Der Verbrauch fossiler Brennstoffe ist so hoch, dass auf jeden Menschen pro Tag durchschnittlich elf Kilogramm des Klimagases Kohlendioxid entfallen, das in die Luft entweicht. Davon verbleiben aber vier Kilogramm nicht in der Erdatmo-sphäre, sondern werden von den Ozeanen aufgenommen. Das mindert einerseits den gefürchteten Treibhauseffekt, der zur Erwärmung der Erde beiträgt. Unglücklicherweise entfaltet das Treibhausgas aber auch im Meer eine schädliche Wirkung: Es reagiert mit Karbonat-Ionen und Wasser zu Kohlensäure - das Meer versauert.
Ein internationales Team um James Orr vom französischen Laboratoire des Sciences du Climat et de l'Environnement in Gif-sur-Yvette hat nun errechnet, dass der Prozess das ökologische Gleichgewicht des Südlichen Ozeans ernsthaft gefährden kann. Ohne drastische Änderungen im CO2-Ausstoß werden binnen Jahrzehnten zahlreiche Meerestiere wie Kaltwasserkorallen, Seegurken und nur millimetergroße, im Wasser schwebende Flügelschnecken in ihrer Existenz bedroht sein, da ihre Gehäuse und Exoskelette aus Aragonit, einer verbreiteten Form von Kalziumkarbonat, sich im sauren Meerwasser auflösen würden.
Wie empfindlich die Tiere auf Kohlensäure reagieren, hatte die Meeresbiologin Victoria Fabry von der California State University San Marcos durch Zufall entdeckt. Sie hatte Flügelschnecken aus dem Nordpazifik gesammelt und die Tiere in einem luftdicht verschlossenen Wasserbehälter aufbewahrt. Als sie das Gefäß tags darauf öffnete, stellte sie fest, dass das Kohlendioxid, welches die Tiere ausatmeten, im Verbund mit dem Wasser die Gehäuse der Schnecken angegriffen hatte.
Orrs Team entwickelte ein Simulationsmodell, wie sich beim gegenwärtigen Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre die Konzentration von Karbonat-Ionen in den Ozeanen bis ins Jahr 2100 verändern würde. Die Simulationen ergaben, dass die Oberflächengewässer des Südlichen Ozeans schon ab 2050 nicht mehr genügend Aragonit enthalten würden. Bis 2100 würde der Mangel den gesamten Südlichen Ozean sowie Teile des subarktischen Pazifik betreffen.
Um herauszufinden, welche Konsequenzen dies für kalkbildende Meeresorganismen hätte, setzte Fabry 14 Flügelschnecken einer Meerwasserlösung aus, deren Zusammensetzung Orrs Berechnungen für den Südlichen Ozean im Jahr 2100 entsprach. Mit alarmierendem Ergebnis: Zwar waren die Tiere am Ende des zweitägigen Experimentes noch am Leben, doch ihre Schutzhülle löste sich innerhalb von 48 Stunden auf.
Sollten die Flügelschnecken aussterben, könnte dies fatale Folgen für die marinen Ökosysteme haben, warnt Orr: "Flügelschnecken bilden eine wichtige Basis der Nahrungskette in polaren und subpolaren Meeresregionen. Ihr Verschwinden könnte ihre Fressfeinde, von Zooplankton bis zu Walen, in Schwierigkeiten bringen."
Auch die Fischindustrie würde darunter leiden. Denn am oberen Ende der Nahrungskette stehen wirtschaftlich bedeutende Fische wie Lachs, Kabeljau, Makrele und Hering.