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Unter prasselndem Regen ging am Sonnabend, den 12. Juni in Innsbruck die diesjährige Hauptveranstaltung des GEO-Tags der Artenvielfalt zuende. Zeitweilige Schauer während der 24 Stunden seit Freitag, 18 Uhr konnten den Erfolg jedoch keineswegs verwässern: Insgesamt 90 Experten gelang es, an fünf Orten zwischen Zirl (bei Innsbruck) und dem Brennerpass rund 1500 Arten an Pflanzen, Tieren und anderen Organismen zu identifizieren; Nachuntersuchungen werden das Gesamtergebnis noch erhöhen. Von der Begleitaktion in Südtirol am Schlern-Massiv unweit von Bozen wurden noch am Wochenende mehr als 1000 Arten gemeldet. GEO-Reporter begleiteten den großen Arten-Check - und schrieben ein Tagebuch der Glücksfunde und Zwischenfälle.
Freitag, 11. Juni, Innsbruck, Zeughaus, 19.07 Uhr
Der Hof des historischen Zeughauses hat sich gefüllt. Der allgemeine Dresscode - Wanderstiefel, Pullover, GEO-Weste - macht klar: Hier sind Profis versammelt. Johannes Kostenzer von der Umweltabteilung der Tiroler Landesregierung spricht in seiner Begrüßungsrede von großen Erwartungen auf gute Arten-Ergebnisse. Beim Stichwort "Spannung" rollt Gewitter-Donner über Innsbruck - gelungene Wetter-Regie!
Zeughaus, 20.05 Uhr
Die Tiroler Landesregierung, die den GEO-Tag in Österreich wesentlich unterstützt, lädt zu Kasspatzln und Almdudler. GEO-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede betont in seiner Dankesrede, wie sehr die Aktion auf die Unterstützung von Artenkennern angewiesen ist. Zur Hauptveranstaltung in Österreich tragen nicht weniger als 14 österreichische Organisationen bei.
Zeughaus, 21.10 Uhr
Für Robert Mühlthaler, den Ideengeber und (zusammen mit Christoph Höbenreich) Organisations-Knotenpunkt der Innsbrucker Veranstaltung, naht der große Moment: Er bläst zum Aufbruch für die Nachtexkursionen. Pünktlich lässt der Regen nach.
Zirl, Burgruine Fragenstein, 21.30 Uhr
Am Fuße der Burgruine Fragenstein entzünden Arten-Experten und Mitglieder aus dem GEO-Team Fackeln für den Aufstieg.
Zirl, Burgruine Fragenstein, 22.00 Uhr
Über dem Inntal liegen Nebelschwaden, ein blauer Leuchtturm und eine große beleuchtete Leinwand - beides Lichtfallen für Insekten - schimmern im Dunst. Rund 30 Kinder der Volks- und Hauptschule Zirl sind schon oben und kraxeln über Steinquader und Forscherbeine.
Zirl, Burgruine, 22.10 Uhr
Fledermausexperte Toni Vorauer vom WWF erklärt mit einem Fledermausskelett die Körperbau-Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Fledermaus. Frage an die Schulkinder: Wie schafft es eine Fledermaus, beim Umherflattern Mücken ins Maul zu bekommen? Antwort: Sie fächert sich die sirrende Speise mit ihren großen Flügeln vors Gesicht.
Zirl, 22.20 Uhr
Ein Tiroler Schulbub zeigt eine Box voller Gehäuseschnecken. Die Kinder der Hauptschule Zirl haben sie beim Aufstieg gesammelt, damit sie der Forscher Helmut Niesters vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum bestimmen kann.
Zirl, 22.25 Uhr
Schmetterlingsexperte Dr. Gerhard Tarmann vom Ferdinandeum wird ganz aufgeregt: "Jetzt kommen sie alle!" In Sekundenschnelle identifiziert er die Falter: Weinschwärmer, Asternmönch, Kiefernspinner. Vergessen ist der Schock vom Abend, als Tarmann beim Antransport des Stromgenerators für die Leuchtfallen fünf Meter die Böschung heruntergerutscht war. Bis zum Nachmittag des nächsten Tages wird er mit zwölf Kollegen im gesamten Untersuchungsgebiet mehr als 370 Schmetterlingsarten bestimmt haben!
Zirl, 22.30 Uhr
Fabian, 11 Jahre alt, erlebt die Sensation des Abends: Auf seiner Hand hat sich ein Brombeerspinner niedergelassen, um dort neun Eier zu legen. Wohin nur mit der Brut? Na, Fabian, denk' doch mal nach: natürlich auf ein Brombeergebüsch!
Kranebitten, Bahnstrecke nach Scharnitz, 23.00 Uhr
Peter Huemer, ebenfalls vom Ferdinandeum, hat an der Bahnstrecke vier Leuchtfallen wie zu einer blau schimmernden Kunst-Installation aufgereiht. An jeder fängt er andere Arten, die meisten davon sind Schmetterlinge. Einige davon kommen ihr ganzes Falterleben lang nicht über einen Radius von etwa 20 Metern hinaus; Arten wie der Lindenschwärmer, der Kiefernspanner oder die Buchenkammeule sind perfekt auf eine Baumart angepasst.
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Kranebitten, 23.30 Uhr
Die GEO-Crew und besuchende Experten fahren nach Hause. Peter Huemer macht weiter bis zum nächsten Morgen - alleine.
Samstag, 12. Juni, Trins, Moränenwall, 6.30 Uhr
Über Nacht hat der Regen wieder eingesetzt, doch um sechs Uhr ist der Himmel trocken: Zeit für die Ornithologen, sich auf den Weg zu machen. Mit dem Feldstecher suchen sie Baumwipfel und Zäune ab, ihre Ohren sind gespitzt. Denn auch, wenn die Vögel sich im Blätterdickicht verstecken, mit einem geschulten Gehör kann man sie am Gesang erkennen. Später lassen sich die Vogelexperten vom "Shuttle-Dienst", den die Feuerwehr Trins organisiert, bis zum Gipfel des Blaser auf 2241 Meter hochfahren. Allein hier oben entdecken die Ornithologen 65 Vogelarten; insgesamt kommen sie bis zum Nachmittag mit 79 verschiedenen Spezies auf gut die Hälfte aller in Tirol bekannten Vogelarten.
Innsbruck, Zeughaus, 8.00 Uhr
Jetzt schwärmen auch die anderen Artenkenner aus: in fünf Untersuchungsgebiete mit zehn Sektoren zwischen Brennersee und Zirl. Überall treffen sie auf Schülergruppen; insgesamt nehmen mindestens 150 Kinder und Jugendliche am GEO-Tag der Artenvielfalt teil.
Innsbruck, Kranebitter Klamm, 8.50 Uhr
Zwei dritte Klassen des Bundesrealgymnasiums Adolf-Pichler-Platz erforschen mit Dr. Rudolf Hofer vom Institut für Zoologie und Limnologie der Universität Innsbruck die Vielfalt unter den Baumwipfeln. Dabei kommt der "Klopfschirm" zum Einsatz (ein umgekehrter Regenschirm, auf den sich die Bewohner der Äste und Blätter sanft herunterschütteln lassen). Eine Riesengaudi, obwohl es heftig zu regnen anfängt. GEO-Fotograf Enno Kapitza fällt sein Kamera-Blitz in den Sulzenbach.
Brennersee, 9.00 Uhr
Experte Armin Landmann schwingt eifrig seinen Kescher durchs Wasser, als plötzlich zwei Gendarmen vor ihm stehen: "Was machen Sie da?! Schwarz fischen, oder was?!" Der Limnologe zeigt Geistesgegenwart: "Landesregierung Tirol, Abteilung Umweltschutz! Wir erforschen die Artenvielfalt!!!" Die amtlichen Vokabeln wirken. Beim folgenden Gespräch stellt sich schnell heraus, dass Landmann wie Polizei das gleiche Ziel verfolgen: den Schutz des Brennersees. Statt abgeführt zu werden, kann Armin Landmann bis zum Abend 3 Fisch- und 33 Algenarten ausmachen. Eine Zahl, die sich nach der Bestimmung unter dem Mikroskop vermutlich mehr als verdoppeln wird.
Trins, Blaser, 9.23 Uhr
Organisations-Genie Robert Mühlthaler fährt seinen Kleinbus beim Rückwärts-Kehren fast einen Steilhang hinab. Begleiter aus dem GEO-Team sowie der Reporter der Kronen-Zeitung hebeln das Fahrzeug mit Baumstämmen, Steinen und vollem Körpereinsatz wieder auf die Piste. Erholung mit einem Fruchttrunk von der Tirolmilch aus der offiziellen Jausentüte. Kurz darauf das zweite Unglück: ein platter Reifen.
Zirl, Burgruine Fragenstein, 9.30 Uhr
Dr. Konrad Pagitz vom Botanischen Institut der Uni Innsbruck entdeckt am Ostturm der Ruine ein Breitblättriges Waldvögelein: eine Orchidee, die damit erstmals zwischen Innsbruck und dem westlich davon gelegenen Telfs nachgewiesen worden ist. GEO-Reporter Martin Meister, der dies eifrig protokolliert, zerläuft unter dem Regen die Tinte in seinem Notizblock.
Zirl, Schlossbachklamm, 9.40 Uhr
Ein ORF-Team erscheint und hält die Kamera auf eine Lidmückenlarve, die der Limnologe Dr. Leopold Füreder aus dem Schlossbach gekeschert hat. Ob man später am Fernsehschirm etwas von der Mücke sehen wird? Details wie am Bauch des Tierchens jenen Saugnapf, mit dem es sich im Strom an den Felsen festheftet, sicherlich nicht.
Südtirol, am Fuß des Schlern (2400 m.), Kirche Sankt Konstantin, Nähe Seiser Alm, 10.30 Uhr
Der GEO-Tag der Artenvielfalt ist hier zugleich wissenschaftliche Pilotstudie. 72 Experten, u.a. von den Unis Bozen, Padua und Innsbruck sind auf den Beinen. In ehemaligen Mooren, die zu Seen aufgestaut worden sind, keschern Limnologen Algen aus dem Wasser, um Sukzessionsfolgen zu untersuchen. Die Gruppe Pilzforscher aus Padua ist ein wenig enttäuscht: Weil es in den Wochen zuvor sehr trocken war, finden sie nur eine Bruchteil der hier eigentlich heimischen Arten. Besser läuft es bei den Libellen-Experten: Innerhalb kurzer Zeit finden sie ein Viertel aller in Südtirol nachgewiesenen Libellenarten. Und die Flechtenkenner schießen den Vogel ab: nicht weniger als 111 Arten kommen ihnen unter die Augen bzw. Feldlupe!
Trins, Moränenhügel am Ortsrand, 11.00 Uhr
30 Kippfallen hat Säugetierexperte Toni Vorauer schon am Abend aufgestellt. Doch außer einer kleinen Waldmaus, die von der Erdnussbutter naschen wollte, hat er hier nichts erwischt. Beim Einsammeln der Holzkistchen rutscht er über eine nasse Wurzel, fällt in einen Ameisenhaufen - und das einzige Mäuschen entkommt. Am Sulzenbach und Schlossbach hat er mehr Glück: Fast in jeder zweiten Lebendfalle sitzt eine Maus und wartet darauf, wieder freigelassen zu werden. Insgesamt kann Toni der GEO-Reporterin Katja Trippel fünf Arten demonstrieren: Waldmaus, Alpenwaldmaus, Gelbhalsmaus, Rötelmaus, Ostschermaus.
Patsch, Naturschutzgebiet Rosengarten, 12.15 Uhr
Schüler der Hauptschule Innsbruck-Hölting und der Volksschule Patsch sind mit Naturpädagogen des Vereins Natopia unterwegs. Um zu üben, wie sie in freier Natur Kleinlebewesen erkennen können, hat Biologe Andreas Jedinger entlang eines zehn Meter langen Seiles Gummitierchen "ausgesetzt". Und die Schüler merken: Wer im Gras, unter Wurzeln, auf Blättern oder in der Erde alle davon entdecken will, muss schon sehr genau hingucken! Am Ende des Tages haben sie 65 echte verschiedene Tier- und Pflanzenarten oder -gruppen bestimmt.
Innsbruck, Zeughaus, 16.00 Uhr
Langsam trudeln die Experten wieder am Ausgangspunkt ein, leicht durchnässt doch bester Dinge. In kleinen Gruppen stehen sie vor den vorgefertigten Listen, machen Kreuze für entdeckte Arten, diskutieren ihre Funde, beugen sich über noch nicht identifizierte Gräser, Käfer und Schneckengehäuse. Zwischendurch ruft GEO-Fotochefin Ruth Eichhorn per Megaphon zum Gruppenfoto in den Hof des Zeughauses. Doch ab 17 Uhr schüttet es wie aus Kübeln, und das Lächeln vor der Kamera von GEO-Fotograf Heiner Müller-Elsner schwimmt den Experten buchstäblich aus dem Gesicht.
Zeughaus, 18.00 Uhr
Die Spannung hat ein Ende: GEO-Reporter Martin Meister trommelt die Teilnehmer zur Abschlusskonferenz zusammen. Die Zahl der gefundenen Spezies ist beeindruckend: Trotz des schlechten Wetters haben die Experten mindestens 1500 Tier- und Pflanzenarten bestimmen können, darunter etwa 226 Flechten, 100 Moose, 630 Gefäßpflanzen, 370 Schmetterlinge, 14 Säugetierarten und 83 Pilze. Per Telefonkonferenz meldet Vito Zingerle vom Naturkundemuseum aus Südtirol mehr als 1000 Vertreter aus Flora und Fauna. Besonderes Schmetterlings-Highlight: ein Weißes Ordensband!
Zeughaus, 20.00 Uhr
Alois Mair, Bürgermeister von Trins, und die netten Damen seines Dorfes bewirten die ganze Expertenschar mit lokalen Spezialitäten wie Graukäs-Schnitten, Grammelbrot-Schweinefett, Gemüsesulzn, Buchtln (Norddeutsche würden "Berliner" sagen) und Tee aus selbst gesammelten Kräutern. Kulinarische Artenvielfalt!
Zeughaus, 21.00 Uhr
Das Gitarrenduo "Bluatschink" aus dem "Lechtl" (Lechtal) spielt auf, und die Artenkenner zeigen, dass sie auch singen und klatschen können. Das Hamburger GEO-Team gibt ebenfalls sein Bestes, doch die nordische Variante des Lechtaler Dialekts klingt eher abenteuerlich. Die Tiroler nehmen's gelassen. Und laben sich am Stiegl-Bier bis weit nach Mitternacht.