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Klimawandel: Hamburg probt den Ernstfall

Städte sind für einen Großteil der Treibhausgase verantwortlich. Und bekommen die Folgen der Erderwärmung schon heute zu spüren. Wie Metropolen reagieren können, zeigt die Internationale Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg

Inhaltsverzeichnis

Vom Müllberg zum Vorzeigeprojekt

Der "Berg" erhebt sich mitten in Wilhemsburg, einem Stadtteil im Süden Hamburgs, umflossen von zwei Armen der Elbe, in Nord-Süd-Richtung durchschnitten von Autobahnen und Bahntrassen. Das Besondere an dieser 40-Meter-Erhebung ist nicht so sehr die für Hamburger Verhältnisse spektakuläre Aussicht vom "Gipfel" - sondern ihr Inhalt. Es handelt sich nämlich um die ehemalige Mülldeponie Georgswerder.

Außer Atommüll wurde hier bis zur Schließung im Jahr 1976 so ziemlich alles "entsorgt", was Konsumgesellschaft und Industrie hervorgebracht haben. Selbst giftiger Schlamm wurde hier - allerdings illegal, für 20 D-Mark Bestechungsgeld - abgepumpt, erzählt Felix Gedanke, Student der Stadtplanung, der hier die Führungen leitet. 1986 begann die 100 Millionen Euro teure Sanierung. Eine größere Umweltkatastrophe konnte gerade noch verhindert werden. Aber noch heute lagern auf dem Gelände unter anderem 5,5 Kilogramm Dioxin. Genug, um ein Areal von der Fläche Schleswig-Holsteins zu verseuchen.

Vom Sanierungsfall zum Vorzeigeprojekt

Umweltfreundliche Stromerzeugung auf dem Energieberg Georgswerder im südlichen Wilhelmsburg
Umweltfreundliche Stromerzeugung auf dem Energieberg Georgswerder im südlichen Wilhelmsburg
© IBA Hamburg GmbH/Martin Kunze

Seit 2009 verwandelte die Internationale Bauausstellung Hamburg (IBA) den Problemberg in einen "Energieberg" - ein Vorzeigeprojekt. 1,5 Meter Erdreich, heimische Gräser und Sträucher bedecken den Müllhaufen. Das Methan aus dem Inneren, etwa drei Kubikmeter täglich, wird in der nahegelegenen Kupferhütte verheizt. Ein öffentlich zugänglicher Rundweg um den Gipfel mit Infotafeln über erneuerbare Energien ist geplant. Ab Juni 2012 wird eine Ausstellung über die Altlasten und die Nutzung regenerativer Energien auf dem Berg informieren. Jüngst wurden drei kleinere Windkraftanlagen auf dem "Gipfel" durch eine 3,4-Megawatt-Anlage ersetzt. Am Südhang erstrecken sich Paneele einer Ein-Megawatt-Photovoltaikanlage, der größten ihrer Art in der Hansestadt.

Der "Energieberg" ist heute nicht nur Mahnmal eines anachronistischen und verantwortungslosen Umgangs mit Ressourcen und Industrieabfällen. Das Projekt zeigt beispielhaft, wie eine No-go-Area von rund 60 Fußballfeldern Größe wieder sinnvoll in den städtischen Raum integriert und zur Energieerzeugung genutzt werden kann. Die Idee dazu hatte Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA. Als 100-prozentige Tochtergesellschaft der Stadt Hamburg und ausgestattet mit einem Etat von 110 Millionen Euro soll die Bauausstellung von 2007 bis 2013 "Entwürfe für die Zukunft der Metropole" liefern. Für den Energieberg stehen bis zum Abschlussjahr 2013 8,5 Millionen Euro bereit, davon 4,5 Millionen aus EU-Mitteln.

Das Energieberg-Konzept ist nur einer von vielen Bausteinen, mit denen Hellweg zeigen will, wie eine Stadt auf die Herausforderungen des Klimawandels antworten kann - und muss, zum Beispiel höhere Temperaturen im Sommer und höhere Wasserstände an Küsten und Flussmündungen. "An einem Ort, der so verletzlich ist wie Wilhelmsburg, kann man das Thema nicht ignorieren", sagt Hellweg. Der Stadtteil ist von Deichen umgeben. Obwohl die Nordsee rund 100 Kilometer elbabwärts liegt, schwankt der Wasserstand zwischen Ebbe und Flut um rund 3,5 Meter. Bei Sturmfluten wird es an den Deichen und Hochwasserbefestigungsanlagen schnell eng.

Warum der Klimawandel auf die Agenda gehört

Also setzte er das Thema, alarmiert vom zweiten Bericht des Weltklimarats IPCC aus dem Jahr 2007, als eines von drei Leitthemen auf die IBA-Agenda. "Nicht unbedingt zur Begeisterung der Politik", wie er sich erinnert. Die Stadtväter trieb die Sorge um, dass sich das Gedenken an die 315 Hamburger Opfer der Sturmflut von 1962 mit den Prognosen der Klimaforscher zum Anstieg des Meeresspiegels vermengen könnte. Wilhelmsburg sei sicher, ließ man Hellweg wissen.

"Die Folgen des Klimawandels werden so stark sein, dass es von der Elbmündung bis hier eine kohärente Strategie geben muss", sagt Hellweg. So versucht die IBA, immerhin modellhaft aufzuzeigen, wie das gehen könnte, auf und mit dem Wasser zu bauen. Und nicht gegen das Wasser. Mit zusätzlichen Überflutungsflächen im Osten des Stadtteils, die verhindern sollen, dass der Hafen versandet, und die die Überschwemmungsgefahr bei Hochwasser verringern sollen. Mit "Waterhouses" samt schwimmenden Terrassen, die die Qualität des Lebens am Wasser unterstreichen sollen. Und nicht zuletzt mit dem Verwaltungsgebäude der IBA selbst. Der Komplex, der aufeinandergestapelten Containern ähnlich sieht, schwimmt im alten Zollhafen am Nordrand von Wilhelmsburg, nur durch eine Gangway mit dem Ufer verbunden.

Klimaneutral bis 2050

Auch in puncto Energieverbrauch ist das 2010 fertiggestellte IBA-Dock richtungweisend: Für angenehme Raumtemperatur sorgen - auch im Winter - Solarkollektoren auf dem Dach und ein Wärmetauscher, der den Temperaturunterschied zwischen Flusswasser und Außenluft nutzt. Der Strombedarf wird komplett durch Photovoltaik gedeckt. Denn so viel steht fest: Neben der städtebaulichen Anpassung an den Klimawandel ist und bleibt das vielleicht wichtigere Thema seine Vermeidung. Städte sind weltweit für rund 80 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.

Auf Wasser gebaut: Das IBA-Dock im Alten Zollhafen
Auf Wasser gebaut: Das IBA-Dock im Alten Zollhafen
© IBA Hamburg GmbH/Martin Kunze

Hellwig setzte sich und der IBA ein ambitioniertes Ziel: Bis 2050 soll Wilhelmsburg CO2-neutral sein. Emissionen aus dem Hafen - immerhin fast zwei Drittel der Stadtteilfläche - und aus dem Verkehr allerdings nicht eingerechnet. "Erneuerbares Wilhelmsburg" heißt das Konzept, das international Beachtung findet. Neben dem Energieberg befindet sich der Energiebunker im Bau - ein Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der zum Regenerative-Energien-Kraftwerk umgerüstet wird. Aus einer Tiefe von 3200 Metern soll Wärme gefördert werden. Eine Neubausiedlung mit Niedrigenergie-Standard und eigener Versorgung mit regenerativen Energien ist in Planung. Im Westen des Stadtteils produzieren drei weitere Windkraftanlagen je 5 MW Strom. Mit dem "Energieverbund Mitte" wird regenerativ erzeugte Wärme kosten- und CO2-sparend an alle angeschlossenen Haushalte und Unternehmen verteilt. Dezentrale Verbraucher werden so zu dezentralen Energielieferanten.

"Ressourcen vor Ort nutzen!"

Konzept Erneuerbares Wilhelmsburg: Wenn es nach IBA-Chef Hellweg geht, ist der Stadtteil bis 2050 CO2-neutral
Konzept Erneuerbares Wilhelmsburg: Wenn es nach IBA-Chef Hellweg geht, ist der Stadtteil bis 2050 CO2-neutral
© IBA Hamburg GmbH/Martin Kunze

Dezentral und regional: So stellt sich Hellweg die Engergieversorgung der Zukunft vor. "Bevor alle Überlandleitungen gelegt sind und alle Bürgerproteste beschwichtigt sind, müssen wir vor Ort anfangen, dezentrale Ressourcen nutzen", ist er überzeugt. Und steht damit auf schwierigem Posten. Denn in der Politik herrsche heute noch die "großindustrielle Denkweise" vor. Man setze lieber auf Mega-Projekte wie Offshore-Anlagen oder Desertec.

Mega-Projekte sind nicht Hellwegs Sache. Denn die eigentliche Herausforderung im Klimaschutz, weiß der 54-Jährige, kommt unspektakulär daher. "Die Klimaschlacht wird im Altbau geschlagen", sagte Hellweg schon im Januar auf einer Konferenz zum Thema Stadt im Klimawandel. Und meinte damit die energetische Sanierung von Wohnungen aus einer Zeit, in der noch niemand über Peak Oil sprach. Mehr als ein 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland gehen auf das Konto der privaten Haushalte. Und drei Viertel davon sind Heizkosten.

"Die Klimaschlacht wird im Altbau geschlagen"

Viel zu gering sei die Sanierungsrate von derzeit knapp einem Prozent, meint Hellweg. Ein "schwieriges Kapitel" sei das. Vor allem, weil derzeit noch unklar ist, wer für die Kosten aufkommen muss. Manche Eigentümer nutzten die energetische Sanierung als Vorwand für ungerechtfertigte Mieterhöhungen. "Die Kosten, die als energetische Kosten deklariert werden, sind zum großen Teil Instandsetzungskosten, die eigentlich nicht umgelegt werden dürfen", sagt Hellweg. Und vertritt die Dritteltheorie: "Im Grunde müsste man die Kosten so verteilen, dass ein Drittel der Mieter zahlt, ein Drittel die Eigentümer, weil es um Werterhaltung und Wertverbesserung geht. Und ein Drittel muss die Allgemeinheit zahlen, weil sie dadurch die Folgekosten reduzieren kann."

In die gleiche Kerbe haut BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch. "500.000 bis 600.000 Wohneinheiten in Hamburg sind vor 1978 gebaut worden", erklärt er. Die Sanierungsrate müsse verdoppelt werden, wenn Hamburg seine selbst gesteckten Energiespar-Ziele erreichen wolle: 40 Prozent weniger Energieverbrauch bis zum Jahr 2020, 80 Prozent weniger bis zum Jahr 2050. Hier kann die IBA nur Impulse geben. Handeln müssen die Stadtväter. Jüngst schloss die Stadt Hamburg mit der Wohnungswirtschaft eine Wohnungsbauoffensive ab. 6000 Wohnungen sollen jedes Jahr neu gebaut werden. "Wir hätten gerne gesehen, dass das mit einem ambitionierten Klimaschutz verbunden wird, wie etwa Passivhausstandard oder Plus-Energie-Haus", sagt Braasch. Doch im Vertrag fand er dazu nichts. Stattdessen belässt es die Stadt bei den gesetzlich vorgeschriebenen Minimalstandards.

Andere Länder, andere Reduktionsziele

Wie effektive und nachhaltige CO2-Reduktion gelingen kann, demonstrieren derweil andere Städte. Zürich etwa will bis 2050 seinen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß um zwei Drittel verringern, von heute 5,5 auf eine Tonne CO2. "2000-Watt-Gesellschaft" heißt das Projekt, ersonnen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Damit es nicht bei vagen Absichtsbekundungen bleibt, haben die Eidgenossen das Ziel gleich in ihre Verfassung aufgenommen. 75 Prozent der Bürger stimmten bei einer Volksabstimmung für den Entwurf. Von solchem Eifer wollen die bedächtigen Hanseaten nichts wissen. Dabei würde es sich lohnen. Ihr Pro-Kopf-Ausstoß liegt heute bei zehn Tonnen.

Bleibt der Klimaschutz in der Umwelthauptstadt 2011 also auf der Strecke? Viel wird davon abhängen, ob und wie die Stadt die Anregungen der IBA aufnimmt. Im Rahmen der 2009 gestartete Kampagne "Prima Klima-Anlage" bietet die Bauausstellung privaten Eigentümern fachkundige Beratung über Energiesparpotenziale ihres Hauses und finanzielle Förderung. "Das lief sehr enttäuschend an", erzählt Hellweg. Doch mittlerweile seien sechs Projekte abgeschlossen. Die Leute hätten gesehen, dass Gebäude nach der Sanierung weniger als ein Drittel der Energie zum Heizen verbrauchen - und auch noch gut aussehen. Selbst, wenn sie denkmalgeschützt sind. Jetzt erreichen die IBA so viele Anfragen, dass Hellwegs Mitarbeiter kaum noch hinterherkommen. "Das Interesse wurde nicht durch Broschüren geweckt, sondern durch gute Beispiele."

Die Homepage der IBA Hamburg

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