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Zeit der Entscheidung beim Klimagipfel

Der Klimawandel schreitet voran, wie das Extremwetter-Jahr 2010 zeigt. Die Klimapolitik aber macht Rückschritte - und steht deshalb vor einer historischen Weichenstellung. Ein kritischer Zwischenruf

Das heißeste Halbjahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Stürme in den USA und Mittelamerika, Waldbrände in Russland, Dürre und Erdrutsche in China, Überflutungen in Mitteleuropa und Pakistan. 2010, das ist das Jahr, in dem sich starke Extremwetter und ihre Folgen häufen - und eine Botschaft aussenden: Der Klimawandel ist real. Und er rückt näher.

Kein Klimawandel ohne Power Act

Die Klimapolitik hingegen rückt immer weiter weg: Die diesjährigen UN-Runden sind bisher ohne handfestes Ergebnis geblieben - offenbar ist der Schock der gescheiterten Konferenz 2009 in Kopenhagen noch nicht überwunden. Besonders schwer wiegt der Rückschritt in den USA: Ende Juli ließen konservative Senatoren den "Amercian Power Act" nicht zur Abstimmung zu. Unter anderem mit dem Emissionshandel sollten die US-Treibhausgas-Emissionen drastisch gesenkt werden. Ohne den Power Act wird Präsident Obama die zugesagte Reduktion von 17 Prozent bis 2020 (gegenüber 2005) kaum einhalten können.

Es dürfte schwer werden, ein neues Klimaabkommen zu erreichen. Denn ihre Bereitschaft dazu haben China, Indien, Brasilien und Südafrika an ein ehrgeiziges US-Gesetz geknüpft - das auf absehbare Zeit nun aber nicht zustande kommt. Damit stellen sich grundsätzliche Fragen: Kann es noch einen bindenden Klimavertrag unter dem Dach der UN geben? Oder ist die Zeit der Viel-Staaten-Verträge vorbei - und weicht einer klimapolitischen Welt, zu der bilaterale Abkommen, freiwillige Reduktionszusagen und regional unterschiedliche Konzepte gehören. Diese Welt könnte Vorteile haben, sagen Ökonomen: Mehrere Emissionshandels-Regime könnten auch stärkeren Reduktionen bewirken. Und eine Konkurrenz der Ideen brächte neue Ansätze hervor.

Das klingt plausibel. Nur: Können wir auf diesen Konkurrenzkampf warten? Und lässt sich mit unverbindlichen Zusagen das Ziel, die Erwärmung in diesem Jahrhundert auf unter zwei Grad zu begrenzen, noch erreichen? Sind nicht Reduktionspflichten und ein internationaler Vertrag doch die besseren Instrumente? Davon gehen die meisten Fachleute noch aus. Mit Skepsis blicken sie derzeit nach Cancún in Mexiko, wo im Dezember der nächste UN-Gipfel ansteht.

Der Klimawandel ist real: Etwa 26.000 Waldbrände verwüsteten in Russland in diesem Sommer mehr als 7600 Quadratkilometer Land
Der Klimawandel ist real: Etwa 26.000 Waldbrände verwüsteten in Russland in diesem Sommer mehr als 7600 Quadratkilometer Land
© ARTYOM KOROTAYEV/AFP/Getty Images

Ein neues Klimaabkommen muss her

China ist zum wichtigsten Markt für Solarenergie geworden und hat bei Investitionen in erneuerbare Energien die Führung übernommen
China ist zum wichtigsten Markt für Solarenergie geworden und hat bei Investitionen in erneuerbare Energien die Führung übernommen
© Imaginechina/Corbis

Dort wird es darum gehen, die Stimmung zu verbessern - und den entscheidenden Klimagipfel vorzubereiten, den 2011 Südafrika ausrichten wird. Vielleicht werden die Regierungen in Cancún zu Einzelaspekten Vereinbarungen treffen, etwa zum Waldschutz. Denkbar ist auch, was die neue UN-Klimasekretärin Christina Figueres vorgeschlagen hat: nach 2012 das Kyoto-Protokoll mit neuen Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer fortschreiben. Wie bislang blieben dann die USA sowie Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien außen vor. Sie könnten "ergänzende Leistungen" erbringen, die später in einem zweiten Vertrag festgeschrieben würden. Die Europäische Union wünscht sich mehr: Sie würde gerne alle großen Treibhausgas-Sünder in einem neuen Vertrag zu Reduktionen verpflichten. Und hat selbst schon Reduktionen um 30 Prozent bis 2020 in Aussicht gestellt.

Wie aber sähe ein neues Abkommen aus? Es müsste festschreiben, was der Weltklimarat fordert: eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2050 gegenüber 1990, was von Industriestaaten Minderungen von 25 bis 40 Prozent bis 2020 erfordert. Die Entwicklungsländer würden endlich zum Klimaschutz verpflichtet. Und verbindliche Finanzzusagen müsste die Vereinbarung enthalten: Wieviel Geld gibt wer für die Entwicklung klimafreundlicher Technologien und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels aus? In Kopenhagen haben die Regierungen Orientierungsgrößen hinterlassen: Nach 2020 sollen die ärmeren Länder 100 Milliarden Euro jährlich erhalten; 30 Milliarden bereits bis 2012 als Soforthilfe - wovon allerdings große Teile "recyceltes Geld" sind: Ohnehin geplante Ausgaben die einfach mit eingerechnet werden.

Ein neues Klimaabkommen sollte den Flug- und Schiffsverkehr CO2-Grenzwerten unterwerfen und den Clean-Development-Mechanismus (CDM) reformieren, bei dem sich Industrieländer Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern auf ihre Emissionen anrechnen lassen können. Dadurch hat sich ein milliardenschwerer Markt entwickelt - und eine Menge Betrug: Viele Projekte haben keinen Klimaschutzeffekt oder sind nicht neu entstanden.

Auch müsste geklärt werden, wie mit nicht verbrauchten Emissionsrechten ("Hot Air") umzugehen ist. Mittel- und osteuropäische Staaten haben sie beim weltweiten Emissionshandel zwischen Staaten, der 2008 begonnen hat, angesammelt - und wollen sie als Guthaben in ein neues Klimaregime mitnehmen. Der Überschuss geht darauf zurück, dass diese Staaten durch den Zusammenbruch ihrer Industrien in den 90er Jahren heute oft 30 bis 40 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 1990.

Positive Entwicklungen

Alles in allem steht es schlecht um die Klimapolitik. Dennoch: Es gibt auch positive Entwicklungen. Illegale Abholzungen gehen weltweit zurück. Europäische Unternehmen wollen Solarstrom-Anlagen in Nordafrika installieren. Und im klimaskeptischen Russland sprach Präsident Medwedew bei den Waldbränden von einem Weckruf, engagierter gegen den Klimawandel vorzugehen.

Indien treibt seinen ehrgeizigen Klima-Aktionsplan voran. China ist zum wichtigsten Markt für Solarenergie geworden und hat auch bei Investitionen in erneuerbare Energien insgesamt die Führung übernommen, wie ein Bericht des Pew Charitable Trust zeigt. Dennoch bleibt Pekings größtes Ziel, das Wachstum nicht zu gefährden - vor allem nicht mit verbindlichen Zusagen, den weltgrößten CO2-Ausstoß zu senken. China will ihn bis 2020 nur relativ begrenzen: je Einheit des Bruttoinlandsprodukts um 40 bis 45 Prozent gegenüber 2005. In absoluten Zahlen wird der CO2-Ausstoß dadurch allerdings nicht schrumpfen - nur langsamer ansteigen.

China wird zudem, ebenso wie Japan, einen nationalen Emissionshandel aufbauen. Dafür gab es zwar viel Lob. Gleichzeitig geht aber immer noch jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Und weltpolitisch bleibt das Riesenreich ein Dauerbremser.

Das ist das Dilemma: Aktuelle Fortschritte, die etwa durch die Verbreitung der erneuerbaren Energien entstehen, werden durch politische Fehler zu Nichte gemacht. Die grünen Märkte wachsen, doch die Politik wächst nicht mit. Und das kostet: 500 Milliarden Dollar gehen jährlich durch klimapolitisches Nichtstun verloren, wie die Internationale Energie Agentur ausgerechnet hat. Die Summe wird steigen. Dann müssen Billionenbeträge ausgegeben werden, etwa für Deiche, Umsiedlungen und Bewässerungssysteme, um die Menschen vor den Konsequenzen einer nahezu ungebremsten Erderwärmung zu schützen.

Bislang ging es vor allem um Klimaschutz, um die Verhinderung künftiger Schäden. Sollten die Verhandlungen in Cancún und Südafrika scheitern, könnte eine Zeit anbrechen, in der die Anpassung an die Folgen des Klimawandels langsam in den Vordergrund rückt; in der die Reparatur also wichtiger wird als die Vorbeugung. Die Staatenlenker werden in diesem und nächstem Jahr die Weichen stellen - und nicht nur für das Klima.

Denn Klimapolitik berührt viele Problemfelder: Armut, Wassermangel und Landwirtschaft, die Strukturen der künftigen Energieversorgung, Artenschwund und Umweltzerstörungen.

Es ist in der Tat nicht wenig, was auf dem Spiel steht.

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