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Strahlend blauer Himmel über einem endlos erscheinenden Meer grüner Fichtenwipfel: Die Harzer Nationalparks präsentierten sich zum GEO-Tag der Artenvielfalt von ihrer schönsten Seite. Über hundert Wissenschaftler und Freizeitforscher haben ihre Feldausrüstung geschultert und sich in kleinen Grüppchen auf dem Parkplatz "Sonnenberg" versammelt. Es herrscht Aufbruchstimmung.
Kompetenz zählt
Fachbücher werden verstaut, Ferngläser und Lupen griffbereit um den Hals gehängt, Gebietskarten ausgeteilt und Routen besprochen. Die Teilnehmer machen sich miteinander bekannt: "Ludger Schmidt, Käfer", "Derk Albers, Collembolen" - mit geschulten Augen und jahrelanger Erfahrung machen die Fachleute sichtbar und nennen beim Namen, was dem Laien meist verborgen bleibt. Einen Tag und eine Nacht lang bestimmen und registrieren sie, ausgestattet mit einer Sondererlaubnis der Nationalparkverwaltung, auch abseits der Wege alles Lebendige.

Vielfältige Biotope
Bereits am Vorabend, an dem auch erste Nachtbeobachtungen stattfanden, wurden die Teilnehmer gruppenweise verschiedenen Standorten zugeordnet. Die Untersuchungsgebiete entlang der Flüsse Oder und Ecker, im Südharz, am Sonnenberg, auf dem Scharfenstein und Brocken und an den Feuersteinwiesen bilden einen repräsentativen Querschnitt des 250 Quadratkilometer großen Gebiets der beiden Nationalparke Harz und Hochharz. Das Areal umfasst neben verschiedenen Waldtypen auch Moore, Felsformationen, Blockhalden und Bergbäche.

Auch die ganz Kleinen werden erfasst

Mit einem zylinderförmigen Bohrer nimmt Dr. Sonja Migge von der Universität Göttingen Proben der Bodenfauna. Aus den scheinbar unbelebten Erdklumpen wird sie im Labor kleinste Lebewesen extrahieren. "Unsere Riesen sind zwei Millimeter groß", sagt Sonja Migge, die sich vor allem mit Hornmilben beschäftigt, ihrer Artenliste aber auch mit größeren und einfacher zu bestimmenden Tieren füllt. In einem Schnappdeckel-Gläschen präsentiert sie einen hübschen, auf der Bauchseite blauschwarz schimmernden Mistkäfer, der zur genaueren Betrachtung in seinem engen Gefängnis ausharren muss.
Vergebliche Suche nach einer Rarität
Ebenfalls ins Fangnetz der Forscher geraten ist eine kleine Baldachinspinne, die horizontale "Hängemattennetze" spinnt, unter denen sie kopfüber auf ihre Opfer wartet. Neben diesem sehr lebendigen Exemplar hat der Spinnenforscher Prof. Dr. Oskar Rohte noch andere kleine Arten gefunden und bereits in Alkohol konserviert. Oft dienen feinste, nur im Labor unter dem Binokular sichtbare Behaarungen der Beine als Bestimmungsmerkmal. Intensiv gesucht aber bisher nicht entdeckt hat Rohte eine Radnetzspinne der Gattung Araneus, die ausschließlich im Harz heimisch ist. Allerdings konnte sie hier seit über 80 Jahren nicht mehr nachgewiesen werden.

Schüler helfen bei der Suche

Das Eckertal trennt den 1990 in Sachsen-Anhalt ausgewiesenen Nationalpark Hochharz von dem 1994 in Niedersachsen hinzugekommenen Nationalpark Harz. Hier ergänzen ein Biologie-Leistungskurs vom Heinrich-Heine-Gymnasium in Ilsenburg und eine Umwelt-AG aus Aschersleben die Arbeit der Wissenschaftler. Am Ufer der Ecker, dem ehemaligen Grenzfluss zwischen Ost und West, hat die Klasse eine Wasser-Messstation eingerichtet. "Wir konnten Experten beim Elektrofischen von Forellen beobachten", erzählt eine Schülerin. "Das war ziemlich spannend." Bei diesem Verfahren werden Fische mit Gleichstrom betäubt und mit einem Kescher gefangen. Nebenan erkunden Schüler die Pflanzenwelt mit Hilfe von Bestimmungsbüchern.
Lebendiger Todesstreifen
Kaum vorstellbar, dass die kleine, heute von niedrigen Birken umstandene und mit hohem Gras bedeckte Lichtung einst lebensfeindliches Niemandsland war, das mechanisch und chemisch von Pflanzen freigehalten wurde, um verräterische Fußspuren besser zu erkennen. Trotz Gift und Trennung hat die Natur das Terrain zurückerobert und mit vielfältigen Pflanzenarten neu besiedelt.
Aufwendige Nachbereitung
Vieles, was die Spezialisten heute entdeckt haben, wird zu Hause im Labor nochmals nachbestimmt und kann die Artenlisten erst in den kommenden Wochen ergänzen. Vorläufige Ergebnisse, Hochrechnungen und Highlights präsentieren Meike Hullen und Dr. Uwe Wegener, wissenschaftliche Leiter der beiden Nationalparke, auf der Abschlussveranstaltung.
Stattliche Bilanz
153 Moosarten wurden im Nationalpark bestimmt. "Eine beeindruckende Zahl für so ein kleines Gebiet", sagt Meike Hullen. Auch hätten epiphytische, also auf anderen Pflanzen wachsende Moose und Flechten, im Gebiet zugenommen. Sie gelten als Indikatoren für saubere Luft. Ein Neufund in Norddeutschland ist der Pilz Phragmotrichum chailletii. Die Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass selbst Gebiete, die bislang nicht als besonders wertvoll eingestuft wurden, noch Überraschungen zu bieten haben. In einem kleinen, tiefer gelegenen und noch weitgehend unerforschten Waldmoor hat die Gruppe "Sonderstandorte" um Meike Hullen zwei für dieses Biotop ungewöhnliche, seltene Hochmoor-Libellen aufgespürt: Die Alpen-Smaragdlibelle und die Arktische Smaragdlibelle. Beide sind in Niedersachsen vom Aussterben bedroht.

Erfolgsmeldungen auch aus den Satellitengebieten
Doch nicht nur auf der Zentralveranstaltung im Harz fand an diesem Tag eine akribische Arteninventur statt. In Kooperation mit dem BUND wurde das gesamte Grüne Band unter die Lupe genommen. In sieben Gebieten entlang der wertvollen Biotopkette, die sich auf einer Länge von 1400 Kilometern von Nord nach Süd durch Deutschland zieht, fanden zeitgleich viele weitere Projekte statt. Teilnehmer und Veranstalter sind gleichermaßen gespannt, als GEO-Redakteur Martin Meister per Handy live in die Satellitengebiete schaltet, um erste "Hochrechnungen" und Stimmungen zu erkunden.
1400 Arten allein in der Schlechtsarter Schweiz
Im Bereich der Landgraben-Dumme-Niederung wurden Schwarzstorch und Kraniche sowie die Symbolarten des grünen Bandes, Braunkehlchen und Neuntöter gesichtet. Oliver Wendenkampf meldet aus dem Großen Bruch (Sachsen-Anhalt/Niedersachsen) eine Libellenart, die bundesweit auf der Roten Liste steht und vom Aussterben bedroht ist. Die etwa 100 Experten, die in der Schlechtsarter Schweiz (Thüringen/Bayern) auf Artensuche waren, kommen nach ersten Hochrechnungen auf 1400 registrierte Arten. Darüber hinaus wurde hier eine bereits seit längerem verschollene Blütenspanner-Art entdeckt. Im Dreiländereck (Bayern/Sachsen) bei Hof fanden die Teilnehmer die Raupe eines in Sachsen vom Aussterben bedrohten Eulenfalters, sowie 38 Tagfalterarten. Außerdem eine seit 50 Jahren in Sachsen nicht mehr nachgewiesene Hummelart. Im Gebiet am Dassower See (Mecklenburg-Vorpommern/Schleswig-Holstein) führte die Inventur zum Wiederfund der Schwalbenwurz, einer seltenen Pflanzenart, die 1927 zum letzen Mal in der Gegend nachgewiesen wurde.
Das Grüne Band verbindet
Auch wenn die endgültige Auswertung aller Ergebnisse erst in den kommenden Wochen erfolgt: schon jetzt ist der fünfte GEO-Tag der Artenvielfalt ein voller Erfolg. Darüber hinaus hatte vor allem die diesjährige Veranstaltung rund um das Grüne Band auch Symbolcharakter. "Der ehemalige Todesstreifen ist heute eine friedliche Spur in der Landschaft. Ein verbindendes, nicht mehr teilendes Band", sagt Dr. Kai Frobel vom BUND in Bayern. Das Verscherbeln wertvoller Biotopflächen durch die Bundesregierung sei ein umweltpolitischer Skandal, der das Grüne Band akut bedrohe.
Der GEO-Tag der Artenvielfalt im Harz wurde unterstützt von: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) e.V. Karl-Oskar Koenigs-Stiftung-Nationalparke Nationalpark Harz Nationalpark Hochharz Ricola AG