Es war der längste Klimagipfel der Geschichte, ein Treffen der Unglaublichkeiten: Die Durban-Konferenz dauerte eineinhalb Tage länger als gedacht und eigentlich möglich. Denn die Räume waren nicht mehr gebucht, als die Minister am Samstagabend tagten. In der Nacht zuvor durfte die Klima-Runde dafür schlafen - was unter anderem ein schnelleres Ergebnis verhindert hat. Am Ende gab es Chaos pur: Tagungen zwischen Umzugskisten und Teilnehmer, die bei den entscheidenden Gesprächen schon im Flugzeug saßen. Die südafrikanische Leitung hatte den Gipfel nicht im Griff. Er drohte, an Organisation und Logistik zu scheitern. Er tat es aber nicht.
Die Verpflichtungen im Kyoto-Protokoll werden, wenn auch nicht für alle, weitergeführt. Der grüne Klimafonds für Entwicklungsländer soll kommen. Und es gibt einen Fahrplan für einen neuen globalen Klimavertrag, dem sich erstmals auch Schwellenländer wie China und Indien unterwerfen wollen. Vor allem aber hat Durban entgegen den Erwartungen vieler eines erreicht: Das UN-Dach bleibt bestehen. 194 Länder können weiter im internationalen Haus verhandeln, um eine global gültige, rechtsverbindliche Antwort auf den Klimawandel zu finden. Eine Klimawelt der Beliebigkeit, der ein gemeinsamer Wille fehlt, wurde verhindert. Das ist der eigentlich Erfolg von Durban, wo sich die Tür auch hätte ganz verschließen können. Danach sah es lange aus.

Sie ist offen geblieben. Die Frage, wie genau der neue Vertrag aussehen soll, aber auch. Das ist die wunde Stelle, die China, Indien und die USA gelassen haben. Erst 2020 soll das Abkommen gültig sein. Und die Art seiner Rechtsverbindlichkeit, der wichtigste Punkt, ist unklar. Die Geldquellen, die den Klimafonds speisen, wollte zudem noch niemand entdecken. Diese Fragen verhandeln die Staaten nun in den kommenden Jahren. Weil die großen drei Blockade-Künstler die Antworten darauf nicht zuließen, geht erneut Zeit verloren, die Milliarden kostet. Denn der Klimawandel geht weiter - und richtet große Schäden an. Die verlorene Zeit ist jedoch das kleinere Übel. Schwerer hätte gewogen, den UN-Rahmen zu verlieren.
Die EU meldet sich zurück
Sein Erhalt ist das Werk der EU. Sie hat ihre harte Linie zwar nicht durchgesetzt. Doch dass es die europäische Kompromisslosigkeit überhaupt gab, hat die Teilerfolge erst möglich gemacht. Die EU hat in Durban wider Erwarten Stärke bewiesen und gezeigt, dass sie trotz Zerstrittenheit im Inneren nach Außen mit einer Stimme sprechen kann. Ja, dass sie 120 Staaten in einem neuen Bündnis vereint und überraschend tollkühn für das Klima kämpft. Die Union hat sich als Klimamacht zurückgemeldet - und weltpolitisch Glaubwürdigkeit gewonnen, die sie auf anderen Feldern derzeit massiv einbüßt.
Angeführt hat sie Klimakommissarin Conni Hedegaard, der als frühere dänische Umweltministerin eine Teilschuld am furiosen Scheitern von Kopenhagen 2009 gegeben wurde. Sie hatte eine persönliche Scharte auszuwetzen und ihre Chance genutzt - wie auch Norbert Röttgen, der in Südafrika entschlossen verhandelte und sogar von der SPD und den Umweltverbänden Lob bekam. Er trat damit aus dem Schatten der Kanzlerin, die sich zuvor endgültig von einer anspruchsvollen Klimapolitik verabschiedet hatte.
Beim Kyoto-Protokoll seien keine Fortschritte zu erwarten, rief die einstige "Klimakanzlerin" in einer Video-Botschaft nach Durban - und unterstrich, was bereits zu beobachten war: Auch die Klimapolitik ist für die ehemalige Umweltministerin, die Kyoto mit auf den Weg brachte und bei der man trotz aller Nüchternheit manchmal doch versucht war, so etwas wie eine zartgrünen Wesenskern auszumachen, nichts anderes als jedes andere Politikfeld auch: Machtmasse. Ein Thema, das man je nach Bedarf sowie medialer und wirtschaftlicher Konjunktur groß spielt oder klein hält. Das man anmacht oder ausschaltet. Die Kanzlerin hat ihre klimapolitischen Überzeugungen ausgeschaltet. Dass ihr Minister dennoch kämpfte, ist ihm umso höher anzurechnen.
Das fehlende Thema
Eines fehlte in Durban ebenso wie in Brüssel: die Verknüfpung von Euro-Krise und Klimawandel. Beide Probleme haben eine gemeinsame Grundlage: Schulden. Es geht um Geldschulden im Jetzt und ökologische Kredite, die wir heute bei unseren Kindern und Enkeln aufnehmen. Sie zahlen für verpasste Schritte gegen Erderwärmung, Fluten, Dürre, Stürme, Flüchtlingsströme, ausbleibende Ernten und vieles mehr. Eurokrise und Klimawandel zeigen wie keine anderen Themen, dass Wachstumsfetischismus, kurzfristige Profite und eine reine Jetzt-Politik, die über Legislaturperioden nicht hinausgeht, auf den Prüfstand müssen.
Sie sind dort schon: Die Bundesregierung lässt Forscher nach neuen Wachstumsindikatoren suchen, die auch den Zustand von Umwelt und Gesellschaft berücksichtigen. Und dass Turbo-Kapitalismus und Deregulierung mit der Weltfinanzkrise von 2008 ein Ende gefunden haben und neue Denkweisen her müssen, steht Schwarz auf Weiß geschrieben: in vielen aktuellen Büchern, die den großen Rahmen aufspannen. Und bei allen Unterschieden eines gemeinsam haben: die Forderung nach neuer Nachhaltigkeit. Wo ist diese übergreifende Debatte aktuell geblieben? In Durban und Brüssel arbeiteten Politiker und Medien jeweils die örtlichen Agenden ab. Getrennt voneinander.
Doch die Vernetzung kommt vielleicht noch: 20 Jahre nach dem Erdgipfel von Rio treffen sich die Staatengemeinschaft 2012, um das große Ganze zu besprechen. Die Chancen für Ergebnisse sind nicht so schlecht: Der Klimaprozess ist vorerst gerettet. Und Nachhaltigkeit ist in der Wirtschaft ein Megathema geworden. Gerade das lässt einen ernsthaft hoffen.