"Wenn es schnell gehen soll, geh allein; wenn es weit gehen soll, geh mit anderen." Dieses geflügelte Wort aus dem Munde der Durban-Vorsitzenden Nkoana Mashabane war auf den Gängen wiederkehrend zu hören, wenn die Klimaverhandlungen in Doha mal wieder nicht vorangingen. Dabei war es eigentlich nur das übliche Ritual: Lange, nichtssagende Eröffnungsstatements am Montag, gefolgt von erschütternden Bremser-Anträgen in den Unterausschüssen, die - wie auch sonst - am besten mit Hinweisen auf längst getroffene Beschlüsse aus der Vergangenheit beantwortet werden, und nur etwas über die Komplexität dieser Verhandlungen in immer neu zusammengesetzten Verhandlergruppen aussagen. Schon wird die Zeit knapp, die Verhandlungsführung muss nun eigenmächtig den Prozess vorantreiben, den Dokumentenwust lichten, damit die Minister in der zweiten und letzten Verhandlungswoche eine halbwegs verdauliche Beschlussgrundlage haben.
Manchen geht das zu langsam: "Wie alt muss ich werden, bis es endlich zu einem neuen weltumspannenden Klimaabkommen kommt?", fragte einer der gefeierten Jugendvertreter am Freitag in Doha. Und fügte hinzu: "Hier fehlt es einfach am Geist der Dringlichkeit." Die Klimasekretariatschefin Christiana Figueres blieb da professionell optimistisch: "Wir sehen heute die Stränge der Verhandlung, die nächste Woche zu einem Doha-Abkommen zusammengewoben werden", lautete ihr Resümee zum Ende der ersten Verhandlungswoche.
Doch um welche Stränge handelt es sich? Und was wurde in der ersten Woche effektiv erreicht?

Was wurde in der ersten Woche verhandelt?
Ganz oben auf der Doha-Agenda steht die Frage: Wie geht es weiter mit dem Kyoto-Protokoll? In diesem Jahr endet die erste Verpflichtungsperiode (kurz: 1. VP) des Kyoto-Protokolls. Wenn es in Doha zu keiner Verpflichtungsperiode über 2012 hinaus kommt, droht der internationale Emissionshandel und der Clean Development Mechanism (CDM), ein Instrument der projektbezogenen Klimaschutzkooperation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, zusammenzubrechen.
Manche Verhandlungsteilnehmer wie die USA sehen dies mit distanzierter Gelassenheit - no big deal! -, doch die Gruppe der Entwicklungsländer und auch die Schwellenländer der BASIC-Verhandlungsgruppe (Brasilien, Südafrika, Indien, China) wollen diese Rechtsform nicht einfach aufgeben, weil die einseitige Zuweisung von Emissionsreduktionspflichten für die Industrieländer im Kyoto-Protokoll ihnen eine lieb gewonnene Lastenverteilungsregel geworden sind. Daran ändert das Versprechen von Durban eines rechtsverbindlichen, weltumspannenden Klimaschutzabkommens nichts. Auch dafür soll und muss - rein rechtlich gesehen - der Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten aus der Klimarahmenkonvention von Rio gelten.

Eine Lücke zwischen der ersten und zweiten Verpflichtungsperiode würde den Marktpreis von Emissionszertifikaten, der ohnehin durch die Wirtschafts- und Finanzkrisen der Welt angeschlagen ist, vollständig in den Keller bringen. Und damit wäre auch das "Versprechen der 100 Milliarden" (US-Dollar) für einen Grünen Klimafonds und alle anderen Hilfsmittelströme aus der Klimarahmenkonvention in Frage gestellt. Die Dringlichkeit einer "Stabilisierung der Kohlenstoffpreise" wurde denn auch immer wieder in den Reden des ersten Tages beschworen. Einen Verhandlungstext zum Kyoto-Protokoll gibt es zu Ende der Woche, aber in den kritischen Fragen erstens der Dauer der 2. VP und zweitens der Übertragbarkeit von Emissionsrechten aus der 1. in die 2. VP bleibt ein unüberbrückbarer Dissens, den erst die Umweltminister zur Mitte der zweiten Woche lösen können. Wenigstens sind die Alternativen klar:
Dauer der 2. Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls
Hier hat sich nach anfänglich unterschiedlichen Vorstellungen die Welt der Alternativen auf fünf Jahre wie in Kyoto-1 oder acht Jahre bis 2020 verkürzt. Die Entwicklungs- und Schwellenländer wollen keine langfristige Festschreibung der Reduktionspflichten der Industrieländer, damit bei neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Klimawandel ein schnelles Reagieren noch möglich ist, zum Beispiel, wenn es nötig erscheint, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius statt jetzt 2 Grad Celsius zu beschränken. Die Industrieländer wollen Berechenbarkeit und lückenlosen Anschluss von Kyoto-2 an das in Durban beschlossene weltweite Abkommen in 2020. Letzteres hat deutlich bessere Gewinnchancen!
Zur Übertragbarkeit von Emissionsrechten aus der 1. VP in die 2. VP soll es Beschränkungen zwischen 0,1 Prozent, 1 Prozent, 5 Prozent oder 10 Prozent geben. Hier streiten vor allem die ehemaligen GUS-Staaten Ukraine, Weißrussland und Russland um möglichst hohe Übertragbarkeitsquoten, während die Befürworter eines integren Klimaschutzes, wie die Schweiz, Korea und die am stärksten durch den Klimawandel betroffenen Südseeinselstaaten (AOSIS), für geringe Quoten eintreten. Die Gründe für die ehemaligen GUS-Staaten sind klar: Überschüssige Emissionsrechte noch aus Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion haben ihnen "Heiße Luft" verschafft, das heißt Emissionsrechte, denen keine wirksamen Klimaschutzmaßnahmen gegenüberstehen. Die Ernsthaftigkeit ihrer Verpflichtungszusagen, so es solche gibt, hängen also eng an der Übertragbarkeitsregel. Hier stellt sich die EU auf den klaren Standpunkt: Ohne Limitierung der "heißen Luft" in Kyoto-2 gibt es kein Abkommen!
Eins steht aber heute schon fest: Kyoto-2 wird nur ein "Rumpfvertrag" sein, ein Schatten seiner selbst im Vergleich zu Kyoto-1. Denn nur wenige Staaten, darunter die EU und Australien, werden Kyoto-2 beitreten, während die meisten Industriestaaten, wie zum Beispiel die USA, Kanada und Neuseeland, nicht mitmachen werden. Und die Russen und Japaner zögern wie schon bei Kyoto-1, um späterhin eine bessere Verhandlungsposition mit weniger Reduktionsverpflichtungen auszuhandeln. Über 85 Prozent der Weltemissionen werden auf diese Weise unbeschränkt bleiben und anwachsen, wenn es nicht bis 2015 zu der in Durban versprochenen rechtsverbindlichen Verpflichtung für alle kommt, die allerdings auch erst ab 2020 rechtswirksam werden soll. Da bleibt also Zeit zum Verhandeln im trauten Kreis. Keine Spur vom "Geist der Dringlichkeit".
Müssen wir das 2-Grad-Ziel aufgeben?
Wenn mit den Beschlüssen von Doha die Klimapolitik als universelles, das heißt die Welt als Ganzes umfassendes Projekt, auf 2020 vertagt wird - und danach sieht es jetzt aus -, ist das Zweigradziel (der globalen Temperaturänderung gegenüber dem vor-industriellen Niveau) nicht mehr zu erreichen. Die Welt treibt mit einer Trendwende beim CO2-Ausstoß nach 2020 auf eine Erwärmung auf mehr als 4 Grad Celsius hinaus. Insoweit ist die Vertagungspolitik von Doha - jedenfalls in der ersten Woche! - ein unmissverständlicher politischer Abgesang auf das Zweigradziel von Cancun. Verzichten können wir dennoch nicht darauf. Denn das Zweigradziel bietet einen anhaltenden Ansporn für die Welt als Ganzes, das Bestmögliche zu tun. Auch wenn unsere Anstrengungen (nach 2020) uns nur nahe an das Zweigradziel heranführen, bietet dies die Chance, viele Regionen vor den gravierenden Klimafolgen zu schützen, die die Weltbank in ihrer Studie zu einer globalen Erwärmung von über 4 Grad Celsius eindrucksvoll beschrieben hat.