Schon heute liefert Strom aus Windkraft den größten Anteil an den erneuerbaren Energien in Deutschland. Über 21.600 Anlagen lieferten im vergangenen Jahr mehr als sechs Prozent des gesamten verbrauchten Stroms. Das Potenzial der Windenergie ist damit bei weitem nicht ausgeschöpft. Neue Anlagen sind größer und wesentlich effizienter als ihre Vorgängermodelle. Der Bundesverband Windenergie geht davon aus, dass allein durch das Ersetzen alter durch neue Anlagen, dem so genannten Repowering, die Stromernte verdoppelt werden kann - bei einer Halbierung der Anzahl der Anlagen.
Bei den derzeit größten Windkraftanlagen befindet sich die Rotorachse auf einer Höhe von schwindelerregenden 135 Metern. Bei einem Rotordurchmesser von 127 Metern ragt die Windmühle insgesamt fast 200 Meter in den Himmel. Die Windrad-Megalomanie hat einen Grund: Die Verdoppelung der Rotorlänge, so eine Faustregel, vervierfacht die Strom-Ausbeute.
Die Sache hat nur einen Haken. In der Regel sind die Luftgeschwindigkeiten in größeren Höhen höher als in Bodennähe. Um bis zu 20 Prozent können die Geschwindigkeiten zwischen dem höchsten und dem tiefsten Punkt des Rotordurchmessers voneinander abweichen. Die Folge dieser Differenz: Effizienzverluste bei der Stromgewinnung und verkürzte Lebensdauer durch Verschleiß und Materialermüdung.
Nun soll eine neue Messtechnik beiden Herausforderungen begegnen: Wissenschaftler der Technischen Universität München entwickelten Glasfaser-Sensoren, mit denen sich Windkraftanlagen optimal steuern lassen. Möglich macht das ein spezielles Verfahren aus der Optik.
Höhere Energieausbeute mit intelligenter Messtechnik
Die Wissenschaftler der TU manipulierten die Glasfasern in bestimmten Abständen mit einem UV-Laser. An jeder gelaserten Stelle entsteht ein so genanntes Faser-Bragg-Gitter, eine Art Spiegel, der nur Licht einer bestimmten Wellenlänge reflektiert. "Wenn sich der mechanische Zustand am Sensor-Ort ändert, etwa durch Dehnung oder Stauchung, dann ändert sich die Farbe des reflektierten Lichts. Und diese Information werten wir aus", erläutert der Wirtschaftsingenieur Lars Hoffmann. Mit drei Kollegen arbeitet er seit sieben Jahren an ihrer Entwicklung.
Mit solchen "Blattnerven" ausgestattet, ließen sich Windkraftanlagen genauer steuern als es heute möglich ist. Denn die Elektronik der Anlage könnte auf sekundengenaue und präzise Informationen über die Belastungen an jeder Stelle eines Rotorblattes zurückgreifen.
Zwar sind Rotorblätter schon heute um ihre eigene Achse drehbar, können sich also unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten anpassen. Technisch, so Hoffmann, sei es jedoch möglich, dass sich die Rotoren der modernen, langsam drehenden Anlagen bei jeder Umdrehung optimal auf die höhenabhängigen Windgeschwindigkeiten einstellen.
"Theoretisch sind so fünf bis zehn Prozent Effizienzsteigerung möglich. Und selbst wenn man nur drei Prozent ansetzt, sind das schon 20.000 Euro im Jahr, die man mit einer durchschnittlichen Drei-Megawatt-Anlage zusätzlich verdienen könnte", sagt Lars Hoffmann. Eine Investition in faseroptische Sensoren, die laut Hoffmann auf lange Sicht im vierstelligen Bereich liegen dürfte, würde sich also rechnen. Und ganz nebenbei könnte die neue Technik helfen, die Wartung der Anlagen zu optimieren und Stillstandszeiten zu vermeiden.
Hoffmann vergleicht das neue Messverfahren mit Entwicklungen in der Motortechnik: "In den sechziger, siebziger Jahren waren Ansaugmotoren üblich. Heute haben sich 'intelligente', elektronisch gesteuerte Einspritzmotoren durchgesetzt, die wesentlich sparsamer sind."
Doch die Bewährungsprobe steht noch aus. In diesem Sommer wollen die vier Nachwuchswissenschaftler ihre Sensoren an einer Windkraftanlage in den USA erproben - und ein Unternehmen gründen. Die Zeichen stehen auf grün. Zumal in Zeiten des Atomausstiegs.