Immer wieder haben wir uns beim Einkaufen gefragt: Was kann man heutzutage eigentlich noch guten Gewissens essen? Sollen wir darauf achten, dass unser Kühlschrank regional befüllt wird, oder sollen wir mehr Wert darauf legen, dass die Lebensmittel biologisch angebaut wurden - auch wenn wir sie im Discounter kaufen? Sollten wir den Verlockungen der Bio-Flugmango aus Südamerika nachgeben? Bio-Erdbeeren im Dezember naschen? Wer garantiert uns, dass das Bio-Schwein glücklich war, bevor es für uns sterben musste? Unsere Einkaufsentscheidungen wurden kompliziert und nervig. Wir wollten es aber einfach.
Darum haben wir uns für eine Food-Coop entschieden. Der Begriff lässt sich am ehesten mit Lebensmittelkooperative oder Lebensmittelgenossenschaft übersetzen und baut auf dem Konzept der Konsumgenossenschaften des 19. Jahrhunderts auf. Die Idee dahinter: Menschen finden zusammen, die sich auf ähnliche Art ernähren möchten und ihre Lebensmittel direkt vom Erzeuger beziehen. Der Vorteil: Man weiß, wo und wie die Tomaten gezogen wurden, die auf dem eigenen Tisch landen. Und man spart CO2 wegen der kürzeren Vertriebswege. In unserem Fall sind wir jetzt also Teil der Wirtschaftsgemeinschaft eines landwirtschaftlichen Betriebs in Schleswig-Holstein. Rund 30 Kilometer nördlich von Hamburg liegt der Kattendorfer Hof, der nach den strengen Demeter-Richtlinien wirtschaftet und sich dem Konzept der Solidarischen Landwirtschaft verschrieben hat.

2500 Quadratmeter ernähren einen Menschen
Die Grundidee ist, dass man einen Menschen mit dem landwirtschaftlichen Ertrag einer 2500 Quadratmeter großen Fläche komplett versorgen kann. Also kauft man als Mitglied der Hofgemeinschaft den Ernteanteil dieser Fläche - oder einen Bruchteil davon. Für meinen Freund und mich reicht ein halber Anteil. Die 1050 Euro jährlich überweisen wir in Monatsraten à 87,50 Euro. Einmal in der Woche werden die Lebensmittel der Saison in verschiedene Depots geliefert. Das sind trockene Keller- oder Lagerräume, elf davon in Hamburg. Und weil das Konzept auf Solidarität beruht, heißt das auch, dass man mit anpacken muss. Ab und zu muss jedes Coop-Mitglied samstagmorgens um zehn im Depot stehen und Milch und Käse in den Kühlschrank räumen, Gemüse auf den Regalen platzieren und den Raum putzen. Ein kleiner Preis für den Luxus, rund um die Uhr, nur mit einem Kellerschlüssel bewaffnet, einkaufen gehen zu können.
Mit Anpacken kann man auch auf dem Hof selbst. Sowohl zur Erdbeerernte im Frühjahr als auch zur Möhrenernte im Herbst werden immer wieder viele fleißige Helfer gesucht. Und auch an ganz normalen Tagen sind Cooper auf dem Hof willkommen, wenn sie mitarbeiten möchten. Ob man sich dort blicken lässt oder nicht, ist jedem selbst überlassen. Per wöchentlichem Update werden die Mitglieder über die Anbaubedingungen und die Ernteerträge auf dem Laufenden gehalten. In diesem sogenannten Hofbrief, der per E-Mail kommt, ist auch vermerkt, wie viel Kilogramm Gemüse sich jedes Mitglied in der jeweiligen Woche mit nach Hause nehmen kann. Denn die Gemüseauswahl und –menge ist von der Jahreszeit und den Wetterverhältnissen abhängig. Für uns bedeutet das eine Ausbeute von durchschnittlich 0,75 bis 1,75 kg Gemüse pro Woche. Bei Milchprodukten wird der Milchanteil (8,75 Liter pro ganzem Anteil und Woche) auf Käse, Quark, Joghurt und Butter umgelegt. Auch der Fleischanteil pro Mitglied ist genau festgelegt. Ob wir uns davon nun mit Steak oder Leberwurst versorgen, ist uns überlassen.
Mit dem halben Anteil am Kattendorfer Hof werden wir als Zwei-Personen-Haushalt inzwischen fast komplett versorgt. Das liegt zum Teil daran, dass wir beide oft in der Kantine essen und eigentlich nur am Wochenende regelmäßig selber kochen. Einzig Brot, Kaffee und bestimmte Grundnahrungsmittel müssen wir noch dazu kaufen. Obst wird auf dem Hof ebenfalls nicht angebaut, also haben wir unsere Biokiste zur Obstkiste gemacht. Seit wir Coop-Mitglieder sind, ist unser Kühlschrank nicht nur konstant mit frischen und gesunden Lebensmitteln gefüllt, wir essen außerdem bewusster und sparen am Ende sogar ein wenig Geld.
Ein bisschen Chaos nimmt man gern in Kauf
All diese Vorteile lassen uns leicht über unseren etwas holprigen Anfang in der Coop hinwegsehen: Bis wir unseren Schlüssel für den Raum hatten, hat es gut einen Monat gedauert; zwei Wochen lang konnten wir unseren Anteil überhaupt nicht abholen. In diesem System hat jedes Mitglied eine andere Aufgabe - und fast jedes Mitglied ist in irgendeiner Art und Weise in die Organisation und Kooperation mit einbezogen. Da ist ein bisschen Chaos hin und wieder unvermeidlich. Ein anderes Problem ist das Vertrauen, auf dem unsere Art der Lebensmittelbeschaffung aufbaut. Holen wirklich alle nur das, was ihnen zusteht? "Wer hat meine Milch getrunken?" - "Warum bekomme ich immer nur Rüben, wo es doch eigentlich auch Tomaten geben sollte?", haben wir uns gelegentlich gefragt. Ein gewisses Grundvertrauen ist hier unerlässlich. Aber gerade weil das existiert und weil jeder von uns wohl mit einem gewissen Gerechtigkeitssinn ausgestattet ist, klappt das Modell der Food-Coop.
Fakt ist: Seit wir im Keller einkaufen gehen, seit nun eineinhalb Monaten, hat sich unser Bezug zu dem, was wir kaufen und essen, verändert. Wir essen weniger Fleisch. Wir schätzen das, was auf unserem Teller landet, mehr. Und es schmeckt uns einfach besser - und wenn's nur am guten Gewissen liegt.