Eine Herde Elefanten zieht durch wogendes Grasland. Zebras, Gnus und Antilopen äsen in der Nähe, während unweit davon zwei Gepardenjunge wild um ihre Mutter tollen. In Sichtweite dieser Idylle erhebt sich ein Bergwerk. Davor steht ein wohlbekanntes Schild: drei zu einem Kreis angeordnete schwarze Keile auf gelbem Grund. Ein unmissverständliches Zeichen für die Gefahr, die von der Anlage ausgeht: radioaktive Strahlung.

Eine solche Szenerie wird womöglich bald Realität in Tansanias Selous-Wildschutzgebiet. In dem fünf Millionen Hektar großen Reservat, dem größten überhaupt in Afrika, leben Giraffen, Spitzmaulnashörner, Geparde und die weltweit größten Populationen von Wildhunden, Löwen und Flusspferden. Nun ist ein Teil dieser Wildnis bedroht: Das Welterbe-Komitee der Unesco hat 2012 dem Antrag der tansanischen Regierung stattgegeben, die Grenzen des Parks zu verschieben und ihn dabei zu verkleinern - um Platz zu schaffen für den Uranbergbau am Mkuju-Fluss.
Nach einem Treffen im russischen St. Petersburg hat das Welterbe-Komitee im Sommer 2012 den Weg freigemacht für die Grenzverschiebung. Sie ermöglicht es, auf 0,8 Prozent der bisherigen Fläche, rund 200 Quadratkilometern im südlichen Teil des Selous-Reservats, Uran abzubauen. Was jedoch eine weitaus größere Fläche im Umkreis der Mine radioaktiven Stäuben aussetzen würde - und der Unruhe des Verkehrs von und zur Abbaustätte.
Kehrtwende bei der Unesco
Die Entscheidung des Unesco-Komitees kam überraschend, widerspricht sie doch seiner bisherigen Haltung, dass im Selous-Park, Weltnaturerbe seit 1982 und größer als die Schweiz, kein Bergbau stattfinden darf. Umweltschützer fordern jetzt, das Schutzgebiet auf die Liste der bedrohten Welterbestätten zu setzen. Oder aber ihm den Status sofort zu entziehen. Sie glauben, dass die umstrittene Entscheidung des Komitees auf massiven Druck der tansanischen Regierung hin erfolgte.
Russland, das zur Zeit der Entscheidung die Präsidentschaft des Welterbe-Komitees innehatte, ist nicht ohne eigenes Interesse an den Entwicklungen in Tansania: Der russischen Minengesellschaft ARMZ gehört die Mehrheit der kanadischen Firma Uranium One, die sich wiederum mit dem tansanischen Unternehmen Mantra Resources zusammengetan hat. Und das ist jene Minengesellschaft, die das Uranprojekt am Mjuku-Fluss vorantreibt. Die Folgen einer Uranförderung dort: Radioaktive Stäube würden Wasser und Boden für Jahrzehnte kontaminieren.
Entscheidender Schritt
Mitte Oktober 2012 befanden die tansanischen Behörden nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung, die Naturschutzverbände als Farce bezeichnen, dass die Minenpläne keine gravierenden Auswirkungen auf die Natur im Selous-Reservat hätten. Diese Entscheidung ist formal bedeutsam für die Fortentwicklung des Uran-Projekts.
Mehrere Nichtregierungsorganisationen haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Uranabbau im Selous-Reservat aufzuhalten. Der deutsche Verein "Rettet den Regenwald" etwa übergab Ende Oktober Eloundou Assomo, dem Leiter des Afrika-Referates des Unesco-Welterbezentrums in Paris, eine Liste mit 58.000 Unterschriften gegen die Verschiebung der Parkgrenzen. Nach Beobachtung von Sylvain Harmat, der die Petition überreichte, "schien Assomo sehr erfreut, unsere Petition zu bekommen; die Unesco selbst will dem Welterbe-Komitee zeigen, dass es Widerstand gibt."
Nach dessen St. Petersburger Entscheidung war ein Proteststurm gegen die Unesco losgebrochen. Diese sei aber, sagt Assomo im Telefon-Interview mit GEO, zu Unrecht zum Sündenbock gemacht worden: Die Entscheidung sei allein den im Komitee vertretenen Staaten anzulasten. Die Unesco selbst sei machtlos und habe sogar dem Komitee geraten, die Grenzen des Selous-Gebietes nicht zu verschieben. "Wir verstehen nicht, warum der Ratschlag ignoriert wurde."
Ein Hoffnungsschimmer
Immerhin gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass das Welterbe-Komitee seine Entscheidung revidiert. Denn im Juni 2013 steht bei der nächsten Sitzung in Phnom Penh in Kambodscha die Grenzänderung wieder auf der Agenda. Und Verbände, die das Thema verfolgen, könnten als Beobachter an dem Treffen teilnehmen, sagt Assomo.
Grund genug für Umweltverbände, noch einmal eine neue Kampagne zu starten. Sylvain Harmat fürchtet allerdings, dass der Aufwand keine große Wirkung entfacht. "Wenn ich nach dem Selous-Park im Internet suche, finde ich kaum Medienberichte", sagt er. "Es gibt zu wenige NGOs, die sich darum kümmern."
Günter Wippel vom Uranium Network teilt diesen Eindruck: Für größere Verbände wie etwa den deutschen Nabu stehe das Thema weit hinten auf der Prioritätenliste. "Sie sagen, wir hätten Recht, tun selbst aber nichts." Während eine international koordinierte NGO-Kampagne schwer durchführbar sei, erklärt Wippe, könne der weit wichtigere Schritt leichter gelingen: die Menschen vor Ort über die Gefahren informieren, die von der Uran-Mine ausgehen. Deshalb plant sein Netzwerk Aktivitäten in der Region, um Dorfbewohner aufzuklären.
Ungleiche Gewinnaussichten
Die tansanische Regierung begründet die Uran-Pläne mit der wirtschaftlichen Not in der Region: 1600 Arbeitsplätze würden durch die Mine entstehen, heißt es - und fünf Millionen US-Dollar jährlich Einnahmen aus den Lizenzrechten. Eine Summe, die nach Einschätzung des Wildtier-Experten Rolf Baldus, der 13 Jahre in Tansania und dort vor allem im Selous-Reservat gearbeitet hat, weit unter dem zu erwartenden Erlös für die Minengesellschaften liegt. 200 Millionen US-Dollar im Jahr dürften an sie gehen, schätzt Baldus.
Er kritisiert das gekürzte Budget für den Selous-Park und sieht die ansteigende Wilderei als Folge der Einsparungen. Daher sei auch die Argumentation der Regierung, mit dem Geld aus der Mine den Park managen und Ranger gegen Wilderer einsetzen zu wollen, unglaubwürdig. Vor zehn Jahren haben Jagdlizenzen und Wildtier-Tourismus laut Baldus sechs Millionen Dollar im Jahr erbracht - mehr als die erhofften Einnahmen aus der Uranmine. Der Experte wirft der Regierung auch vor, das Welterbe-Komitee über die Größe der Abbaufläche getäuscht zu haben. Zudem liege die geplante Mine auch nach der vorgesehenen Grenzverschiebung noch im Reservat.
Ein Korridor für neue Projekte
All dies wirf Fragen auf: Warum kämpft Tansania so sehr für ein Projekt, von dessen Gewinnen es nur einen Bruchteil erhält? Und das sogar den Welterbe-Status des Selous-Parks kosten kann? Günter Wippel hat eine mögliche Erklärung: Der sogenannte Selous-Niassa-Korridor, der durch das Reservat führt, entwickelt sich derzeit zu einem vielversprechenden Bergbau-Gebiet. Davon schreibt in einem Papier etwa die australische Firma Uranex, die auch im Mkuju-Projekt beteiligt ist. "Es geht also nicht nur um eine Mine", sagt Wippel. "Die jetzt geplante ebnet den Weg für andere Minen in der Region, was eine gefährliche Entwicklung bedeutet."
Einmal ist es schon gelungen, einen ähnlichen Plan Tansanias zu stoppen: Im Juli 2011 erreichten Umweltverbände mit einer weltweiten Protestaktion, dass die Regierung ihre Pläne für den Bau einer Straße durch die Serengeti stoppte. Die Trasse hätte die Wanderung der Herden in dem weltweit bekannten Nationalpark und Weltnaturerbe empfindlich gestört, wenn nicht gar zum Erliegen gebracht. Letztlich konnte die Regierung von einer alternativen Route überzeugt werden, die um die Serengeti herumführt.
Anderthalb Jahre später erinnern nun die Pläne für das Selous-Reservat daran, wie kurzlebig der politische Umschwung war, den Naturschützer als Sieg feierten.