Nur eine Stunde, und die Finger sind schwarz. Ruppe Koselleck reibt die Kuppen aneinander, die Schmiere bleibt kleben. Fest an der Haut, tief in den Rillen. Die Ausbeute ist gut an diesem Tag. Alle 20 Meter wird er fündig. Ein Klümpchen hier, ein Flatschen da. Koselleck sammelt Rohöl am Strand von Norderney.
Links gischtet die Nordsee, Möwen schweben im Wind, die Urlauber bummeln barfuß. Strandkörbe und Sand strahlen unter der Sonne. Ein Tag in Blauweiß, und mittendrin, grasgrün, marschiert Koselleck. Er trägt seine schwere alte Jacke von BP, wie immer bei seinen Ölaktionen, und eine BP-Basecap auf dem kahlen Schädel. Wie ein Tankwart zur falschen Zeit am falschen Ort.
Aktie für Aktie zum Takeover
Koselleck aber ist hier richtig. Hier findet er Reste großer Katastrophen und kleiner Missgeschicke. Das Öl, das bei Bohrinselunfällen und Tankerunglücken oder von Schiffen ins Meer gespült wird. Koselleck sammelt die Klumpen und malt damit Bilder - Rohölbilder. Trägt er dick auf, stinken sie. Mit dem, was er an den Werken verdient, will er BP übernehmen, den Ölkonzern. Bild für Bild, Aktie für Aktie. "Takeover BP" heißt die Aktion, 2001 hat er damit angefangen. "BP zu nehmen, das war Zufall", sagt Koselleck. "Hauptsache, einer von den Großen. Die haben zu viel Macht." Das sei nicht gut in Zeiten, wo Rohstoffe knapper würden. Zu abhängig seien die Menschen von den Monopolisten. "Deshalb schlucke ich sie mit dem Dreck, den sie machen."
Koselleck grinst. Er sorgt - zumindest ein bisschen - dafür, dass der Dreck von den Stränden verschwindet, und am Ende lässt er BP selbst verschwinden. An welchem Ende? 2368 Aktien hat er jetzt, 9,5 Milliarden bräuchte er für die Mehrheit, um das Sagen zu haben über diesen gigantischen Konzern mit seinen 83.000 Mitarbeitern und 375 Mrd. Dollar Umsatz.

Was zählt, ist die Haltung
"Sisyphos", sagt Koselleck. "Der weiß auch, dass seine Arbeit vergeblich ist, und er macht sie trotzdem. Die Haltung ist stärker als die Vergeblichkeit." Es ist diese ungeheuerliche Anmaßung, die ihn beflügelt. Koselleck stupst mit der Fußspitze gegen einen kieselgroßen Teerknubbel, hebt ihn auf, riecht daran und bricht ihn auseinander. "Guck, da ist Plastik drin", sagt er. "An Plastik lagert Öl sich gerne ab." Er geht auf die Knie, kramt ein Gefriertütchen hervor. Rein mit dem Klumpen. Und weiter, Augen auf den Sand. Stehen bleiben, stupsen, bücken, aufheben, riechen, eintüten. Und wieder von vorn.
Mit den Brocken, die Ruppe Koselleck am Strand findet, zeichnet er. Koselleck ist ein Sisyphos des Umweltschutzes. Ein freundlicher Familienvater aus Münster, 45, mit befristeten Verträgen als Kunstdozent und Freude am vergeblichen Tun. Der nie die Lust verliert. Weil es gar nicht darum geht, den Koloss zu zerschlagen. Sondern darum, das Virus dieser Freude zu verbreiten. Damit die Menschen sich empören. Und gegen das Meeresrauschen anrufen, wie diese Spaziergänger: "Auf Rhodos lag das Öl in Klumpen rum, überall, unglaublich!" Koselleck hat die zwei angesprochen, als sie ihm zuschauten. "Guten Tag, ich bin Künstler und sammle hier Rohöl. Ich plane die feindliche Übernahme von BP."
Nicht nur bei Havarien fließt Öl ins Meer
Zwischen den Fingern hält Koselleck, 1,80 Meter groß und kräftig, ein Fundstück und steht vor seinen Zuhörern wie ein Lehrer, der einen Wattwurm erklärt. Koselleck spricht alle an, die ihren Schritt verlangsamen, den Kopf drehen. Er sucht den Blick und lächelt. Nein, es gibt kein Tankerunglück, beruhigt er jene, die die Hälse aus den Strandkörben recken. Es gibt nur diesen Übernahmeplan. Oft muss er ihn zweimal erklären, so fassungslos schauen die Leute. Dann aber pflücken sie ihm die Visitenkarten aus den Händen. Viele schicken ihm Ölfunde aus der ganzen Welt. Sie folgen ihm auf Facebook und Twitter und posten, wo gerade wieder Dreck anlandet.
Es war am Strand des niederländischen Julianadorp, wo Kosellecks Tochter einst mit schwarz verklebten Füßen angelaufen kam. "Da fiel mir ein, dass schon mein Vater mir den Teer abkratzen musste." Für Koselleck ein Skandal, der zu normal geworden ist. Deshalb stößt er die Leute auf den Dreck. Damit sie mit offenen Augen an den Strand gehen. Damit sie auch beim Tanken an ihn denken. Man muss sich nicht nur über die Havarien ärgern, findet er. Selbst bei der Förderung fließt Rohöl ins Meer, im Produktionswasser etwa. Es geht nicht anders. Alle brauchen Öl, deshalb muss die Menschheit den Planeten nicht nur ausbeuten, sondern auch verschmutzen.
Als im August 2010 aus dem Bohrloch der Deepwater Horizon 780 Mio. Liter Öl in den Golf von Mexiko strömen, lernt der Künstler twittern und fliegt ins Katastrophengebiet. "Schlecht für die Meeresschildkröten - gut für meine Bilder", meldet er. Koselleck zieht durch Louisiana, Mississippi, Florida, stellt seine Leinwand an den Strand und malt mit dem öligen Sand schwarz-braun-fleckige Werke. Jetzt eine Kampagne starten, meint sein Galerist. Koselleck zögert. Und dann kommen sie von selbst: ARD, RTL, Sat 1, alle führen Interviews mit dem Künstler, der gegen den Ölpestverursacher antritt. Koselleck wird klar, dass das so nicht funktioniert. "Die machen aus dem Filmmaterial, was sie wollen."
"Sie kaufen Kunst - und Ruppe Koselleck BP"
Seine Wirkung kontrolliert er lieber selbst, im Gespräch von Mensch zu Mensch. "Sie kaufen Kunst - und Ruppe Koselleck BP" heißt seine Schau, die das Duisburger Lehmbruck-Museum im Frühjahr 2011 zeigt. Koselleck sitzt hinterm Tisch, BP-Jacke an, ringsum Werbeflyer mit dem gelbgrünen Helioslogo des Konzerns. Und er erzählt den Besuchern, dass sie hier Bilder kaufen können, tiefschwarz und dick bemalt mit aufgekochtem Rohöl, oder auch Zeichnungen, aus Teer gestrichelt.
Den Preis bestimmt der BP-Aktienkurs des Tages. Hat Koselleck mit nur einem Ölfund gemalt, gilt der Preis einer Aktie, 5,60 Euro. Bei mehreren Funden wird es entsprechend teurer. Die Summe nimmt er dann mal zwei, kauft von der einen Hälfte Anteile, die andere Hälfte streicht er ein für sich.
BP gibt sich unbeeindruckt
"Von diesem Künstler haben wir mal gehört. Aber wir sagen nichts dazu", heißt es im Berliner Büro des Energiekonzerns. Im Headquarter in London zeigt man sich jovial: "Wir freuen uns über jeden, der unsere Aktien kauft." Bekannt sei der Künstler dort aber nicht.
Auf Norderney mittlerweile schon. "Wahnsinn, wie viel wir hier gefunden haben!" Plötzlich stehen die Rhodos-Urlauber wieder vor ihm, mit einer Tüte voller Teer. Sie waren losgezogen, den Strand vom Öl befreien. Koselleck nimmt die Spende dankend an, drei Kilo hat er nun - und braucht eine Pause. Hinein in den Ort, vorbei an Souvenirkiosken und Fischbrötchenbuden. Im Eiscafé Florian gibt's guten Cappuccino. Koselleck legt drei Tüten auf den Tisch und betrachtet seine Funde. Zieht einen Block hervor und zeichnet mit den Brocken aufs Papier. "Takeover BP" tritt hervor in fetten, grauen Lettern.
Vom Nebentisch schaut eine Frau herüber. Koselleck nutzt die Chance, erzählt zum x-ten Mal von seinem Plan. Die Dame versteht nicht. Koselleck fängt von vorne an. "Ah so! Das ist doch eine Riesensauerei, was die da machen in Nigeria", ruft sie. "Ja", sagt Koselleck. "Das ist aber Shell. Sie fackeln das Gas ab, das bei der Förderung aufsteigt." Man ist sich einig, der Übernahmeplan ist gut.
Die Frau nimmt die Visitenkarten und kauft auch gleich das frische Werk. Es geht voran. Koselleck sagt ganz ernst: "Als Nächstes übernehm' ich Shell ."
Der Artikel erschien zuerst in der Financial Times Deutschland.