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Die Sprache der Pflanzen

Sie besitzen weder Nervenfasern noch Gehirn, keine Muskeln, Kehlkopf oder Mund. Und doch sind Gewächse erfindungsreich und mitteilsam. Manche locken sogar die Feinde ihrer Feinde an.Forscher sind ihren Tricks auf der Spur

Inhaltsverzeichnis

Pflanzen senden Botschaften aus

Könnten wir die Botschaften der Pflanzen hören, herrschte in Wald und Flur vermutlich ein überwältigendes Stimmengewirr, ein Geflüster und Geschrei. Doch ihre Mitteilungen sind optischer und chemischer Natur. Das wehrhafte Aussehen einer Brennnessel etwa wäre, in die menschliche Sprache übersetzt, als Warnung "Lass mich in Ruhe, oder ich pieke dich" zu vernehmen. Oder: "Wenn du mehr von meinem Blatt frisst, wird es dir übel bekommen."

Und zur Blütezeit würden Pflanzen, um Insekten zur Bestäubung anzulocken, mit bunten Farben und allerlei Düften laut verkünden: "Hier gibt es Nektar, nun kommt schon her!" Der Begriff der pflanzlichen Kommunikation ist damit sehr weit gefasst: Dazu gehört im Grunde alles, was die Pflanze ausbildet, um mit anderen Lebewesen in Kontakt zu treten. Da die Abschreckung von Fressfeinden beispielsweise durch Dornen längst nicht immer funktioniert, wabern als chemische Signale Klagerufe durch die Luft, die sich mit "Ich werde angefressen" übersetzen ließen. Von einigen Pflanzenarten ist bekannt, dass sie auf diese Weise außerdem noch mitteilen, wer sie attackiert. Das mobilisiert die Feinde ihrer Feinde.

Ziel: die Erhaltung der eigenen Art

Biologen saugen im Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena die Ausdünstungen von Tabakpflanzen zur Analyse ab. Bei Raupenbefall scheiden die Pflanzen ein Gift aus, das die Schädlinge abschreckt
Biologen saugen im Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena die Ausdünstungen von Tabakpflanzen zur Analyse ab. Bei Raupenbefall scheiden die Pflanzen ein Gift aus, das die Schädlinge abschreckt
© Stephan Elleringmann

Die Pflanzenkommunikation dient vor allem zwei Zielen: der Fortpflanzung und dem eigenen Schutz. Während ihres Blühens etwa senden die meisten Blütenpflanzenarten intensive Locksignale vor allem an Insekten und vereinzelt auch an Vögel oder Fledermäuse aus. Ihre Botschaft: In den Blüten sind nahrhafte Substanzen zu finden - etwa Pollenkörner oder Nektar, eine zuckerreiche Lösung. Die Gegenleistung besteht in der Übertragung des Pollens. Um bestäubt zu werden, müssen Pflanzen somit auffallen, sofern sie als Transportmittel für den Pollen nicht Wind und Wasser nutzen.

Die weitaus meisten Blütenpflanzenarten werden von Bienen, Schmetterlingen und Fliegen bestäubt - vor allem aber von Käfern, die sich in fast 90 Prozent aller Blüten tummeln. Farben, Düfte und auch die Form einer Blüte ziehen in vielen Fällen mehrere Insektenarten an, manchmal aber auch nur eine einzelne Art, die für die jeweilige Blüte dann meist einen exakt angepassten Körperbau entwickelt hat.

"Vorsicht, ich tue weh!"

Nicht weniger wichtig sind die Signale zum Schutz einer Pflanze. Schon durch ihre äußere Erscheinung weisen viele Gewächse auf ihre Wehrhaftigkeit hin. Dornen, Stacheln und allerlei Haare halten manchen Pflanzenfresser fern. Weidetiere verschmähen stachelige Disteln ebenso wie die dicht mit Haaren überzogenen Königskerzen. Viele Pflanzen halten mit stängel- abwärts gerichteten steifen Borstenhaaren, in deren verstärkter äußerer Membran zudem noch Kieselsäure oder Kalk eingelagert sein können, Raupen und Schnecken fern. Das Kleblabkraut etwa schützt sich gegen Tierfraß durch hakenförmige Borstenhaare.

Andere Pflanzenhaare sind glasartig spröde, sodass sie bei Berührung abbrechen, ins Fleisch der Tiere eindringen und Entzündungen auslösen können. Von den Brennhaaren der Brennnesseln bricht bei Berührung die Spitze ab, und die in die Haut eindringende Haarzelle injiziert ein Gemisch, von dem bereits ein zehntausendstel Gramm ausreicht, um bei Menschen Brennen und Hautrötung auszulösen. Auch das, sagen die Biolo gen, ist ein Kommunikationsmittel.

Wehrhaft zeigen sich Pflanzen zudem durch Blätter, die spitz und scharf, ledrig-fest oder mit versteifenden Zellen durchsetzt sind. Andere verströmen abstoßende Gerüche, schmecken unangenehm oder sind mit Giftstoffen ausgerüstet. So enthält die Herbstzeitlose, ein Liliengewächs, in allen Pflanzenteilen das hochwirksame Zellgift Colchicin, das chemisch dem Arsen ähnelt und bei Verzehr zu schweren Durchfällen bis hin zu Schock und Herz-Kreislauf-Versagen führen kann. Viele Gewürzpflanzen wie Thymian, Rosmarin oder Majoran produzieren ätherische Öle, die unter anderem Fressfeinde abschrecken.

Hormonelle Giftspritze

Einige Pflanzen erzeugen sogar Substanzen, die Insektenhormonen ähneln. Solche Botenstoffe steuern bei den Sechsbeinern etwa die Entwicklung von der Larve bis zum erwachsenen Tier. Doch manche der von Pflanzen hergestellten Hormone sind 20-mal wirksamer als die von den Insekten selbst gebildeten und können bei diesen schwere Entwicklungsstörungen verursachen. Die Larven des Seidenspinners etwa sind nach der Aufnahme eines von Pflanzen erzeugten Hormons nicht mehr in der Lage, bei der Metamorphose ihre alte Hülle abzustoßen. Es kann sogar zur Ausbildung von zwei Köpfen kommen - mit tödlichen Folgen.

Die Abwehrstoffe stammen zumeist aus dem so genannten Sekundärstoffwechsel. Darunter verstehen Biologen Stoffwechselreaktionen, die für das Überleben der Zellen nicht unbedingt erforderlich sind, aber für den Organismus als Ganzes notwendig oder nützlich sein können. Mehr als 200000 solcher Naturstoffe haben Forscher bisher isoliert.

Die Bedeutung der VOCs

Zahlreiche dieser sekundären Pflanzenstoffe sind flüchtige organische Verbindungen (engl. Volatile Organic Compound = VOC). Schon unter normalen Lebensverhältnissen dünstet eine einzelne Pflanze 40 bis 50 flüchtige Stoffe aus - und unter Stress, etwa durch Tierfraß oder Trockenheit, noch sehr viel mehr. Nach groben Schätzungen schickt die Vegetation pro Jahr weltweit eine Milliarde Tonnen VOCs in die Luft. Bis zu 70 Millionen Tonnen jährlich beträgt allein die globale Emission des Pflanzenhormons Ethylen, des am längsten bekannten sekundären Pflanzenstoffes. Ethylen löst innerhalb der Pflanze vielfältige Funktionen aus. So steuert es das Wachstum von Keimlingen, kontrolliert das Altern von Blättern und Blüten und lässt Früchte reifen.

Dass die VOCs bei einer besonders spektakulären Verteidigungsstrategie zum Einsatz kommen, fanden Biologen erst in jüngerer Zeit heraus. Von Schädlingen angegriffene Pflanzen rufen mit speziellen VOC-Gemischen um Hilfe - sie alarmieren die Feinde ihrer Schädlinge. So locken durch Schmetterlingsraupen geschädigte Maispflanzen parasitische Schlupfwespen an, die ihre Eier in die Maisschädlinge legen. Die geschlüpften Schlupfwespenlarven fressen die Raupen dann von innen her auf.

Unter Stress scheidet diese afrikanische Brunnenpflanze das gasförmige Hormon Ethylen aus
Unter Stress scheidet diese afrikanische Brunnenpflanze das gasförmige Hormon Ethylen aus
© Stephan Elleringmann

Duftstoffe rufen Fressfeinde der Schädlinge auf den Plan

In Windkanal-Experimenten stellten Forscher Schlupfwespenweibchen vor die Wahl, zur Duftfahne entweder einer intakten oder einer von den Schädlingen befallenen Wirtspflanze zu fliegen. In den ersten zwei Stunden nach Befall der einen Pflanze war kein Unterschied festzustellen. Dann aber wurde diese zunehmend häufiger angeflogen als die andere.

Und die Sämlinge der Maispflanze erhöhen bei Raupenbefall durch die Zuckerrübeneule die Produktion des Alkohols Linalool sofort um das mehr als Hundertfache und dünsten ihn aus: um auf diese Weise Schlupfwespen anzulocken, die die Raupen vernichten.

Ähnliche SOS-Signale alarmieren Raubmilben, wenn Limabohnen von Spinnmilben heimgesucht werden, aktivieren Raubwanzen bei Attacken des Tabakschwärmers auf Wildtabak oder mobilisieren Stinkwanzen gegen Käferlarven auf Kartoffelpflanzen.

Schlaue Tabakpflanzen

Mit einer ganz anderen Strategie halten Tabakpflanzen den Schaden durch Nachtschmetterlinge, deren Larven ihnen zusetzen, in Grenzen. Das nur nachts ausgesandte chemische Signal "Hier ist eine Tabakpflanze mit Raupen der Art Heliothis virescens" alarmiert in diesem Fall nicht Räuber oder Parasiten, sondern weibliche Falter derselben Art, die noch auf der Suche nach einer geeigneten Tabakpflanze für ihre Brut sind. Diese Nachtschmetterlinge bevorzugen Pflanzen, die noch nicht von Artgenossen befallen sind, und wenden sich daraufhin anderswohin. So nützt das Signal beiden: Der Tabakpflanze bleiben weitere Belastungen erspart, und die Falter finden schneller, was sie suchen.

Der Speichel verrät den Schädling

Welchen Duftmix die Pflanzen produzieren, hängt von der Art des Schädlings ab. Damit das ausgedünstete Signal von den Empfängern verstanden wird, muss die Pflanze zunächst den Schädling registrieren - dazu reicht schon der Kontakt mit dem Speichel des Fressfeindes. Sobald eine Raupe ein Blatt anfrisst, lösen die im Speichel vorhandenen Inhaltsstoffe in den Pflanzenzellen eine Kaskade biochemischer Reaktionen aus, die Gene aktivieren und damit die Produktion eines genau auf den Schädling abgestimmten Geruchs aktivieren - der dann überwiegend über die Spaltöffnungen der Blätter ausdünstet und die passenden Räuber alarmiert.

Forscher haben zudem beobachtet, dass Schädlingsbefall oder Verletzungen auch bei den Nachbarn der betroffenen Pflanzen zu Stoffwechselreaktionen führen. So produzieren Eichen Abwehrstoffe gegen Raupenfraß, wenn sie in Windrichtung von befallenen Bäumen stehen. Freilich: Bis heute sind dabei grundlegende Fragen ungeklärt.

Ein botanisches Frühwarnsystem?

Als bislang am besten reproduzierbar erwies sich ein Experiment, bei dem eine US-Forschergruppe den Einfluss von Wüsten-Beifuß auf Wildtabak untersuchte. Sobald die Wissenschaftler den Beifuß beschnitten, gab dieser Substanzen ab, unter deren Einfluss der Tabak seinen Stoffwechsel auf Abwehr umstellte. Dadurch erlitten die Pflanzen deutlich weniger Fraßschäden durch Heuschrecken als Tabak in der Nähe von unversehrtem Beifuß. Der Abstand zwischen den Beifuß- und Tabakpflanzen betrug jeweils maximal zehn bis 15 Zentimeter.

Im Nahbereich kann also Kommunikation unter Pflanzen stattfinden: ein, wenn auch einseitiger, Informationsfluss. Ob die Botschaften auch über größere Entfernungen hinweg übermittelt werden können, ist noch unklar. "Man sollte lieber davon sprechen, dass manche Pflanzen andere belauschen", sagt Ian Baldwin, Direktor des Max-Planck-Institus für chemische Ökologie in Jena.

GEO KOMPAKT Nr. 5 - 12/05 - Geheimnis Natur

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