Herr Brasseur, Sie sind gerade in Boulder, Colorado. Was ist für Sie noch wichtiger als der Weltklimagipfel in Cancún?
Ich habe 14 Jahre lang am hiesigen National Center for Atmospheric Research gearbeitet und bin dem Institut immer noch als Senior Scientist verbunden. Den Dezember verbringe ich deshalb in Colorado. Aber ich beobachte den Klimagipfel natürlich aus der Ferne.
Wie stehen die Chancen für einen Durchbruch nach dem Debakel von Kopenhagen?
Nach Kopenhagen war die Lage sehr kompliziert. Die Erwartungen waren damals hoch, aber es gab keine guten Ergebnisse. Das wurde als Katastrophe wahrgenommen. Jetzt dagegen sind die Erwartungen nicht sehr hoch. Jeder sagte zu Beginn der Konferenz, es werde nicht viel passieren. Aber in den letzten Tagen höre ich, dass es wieder etwas Hoffnung gibt. Auch wenn wohl keine großen Übereinkommen beschlossen werden.
Ist die Begrenzung der Erwärmung auf maximal zwei Grad, die in Kopenhagen beschlossen wurde, überhaupt noch realistisch?
Das Zwei-Grad-Ziel ist ein politisches Ziel, kein wissenschaftliches. Wissenschaftler haben sich vor drei oder vier Jahren gefragt, was man erreichen müsste, damit die Konsequenzen der Erderwärmung nicht so dramatisch sind. Und wie man das Ziel möglichst einfach formulieren könnte. Dann einigte man sich auf "zwei Grad". Aber ich bin sehr skeptisch, ob das noch erreichbar ist.
Warum?
Wir haben heute schon eine globale Erwärmung von 0,8 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten. Selbst wenn wir sofort alle CO2-Emissionen einstellten und die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf dem heutigen Stand bliebe, würde sich die Erdatmosphäre noch um weitere 0,6 Grad erwärmen. Denn es dauert eine gewisse Zeit, bis die Erde und die Ozeane reagieren. Das macht zusammen schon 1,4 Grad. Nun haben Kollegen ausgerechnet, dass wir weltweit bis zum Jahr 2050 nur etwa 750 Gigatonnen CO2 emittieren dürften, wenn wir die Zwei-Grad-Marke nicht überschreiten wollen. Das ist nicht viel. Zurzeit sind es 30 Gigatonnen jährlich. Wir müssten die Emissionen also sehr schnell um 80 Prozent reduzieren. Das ist politisch und technisch unmöglich.
Technisch unmöglich? Ist das nicht eine Frage der politischen Weichenstellung?
Natürlich, man könnte viel mehr tun. Man könnte mehr in Forschung und technologische Entwicklung investieren, um die erneuerbaren Energien wirklich voranzutreiben. Aber das muss schnell gehen. Und meines Wissens hat noch niemand gezeigt, dass das möglich ist. Deutschland tut zwar viel im Bereich Forschung und Entwicklung, aber gleichzeitig werden weiterhin Öl und Kohle zur Stromerzeugung genutzt. Auch in den USA ist die Lage politisch schwierig. Es gibt zwar viele aktive Klimaschützer, aber die Politik ist noch sehr stark beeinflusst von großen Konzernen, die andere Ziele verfolgen. Die Republikaner, die jetzt wieder an Macht gewinnen, wollen an der Nutzung von Kohle und Öl festhalten. Und viele Bürger, besonders hier im ländlichen Zentrum der USA, haben die Klimaproblematik noch gar nicht richtig verstanden. Das sind aber die Leute, die die Senatoren und Abgeordneten wählen. In China wiederum ist die ökonomische Entwicklung so rasant, dass sie es nicht schaffen, die CO2-Emissionen unter Kontrolle zu bringen. Und das, obwohl dort sehr viel für den Klimaschutz getan wird.
Sollten sich die Verhandlungspartner vielleicht auf Schadensbegrenzung und Entschädigung konzentrieren?
Einige Leute glauben, dass die jetzige Strategie - Kopenhagen, Cancun, ... - einfach nicht funktioniert. Dass wir den Klimawandel akzeptieren müssen. Ich sehe das anders. Ich glaube, wir müssen alles tun, um unser Klima zu schützen. Wir werden die 80 Prozent nicht erreichen, aber 40 oder 30 Prozent sind besser als nichts. Wir werden dann trotzdem eine Klimaänderung haben. Dafür müssen wir eine Anpassungsstrategie entwickeln - und diese beiden Strategien zusammenführen.
Manche Beobachter haben Cancún schon abgehakt und blicken auf Südafrika, wo 2011 der nächste Klimagipfel stattfindet ...
Cancún ist eine gute Gelegenheit, mit nicht zu hoher Erwartung die nächste Konferenz vorzubereiten. Besonders die USA, die ja eine wichtige Rolle spielen, sind im Moment überhaupt nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Obama kann nicht viel tun. Aber: Es gibt keine Garantie, dass die politische Lage in einem Jahr besser sein wird. Man muss dann aufpassen, dass man sich nicht immer weiter vorbereitet und am Ende keine Entscheidung trifft.
Haben die Vereinten Nationen als Koordinator der Klimarettung ausgedient?
Ich glaube, es gibt zur UN keine Alternative. Bilaterale Abkommen, etwa zwischen den USA und China, könnten dieses riesige und komplexe Problem nicht lösen. Jetzt wäre es wichtig, dass politische Schlüsselfiguren, wie Barack Obama, in dem Prozess die Führung übernehmen. Und nicht einfach warten, dass UN-Beamten das lösen.
Schwierige Verhandlungen, magere Ergebnisse - hat der Klimawandel ein PR-Problem?
Vor zwei, drei Jahren haben die Menschen in aller Welt verstanden, dass das Klima für die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Erde wichtig ist. Im Moment habe ich das Gefühl, dass diese Erkenntnis wegen der Wirtschaftskrise und wegen der Führungslosigkeit des Prozesses ein bisschen in den Hintergrund getreten ist. Die Leute sind nicht mehr völlig überzeugt, dass der Klimawandel ein echtes Problem für unseren Planeten ist.
Ist auch das Vertrauen in die Forschung erschüttert?
Ein Klimamodell bleibt immer ein Modell, hat also Ungenauigkeiten. Aber selbst wenn unsere Modelle nur mit einer Sicherheit von zehn Prozent richtige Prognosen zulassen: Wenn Sie wüssten, dass ein Flugzeug mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu zehn abstürzt - würden Sie einsteigen?
Nein.
Unsere Modelle zeigen übereinstimmend: Es könnte ein ernsthaftes Problem geben. Und die Chance liegt deutlich über zehn Prozent. Jetzt müssen die Politiker entscheiden, welches Risiko sie eingehen wollen. Mir scheint, die Politiker nehmen dieses Risiko nicht ernst genug.
Liegt das nicht auch daran, dass wir in den Industrienationen die Konsequenzen unseres Handelns nicht zuerst und nicht am stärksten zu spüren bekommen werden?
Jeder weiß, dass Rauchen die Gesundheit schädigt. Aber die Leute rauchen trotzdem. Dinge, die in der Zukunft liegen, haben irgendwie weniger Überzeugungskraft. Gut, das Klima, das ist noch etwas abstrakter. Menschen, denen es gut geht, denken, man stirbt nicht daran und wir können uns anpassen. Aber trotzdem sollten wir bedenken, was zwei, drei, vier Grad für unser Leben bedeuten - und für das Leben von anderen. Wenn Nordafrika und Spanien kein Wasser mehr haben, dann werden die Menschen auswandern. Die Konsequenzen werden wir auch in Deutschland, England oder Frankreich zu spüren bekommen.
Interview: Peter Carstens