Dr. Lamschus, was ist aus geologischer Sicht in Schmalkalden passiert?
Es gibt dort Salzstöcke und Kali-Bergbau und der Erdfall, der sich dort ereignet hat, folgt demselben Schema wie wir es bei Gebieten beobachten, in denen Salzsole gefördert wird. Diese Erdfälle ereignen sich meist im Gebiet des Randgipses, der das Salz umschließt.
Wie genau sieht so ein Salzstock aus?
Der Kern des Stocks besteht aus Steinsalz, das nach oben wächst. Das Randgebiet des Salzstocks bildet sich aus Gipsen und Anhydrid, also Verbindungen aus Säure und Base, die durch den Entzug von Wasser gekennzeichnet sind. In diesem Mantelgips entstehen Hohlräume, wenn er durch Grundwasser allmählich ausgewaschen wird. Die Hohlräume führen zu Verkarstungen – bei eindringendem Wasser kommt es zu Erosionen und die Hohlräume können einstürzen. Das äußert sich in verdeckten und manchmal auch in offenen Erdfällen.
In Schmalkalden liegt ein offener Erdfall vor?
Ja, dort ist der Einsturz einer Verkarstung gleich bis zur Erdoberfläche durchgedrungen und dadurch ist ein Loch von 25 Metern Tiefe entstanden. Das ist aber nicht die Regel – manchmal dauert es sogar Jahre, bis so ein Ereignis in über hundert Metern Tiefe an der Oberfläche spürbar wird. Zuerst tragen meist die nächsten Erdschichten noch, erst nach einer Zeit zieht das Deckengebirge, also die unmittelbare Oberflächenschicht, nach und ein Erdloch entsteht. Hier in Lüneburg sind allein 50 solcher Erdlöcher dokumentiert.


Ist das ein natürlicher Prozess oder ist Bergbau, speziell der Salzabbau, für solche Erdfälle verantwortlich?
Das ist immer schon der ganz große Streit gewesen. Ein Blick auf zwei unterschiedliche Senkungserscheinungen lohnt sich an dieser Stelle: Erstens die langsame, stetige Absenkung und zweitens plötzliche Einbrüche. Ersteres tritt auf, wenn die oberen Schichten des Salzstockes vom Grundwasser ausgelaugt werden. Ein natürlicher Ablauf, der sehr stark verstärkt wurde durch den über tausendjährigen Salzabbau. 1980 wurde die Saline geschlossen und seitdem haben sich die Senkungsgeschwindigkeiten um 90 Prozent verringert.
Die Senkwerte werden also gemessen?
Ja, wir haben in der Stadt 800 Messpunkte, die alle zwei Jahre kontrolliert werden. Man kann bestimmte Schwerpunkte feststellen und dass sie wandern – dann kann man sagen: In der und der Ecke passiert in zehn Jahren vielleicht wieder was, aber den genauen Zeitpunkt vorherzusehen ist unmöglich. Die plötzlichen Einbrüche an den Randgebieten, die sind völlig unvorhersehbar. Sie entstehen aber aus der gleichen Mischung natürlicher und anthropogener Ursachen.
Nun ist man in Lüneburg mit Messungen schon sehr weit. In anderen Regionen dagegen scheint das Risiko, das von Salzstöcken ausgeht, nicht bekannt zu sein. In Schmalkalden waren die Menschen völlig überrascht, als sich ein Erdfall ereignete.
Hier in Lüneburg werden Aufzeichnungen schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts betrieben und schon in den 20er Jahren beschäftigte die Stadt einen Geometer, der nichts anderes tat, als sich mit den Senkungserscheinungen der Stadt zu beschäftigen. 1931 hat es schon einen riesigen Prozess gegeben um zwei Bürgerhäuser am Randgebiet, die innerhalb eines Tages komplett eingestürzt sind. Die Besitzer der zwei Häuser wollten nachweisen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Einsturz der Häuser und dem Abpumpen der Salzsole durch die Saline gab. Das ist abgeschmettert worden und alle ähnlichen Prozesse sind bisher so ausgegangen, da es sehr schwierig ist, einen direkten Zusammenhang zu beweisen. Der damalige Stadtgeometer hat einen Zusammenhang zwischen Soleförderung und dem Erdfall abgestritten – später hat man eine Quittung gefunden, die beweist, dass er Geld von der Saline erhalten hatte.
Dennoch werden weiterhin Häuser auf Senkungsgebiet gebaut. Wer haftet für die Schäden, wenn Häuser einstürzen?
Der Auftraggeber. Wer hier überhaupt eine Baugenehmigung auf Senkungsgebiet bekommt, der bekommt sie mit der Bemerkung, dass der Bau auf eigenes Risiko geschieht. Ich würde niemandem dazu raten, auf den Randgebieten eines Salzstockes zu bauen oder ein Haus zu kaufen. Es gibt da einige Neubauten, bei denen böse Zungen sagen, dass sie nicht so lange stehen werden wie die Baukredite laufen, mit denen sie errichtet worden sind. Es gibt inzwischen schon Bauweisen, mit denen man das Risiko mindern kann, etwa indem man ein Haus aus verschiedenen Baukörpern errichtet, die unabhängig voneinander gehoben und gesenkt werden können. Oder mit Hydraulik, die man im Fall des Absenkens anheben kann.
Gibt es schon Technologien, mit denen Prävention im Boden selbst betrieben wird?
Man kann schon Verfüllungen machen, aber ob die wirklich was nutzen, ist eine andere Frage. Bisher hat nichts, was entwickelt wurde, wirklich geholfen.
Nach all den Risiken, die von einem Salzstock ausgehen: Wie beurteilen Sie die Bemühungen der Politik, ausgerechnet in einem Salzstock wie in Gorleben ein Endlager für Atommüll einzurichten?
Salz ist ein sehr weiches Gestein, es ist zerklüftet und wasserdurchlässig, es verformt sich sehr leicht. Und in Gorleben sollen auch noch Gasvorkommen entdeckt worden sein – also ich wäre vorsichtig damit, dort ein Endlager einzurichten. Ich halte das für sehr, sehr mutig, was die Politiker uns da bescheren wollen. Es gibt andere Gesteinsarten, die dazu sehr viel geeigneter als Salzstöcke sind.
Die Fragen stellte Emel Mangel
