Ausgerechnet die nur zwölf Zentimeter große Amerikanische Zwergmistel Arceuthobium americanum könnte bald als neues Fruchtbarkeitssymbol Karriere machen. Ihr außergewöhnliches Fortpflanzungsverhalten haben jetzt die Biologin Cynthia Ross vom University College of the Cariboo in Kamloops im kanadischen British Columbia und ihr Kollege Michael Sumner von der University of Manitoba in Winnipeg genauer unter die Lupe genommen. Sie entdeckten bei dem Halbschmarotzer ein im Pflanzenreich äußerst seltenes Wasserdrucksystem, das es dem Gewächs ermöglicht, die eigenen Abkömmlinge neuen Wirtspflanzen regelrecht entgegenzuschleudern.
Ganze anderthalb Jahre brauchen die Samen der Zwergmistel, um zur Reife zu gelangen. Gegen Ende dieser langen Entwicklungsperiode speichert die wachsende Frucht zunehmend Flüssigkeit, welche sie zum Ausstoßen der Nachkommenschaft benötigt. Spezielle, unter dem Mikroskop erkennbare spiralförmige Zellen bilden eine gelatineartige Substanz, die große Mengen Wasser binden kann. Schließlich sind die Fruchtkörper zum Bersten gefüllt, können dem Druck nicht mehr standhalten - und platzen.
Die Spiralform, so Ross, begünstige den Flug der reiskorngroßen Keimlinge: Manche fliegen bis zu 20 Meter weit. Weil die "Massengeburt" unter natürlichen Bedingungen nur zwei Tage dauert, musste die Wissenschaftlerin bei ihrer Forschungsarbeit in den Wäldern Manitobas vor den fruchtbaren Geschossen zeitweise in Deckung gehen.
Der Weitwurfrekord dieser Pflanze ist auch deswegen so erstaunlich, weil ihre nahen Verwandten ihre Samen ausschließlich im Verdauungstrakt von Vögeln verbreiten. Der althochdeutsche Name "Mistil" weist noch auf diese ursprüngliche Verbreitungsart mit dem Vogelkot ("Mist") hin. Ausgerechnet der Zwerg unter den Misteln kümmert sich aber offensichtlich wenig um derartige Klassifikationen - und streut seine Nachkommenschaft mittels hydraulischer Raffinesse lieber selbst.