber große Teile eines Regenwalds gerodet, nimmt die vernetzte Lebensgemeinschaft Schaden - und das System wird anfällig.
In den Tropen dürften etwa viele Insekten derart stark spezialisiert sein, dass sie nur eine der etwa 50 000 Baumarten besiedeln, die in den Regenwäldern Mittelamerikas heimisch sind. In Panama fanden Biologen in den Kronen einer einzigen Baumart knapp 1100 Insektenarten, darunter allein fast 700 Käferarten.
Allenfalls in Korallenriffen und der Tiefsee vermuten Artenforscher eine ähnliche Vielfalt. Doch auch im Meer dürfte die Anzahl der Spezies vom Äquator zu den Polen hin abnehmen, genau wie an Land. Ob das stimmt, und wenn ja, warum, ist unbekannt. Um solche und andere Rätsel zu lösen, brauchen wir einen globalen Artenvergleich zu Lande und zu Wasser: ein Linnésches Programm für unsere Zeit.