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GEO-Tag der Artenvielfalt 16. GEO-Tag in Ebern

An einem einzigen Tag an einem einzigen Ort die Anzahl der Tier- und Pflanzenspezies zu ermitteln: Das war nun schon zum 16. Mal das Ziel des GEO-Tags der Artenvielfalt. Auserkoren als Schauplatz der Hauptveranstaltung war dieses Jahr der ehemalige Standortübungsplatz Haßberge bei Ebern in Franken. Wie die rund 80 teilnehmenden Biologen, Ökologen und Umweltschützer feststellen konnten, haben die Soldaten erstaunlich viel Leben hinterlassen ...

Inhaltsverzeichnis

GEO-Tag der Artenvielfalt: Roman Türk, Flechtenexperte aus Salzburg, entdeckt auf einem Zweig zehn verschiedene Arten
Roman Türk, Flechtenexperte aus Salzburg, entdeckt auf einem Zweig zehn verschiedene Arten
© Thomas Stephan

Unter Drohnen

"Bitte Abstand halten", warnt Andi Köhler die Menge, "wir wollen nicht, dass etwas passiert!". Die Zuschauer, in der Mehrzahl Kinder, gehorchen widerwillig. So eine Drohne haben die wenigsten schon einmal gesehen, und mit dem Namensvetter aus der Natur, einer männlichen Biene, hat das metallisch schwarze Fluggerät wenig gemein. Vier auf der Oberseite der Arme angebrachte Rotoren sorgen für Auftrieb und reichlich Staub beim Start; mit einem sanften Summen erhebt sich das etwa 50 cm große und rund zwei Kilogramm schwere Gerät in die Luft - bis zu zehn Minuten hält der Akku durch. Andi Köhler kontrolliert den Flug per Joystick am Steuerkasten - und mit einer Brille, die die Livebilder aus der Drohnenkamera empfängt. Die schicke Brille wird schließlich von Kind zu Kind weitergereicht, auch ich ziehe sie auf und schaue mir die Szenerie des GEO-Tags der Artenvielfalt im fränkischen Ebern von oben an - gleichzeitig fasziniert und mit einem flauen Gefühl im Magen: Anderswo sind Drohnen kein Kinderspiel und bedrohen Leib und Leben.

Auf einen Blick

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Soldaten zu Schmetterlingen

Es ist noch nicht lange her, da war auch dieser Ort noch Kriegsschauplatz, zumindest wurde hier im einstigen Zonenrandgebiet der Ernstfall geprobt. Ein Veteran aus jenen Tagen, Bataillonskommandeur Ecke Demandt, war bei der Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend als Gastredner dabei. Wer von ihm stramme Militäranekdoten erwartet hatte, wurde eines besseren belehrt: Seiner Liebe zu Schmetterlingen und Vögeln hat der Oberstleutnant a.D. nämlich ausgerechnet auf "seinem" Truppenübungsplatz gefrönt. Zunächst eher heimlich - bis die Sache nicht mehr zu verbergen war: "Als sich ein schöner Falter, angelockt durch den Ammoniakgeruch, an einem heißgeschossenen Maschinengewehrlauf zeigte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten", so Demandt. "Obwohl meine Soldaten zuschauten, musste ich den mit meinem immer mitgeführten Netz einfangen." Seinem Ruf in der Truppe hat das nicht geschadet: Irgendwann hätten seine Soldaten ihn sogar beim Schmetterlingsfangen unterstützt. Manchmal hat er sie auch beauftragt, mit schweren Fahrzeugen kleine Tümpel in den Matsch zu drücken - feuchte Heimat für die Gelbbauchunken. In jener Zeit habe er zudem begonnen, Falter und Vogelfedern zu zeichnen - etliche der filigranen Bilder waren am GEO-Tag in der Veranstaltungshalle zu besichtigen.

Naturschutz statt Lastwagen

2004 wurde der Stützpunkt aufgegeben. Und im fränkischen Ebern stellte sich die Frage: Was tun mit dem Gelände? Der ursprüngliche Plan: ein Übungsparcours für Lastwagenfahrer und Offroadfahrzeuge. Denn wo schon Panzer alles platt gemacht hatten, könnten ja auch Autos keinen Schaden mehr anrichten. Oder etwa doch? Nach heftigen Diskussionen und juristischen Kämpfen mit dem BUND Naturschutz in Bayern, so erzählt der Bürgermeister von Ebern, Jürgen Hennemann, habe sich ein völlig anderes Konzept durchgesetzt, mit dem das Terrain in Zukunft sogar offiziell als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden könnte. Denn auf Truppenübungsgelände, so die die heutige Erkenntnis, haben sich viele neue Nischen aufgetan, die weitaus mehr Tieren und Pflanzen eine Heimat bieten als der angestammte Waldbewuchs. Offenes Gelände, Hecken oder reich strukturierte Waldsäume locken andere Arten an, die es sonst vielerorts schwer haben - zum Beispiel die Heidelerche, die mir der Vogelkundler Markus Brunnhöfer frühmorgens um 5:30 zeigt. Damit die neue Vielfalt bleibt, kann man nicht alles der Natur überlassen: Freiwillige Helfer bekämpfen mancherorts die fortschreitende Verbuschung und die Verfilzung von Magerrasen. An anderen Stellen halten Schafe oder Angusrinder das Gras kurz. Und auf angrenzenden Feldern mit Solarpaneelen finden richtige Versuche in Sachen Biodiversitätsmanagement statt. Bieten die warmen, aber teils verschatteten Flächen unter den großen Paneelen vielleicht gefährdeten Tieren und Pflanzen eine Heimat, wenn man sie beweiden lässt? Oder doch eher, wenn man sie unterschiedlich und zeitversetzt mäht?

Der Wert der Arten - Jede Art zählt

Warum aber soll man überhaupt die Artenvielfalt pflegen? Und ist es wirklich bedeutsam, eine Spezies zu schützen, die ohnehin schon so selten ist, dass die Natur fast überall trefflich ohne sie auskommt? Das gilt zum Beispiel für das Wappentier des diesjährigen GEO-Tags, die Essigrosen-Dickfühlerweichwanze, die in ganz Deutschland offenbar nur an diesem einzigen Ort vorkommt. Der heimische Organisator des Tages, der Biologielehrer Klaus Mandery vom BUND Naturschutz in Bayern, hat vor Jahren sieben Exemplare des Tieres an einem Rosenstock gefunden und zur Analyse an Experten verschickt. Das Ergebnis - wahnsinnig selten, ein Sensationsfund! - ließ ihn zunächst befürchten, er habe durch die Untersuchung die gesamte Population ausgelöscht. Aber nein; allein am GEO-Tag konnten rund hundert der Tiere mit dem Bandwurmnamen entdeckt werden. Relevant sei aber nicht die einzelne Spezies, so betonen mehrere Teilnehmer wie etwa der Agrarökologe Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Sondern das detaillierte Wissen darüber, wie die jeweilige Art mit anderen Arten interagiert und was das für ein Ökosystem bedeuten kann. Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen - über sie wird in GEO 9/14 separat berichtet - ist allein schon die bloße Anzahl an Spezies ein Indikator für ein stabiles Ökosystem. Je mehr Arten, desto besser funktioniert das Gesamtgefüge. Fehlen hingegen manche, auch unscheinbare, Spezies, dann kann das ein Alarmsignal sein. Laut Roman Türk von der Universität Salzburg gibt es bis in eine Höhe von 1800 Meter am Alpennordkamm kaum graue Flechten. Ein Zeichen für miserable Luft in der beliebten Urlaubsregion, bedingt durch Stickoxide aus dem deutschen Straßenverkehr. Ganz anders auf dem Truppenübungsplatz in den eher unbekannten Haßbergen: Viele graue Flechten, sehr viele. Alles bestens mit der Luft. "Ich habe dem Bürgermeister von Ebern heute gesagt", so der Flechtenexperte aus Österreich, "dass er wissenschaftlich gesehen gute Gründe hat, mit der Sauberkeit der Luft in der Tourismuswerbung zu argumentieren."

Auch ein schönes Ergebnis des GEO-Tags der Artenvielfalt.

Erosion des Wissens

Um Biodiversität und ihre vielschichten Implikationen richtig einschätzen zu können, müssen freilich genügend Menschen in der Lage sein, die Arten zu erkennen. Und voneinander zu unterscheiden. Der Vorsitzende des BUND, Hubert Weiger, warnte im Rahmen der Abschlusskonferenz vor einem bedrohlichen Schwund: An den meisten Universitäten sei Artenkunde, die Taxonomie, vom Lehrplan gestrichen. Zugleich, so betont Helmut Schultheiß in seinem Vortrag, verlören gerade Kinder und Jugendliche jedes Wissen über die Natur. Nicht zuletzt, weil ihre Eltern ihnen verböten, durch die Wälder zu streifen, denn "da sind die Räuber". Aber viel eher gebe es dort viel zu entdecken: wie Tau entsteht oder wo Fliegenlarven zu finden sind, zum Beispiel. Kleinigkeiten? Nein! Mosaiksteinchen für das Bild, das sich die Erwachsenen von morgen von der Umwelt machen. Nur wer die Natur kenne, könne sie auch schützen.

Wissen für die Kleinen

Um die Waldkindergartenkinder von Ebern muss man sich da keine Sorgen machen. Wieviel sie schon wissen, zeigen sie den Zuschauern am GEO-Tag mit einem Theaterstück vom Baumstumpf, der allen gehört. Am Anfang sind Blitz und Donner und Regen - gelbe Stoff-Fetzen, Trommeln und Gießkanne - und ein vom Blitz gefällter Baum. In seinem Stumpf nisten sich Borkenkäfer und Ameisen ein, ein Bär nährt sich von den Insekten, und ein Mensch lässt sich auf dem Stumpf nieder, um sich auszuruhen. Und alle denken sie, dass der Stumpf ihnen gehört - obwohl er für alle da ist, wie die Kinder sehr ernsthaft und mit Engagement vortragen. Jeden Freitag bieten die Betreuerinnen Sylvia Kopplinger und Daniela Berninger ein solches Waldwissensprogramm an - auch für die Kleinen aus anderen Kindergärten. Auch um solches Engagement zu würdigen, gibt es die Veranstaltungen zum GEO-Tag der Artenvielfalt.

Wissen für die Großen

Für Erwachsene Besucher bietet der Tag natürlich ebenfalls spannende Informationen über Zusammenhänge in der Natur. Verblüfft erfahre ich von dem Bienenkundler Sebastian Hopfenmüller aus Würzburg, dass die meisten Wildbienen weder Königinnen besitzen noch Staaten bilden. Sie leben solitär und legen ihre Eier zum Beispiel in Schneckenhäusern ab. Und ohne Pilze, die meist unter statt über der Erde leben, würden Bäume an ihren eigenen Stoffwechselprodukten ersticken, erzählt mir Alexander Ulmer, Pilzexperte, angereist aus Coburg. Auch keineswegs allgemein bekannt: Unsere Hauskatze stammt nicht von der Europäischen Wildkatze ab, sondern von einer afrikanischen Spezies. Die Wildkatze ist inzwischen wieder heimisch in Haßberge - 14 Exemplare hat der ehemalige Förster Eberhard Ponader inzwischen in dem Gebiet nachgewiesen. Unterwegs zeigt er uns auch wie: Eine aufgeraute Holzlatte wird mit Baldrian eingerieben. Während das Kraut für Menschen eher sedierend wirkt, lässt der Lockstoff Katzen keinen Ruhe: Sie müssen sich quasi zwanghaft an der Latte scheuern. Eine DNS-Analyse erfasst dann zuverlässig, ob die dabei zurückgelassenen Haare auch tatsächlich von einer Wildkatze stammen. Der Aufwand ist notwendig, denn das Tier ist äußerst scheu. Auf einem Gelände wie in den Haßbergen fühlt sie sich sehr wohl: Es gibt Felsverstecke, Büsche und relativ frei Flächen zur Mausjagd. Beliebt ist bei den Katzen auch der hiesige "Dauerwald", in dem alte, fruchtreiche Bäume neben nachwachsenden stehen. Anderswo würden alte Bäume oft viel zu früh gefällt, sagt Ponader. Nicht, weil ihr Holz sonst schlechter würde, sondern bloß, weil sie bei weiterem Wachstum kaum noch in die Holzindustrie-Normmaschinen aus Skandinavien passten. Ponader freut sich, dass auf sein Anraten hin viele alte Bäume in den Haßbergen stehengelassen werden; ihn stören nur die grell bunten Markierungen: "Solche Farben gehören nicht in den Wald". Recht hat er; man malt ja auch Bienen nicht pink an. Da trifft die Natur den besseren Farbton.

Die Ergebnisse auf einen Blick

Alle Daten des GEO-Tags wurden und werden in die große Datenbank von naturgucker.de eingegeben. Herzlichen Dank hierfür an Stefan Munzinger und Dieter Schneider.

Unsere Experten dokumentierten dabei auch in diesem Jahr an einem einzigen Tag und auf kaum drei Quadratkilometern Fläche eine unglaubliche Naturvielfalt: rund 1.500 verschiedene Tiere und Pflanzen sammelten und bestimmten die Forscher auf dem Übungsplatz von Ebern. Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass solche ehemaligen Bundeswehrgelände unbedingt schutzwürdig sind. Die Ergebnisse beweisen, dass sie als Rückzugsflächen für andernorts stark bedrohte oder gar ausgestorbene Lebewesen dienen können.

Ein ganz besonderer Coup gelang in diesem Jahr dem Wanzenforscher Markus Bräu aus München: Mit seinem Fund eines Exemplars der Silberperlen-Wanze (Jalla dumosa) ist ihm auf dem Truppenübungsplatz der Nachweis eines Tieres gelungen, das in Bayern seit Jahrzehnten als verschwunden galt. Auch Bräus Kollege Ringo Dietze aus Sachsen kam mit guten Nachrichten aus dem Gelände zurück. Die kürzlich hier nachgewiesene Essigrosen-Dickfühlerweichwanze, die in ganz Deutschland kein anderes bekanntes Habitat hat, konnte er nicht nur bestätigen - er konnte durch etliche Funde sogar belegen, dass das äußerst rare Tier in Ebern eine sehr gesunde Population aufgebaut hat.

Auch die früh morgens ausgezogenen Vogelkundler fanden in der reich strukturierten Landschaft des alten Übungsplatzes weit mehr als nur "die üblichen Verdächtigen": Markus Brunnhöfer vom Landesbund für Vogelschutz konnte wieder Heidelerchen und etliche Brutpaare des Pirols nachweisen. Das Gebiet ist außerdem bekannt dafür, dass Wiedehopfe es neuerdings als Durchzugsquartier nutzen - es ist somit ein "Trittstein" für die Rückkehr des charismatischen Vogels in diese Region.

Erfolgreich waren auch die Käferexperten - die mit rund 150 gefundenen Arten ein weiteres Zeichen für die Qualität des Untersuchungsgebiets setzten. Und umso erfreulicher, dass auch hier Exemplare von stark gefährdeten Spezies dabei waren. Der Traurige Sammetläufer etwa, ein Laufkäfer, der eine Luftblase um seinen Körper aufbauen kann, um darin vom Land ins Wasser zu laufen, wurde seit 35 Jahren in Bayern nicht mehr gefunden - bis Michael Fritze ihn jetzt auf dem Truppenübungsplatz in Ebern wieder entdeckte ist. Ein weiterer Käferfund bewegte die angereisten Experten ebenso: Der Kirschbaum-Prachtkäfer, eine stark gefährdete Art mit Eintrag auf der Roten Liste, ist offenbar in Ebern zu Hause.

Aufbauend auf den Erkenntnissen dieses Aktionstages werden sich nun die GEO-Reporter weitergehenden Fragen widmen: "Wie kommen Wissenschaftler der Bedeutung von Vielfalt auf die Spur? Welchen Unterschied macht es genau, wenn ein Ökosystem mehr oder weniger Diversität enthält? Und durch welche Maßnahmen lässt sich der Rückgang der Vielfalt bremsen, und die Diversität in einzelnen Gebieten sogar wieder erhöhen? Die Ergebnisse dieser großen Recherche, zu der viele Wissenschaftler ihre Ergebnisse beitragen, werden in der September-Ausgabe von GEO zu lesen sein.

Unser Dank geht an alle Beteiligten für die auch nach 16 Jahren ungebremste Leidenschaft für Artenschutz; zudem danken wir insbesondere dem Organisationsteam und vielen freiwilligen Helfern um Klaus Mandery, sowie der KfW Stiftung für die finanzielle Unterstützung.

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