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Rebound-Effekt Warum unser Energieverbrauch steigt, obwohl Geräte immer sparsamer werden

Die Geschichte der technologischen Entwicklungen ist auch eine Geschichte der steigenden Energieeffizienz. Trotzdem nimmt unser Energie- und Ressourcenverbrauch ständig zu. Verantwortlich dafür ist der Rebound-Effekt

Inhaltsverzeichnis

Moderne LEDs sind wahre Effizienz-Wunder. Waren es bei der guten alten Glühbirne nur etwa fünf Prozent der elektrischen Energie, die in sichtbares Licht umgewandelt wurden, schafft das Leuchtmittel der Zukunft bis zu 90 Prozent. Dabei schrieb selbst die Glühbirne zu ihrer Zeit Effizienz-Geschichte: Die ab 1910 eingesetzen Glühbirnen mit Wolframfaden fraßen im Vergleich zu ihren Vorgängern mit Kohlefaden nur ein Viertel des Stroms - bei gleicher Lichtausbeute.

Jevon's Paradoxon

Doch trotz immer sparsamerer Leuchtmittel brauchen wir für elektrisches Licht heute nicht weniger Energie. Der Grund: "Je billiger die Ware künstliches Licht, desto höher ist der Verbrauch", erklärt der Schweizer Journalist und Buchautor Marcel Hänggi. Unter anderem, weil man nun auch dort Licht macht, wo vorher keines war. Etwa, wenn nachts öffentliche Gebäude angestrahlt werden. Und dieser Trend setzt sich fort - selbst in den hoch entwickelten westlichen Nationen, in denen die Beleuchtung aller Räume eines Wohnhauses oder die Straßenbeleuchtung schon lange zum Standard gehört. Seit Jahren protestieren Sternengucker und Freunde der Nacht gegen die grassierende Lichtverschmutzung in den Städten.

Wenn es um energieschonende Technologien geht, ist eine solche Fehlentwicklung nicht die Ausnahme, sondern die Regel, sagt Hänggi. Ökonomen nennen sie Rebound. Oder, nach ihrem Entdecker, "Jevons' Paradoxon".

Rebound-Effekt: Energiesparlampe hin oder her: Sparen kann man nur, indem man weniger verbraucht
Energiesparlampe hin oder her: Sparen kann man nur, indem man weniger verbraucht
© Ian Logan/ Photographer's Choice/Getty Images

Wie lang reicht die Kohle?

Der englische Ökonom William Stanley Jevons hatte im 19. Jahrhundert die Perspektiven von Kohleförderung und -verbrauch im Königreich erörtert. Eine Frage von immenser Bedeutung, war doch die Industrialisierung und damit die Wirtschaftsleistung Englands fast ausschließlich von der Kohle abhängig. Die Einsicht, dass Kohlevorräte auf den Britischen Inseln endlich waren, beschäftigte Ökonomen bereits seit dem 18. Jahrhundert. Der Energiehunger der Dampfmaschinen musste gedrosselt werden. Das schaffte James Watt im Jahr 1776 mit seiner neuartigen Maschine. Sie verbrauchte rund zwei Drittel weniger Energie als die bis dahin übliche Konstruktion von Tomas Newcomen.

Jevons untersuchte, wie sich Kohleangebot und Kohlenachfrage seit vorindustriellen Zeiten entwickelten. Und kam zu einem beunruhigenden Ergebnis: Es sei eine irrige Annahme, schrieb er in seinem Buch "The Coal Question" aus dem Jahr 1865, dass der sparsame Einsatz von Kohle gleichbedeutend sei mit verringertem Verbrauch. Das Gegenteil sei der Fall.

Wenn Effizienzmaßnahmen zu Mehrverbrauch führen

Schon bald sprudelte eine andere Energiequelle, das Erdöl. Um das Zusammenspiel von Effizienz und Kohleverbrauch und das Paradox des Ökonomen wurde es still. Erst in den 80-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts flammte die Diskussion wieder auf, angeheizt vom drohenden Erdölfördermaximum. Und vom Klimawandel. Wissenschaftler sprechen heute von Rebound, englisch für "Rückprall". Gemeint sind damit nicht realisierte, "verschenkte" Effizienzgewinne. Autos etwa werden nicht immer sparsamer, nur weil ihre Motoren immer effizienter werden. Sie werden stattdessen immer stärker. Das macht die mögliche Benzin-Einsparung zum Teil zunichte. Oder führt sogar zu einem Mehrverbrauch. Das nennen die Fachleute dann "Backfire".

Neben solchen direkten Rebound-Effekten gibt es auch indirekte. Etwa wenn nach der energetischen Sanierung eines Hauses dem Besitzer mehr Geld zur Verfügung steht - für eine Flugreise beispielsweise. Alle Konsumaktivitäten verbrauchen mehr oder weniger Ressourcen, schädigen das Klima mehr oder weniger - und machen so einen Teil des Einsparpotenzials wieder zunichte.

Geräte werden immer sparsamer. Der Verbrauch steigt trotzdem

Rein rechnerisch sind solche Effekte schwer zu erfassen. Doch beobachten lassen sie sich gut. So wies das Umweltbundesamt im Jahr 2009 darauf hin, dass große Haushaltsgeräte zwar immer effizienter geworden seien. Kühl- und Gefriergeräte seien zwischen 1995 und 2005 um bis zu 39 Prozent sparsamer geworden, Geschirrspüler sogar bis zu 44 Prozent. Im Zeitraum zwischen 1992 und 2005 seien Waschmaschinen um über ein Drittel sparsamer geworden. Dennoch stieg der Stromverbrauch in privaten Haushalten zwischen 1990 und 2007 um 20,3 Prozent an. Unter anderem darum, weil immer mehr und immer größere Elektrogeräte angeschafft wurden.

Noch schwieriger wird es bei sogenannten makroökonomischen Rebound-Effekten. "Wenn Sie Energie sparen, wirkt die eingesparte Energie auf den Markt wie ein zusätzliches Angebot. Das drückt auf den Preis - wodurch sich wiederum die Nachfrage erhöht", sagt Marcel Hänggi. Dummerweise fressen genau diese Effekte langfristig den größten Teil der möglichen Effizienzgewinne.

Beispiel Glühlampe: "Als die Wolframlampe aufkam", sagt Hänggi, "fürchteten die Stromanbieter in England, dass ihre Stromumsätze einbrechen würden. Passiert ist aber genau das Gegenteil." Denn weil weniger verbraucht wurde, war mehr Strom auf dem Markt. Der Preis sank, da er sich nach dem Angebot richtet. Elektrizität wurde nun auch für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Aus dem Luxusgut "elektrisches Licht" wurde ein Massenprodukt. Stromabsatz und -verbrauch stiegen massiv.

In einer britischen Studie von 2009 haben Wissenschaftler die Auswirkungen aller drei Arten von Rebound-Effekten untersucht. Das Ergebnis: Weltweit werden Effizienzmaßnahmen bis zum Jahr 2030 durch direkten Rebound um zehn Prozent verringert. Alle Rebound-Effekte zusammengenommen führen dazu, dass bis 2020 weltweit fast ein Drittel der Einsparpotenziale aufgefressen werden. Und bis 2030 sogar mehr als die Hälfte. Manche Ökonomen gehen von weit höheren Werten aus.

Die Politik muss reagieren

Umso erstaunlicher, dass der Rebound-Effekt bislang in Klimaszenarien und Strategien zur Senkung des Klimagasausstoßes kaum Beachtung findet. Die Sorge der Ökonomen: Die Prognosen der Klimaforscher könnten sich als bei weitem zu optimistisch erweisen. So ignorierte der Stern-Report von 2006 Rebound-Effekte ganz, der IPCC-Bericht von 2007 begnügte sich mit einer Worterklärung.

Nicht alle stören sich daran. Für die Politik sei die Effizienz natürlich attraktiv, meint Hänggi. Denn so könne man die Menschen glauben machen, man würde sparen, ohne es zu merken. Doch die Strategie ist trügerisch. "Eine höhere Effizienz", sagt Hänggi, "kann höchstens ein Weg sein, aber kein Ziel. Denn ich kann ja immer effizienter immer mehr verbrauchen." Auch die Bundesregierung setzt weiterhin einseitig auf Technologien zur Effizienzsteigerung.

Der einzige Ausweg aus der Rebound-Falle, da sind sich die Effizienz-Skeptiker einig, ist die Drosselung des Angebots. Nur wenn weniger Erdöl, Kohle, Strom auf den Markt gebracht werden, lässt sich der CO2-Ausstoß effektiv und messbar reduzieren. "Dann ist für Rebound einfach kein Platz mehr", sagt Hänggi.

In Brüssel scheint man das schon erkannt zu haben. So liegt seit dem vergangenen Jahr ein Vorschlag für eine neue EU-Energieeffizienz-Richtlinie auf dem Tisch. Danach sollen Energieunternehmen verpflichtet werden, jedes Jahr 1,5 Prozent weniger Energie bereitzustellen. In Berlin kommt die Idee nicht so gut an. Für den deutschen Wirtschaftsminister, Philipp Rösler, ist das schlicht "Planwirtschaft". Nach zähem Ringen mit dem Bundesumweltminister wird sich die Bundesregierung in Brüssel nun dafür einsetzen, dass jedes EU-Mitgliedsland selbst entscheiden darf, ob es seinen Verbrauch senkt - oder weiter an der Effizienz-Schraube dreht.

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