"Die Luft war kühl und würzig, und die Tautropfen glänzten noch auf den Blättern ... es war entzückend, die verschiedenen Insekten und Vögel zu beobachten", notiert Charles Darwin über seine erste Begegnung mit dem Tropenwald, der ihn zum Staunen bringt. Dabei war der berühmte Naturforscher nur ein, zwei Meilen aus Rio de Janeiro hinaus dem steilen Maultierpfad in die Floresta de Tijuca gefolgt, einer Waldfläche, die heute zum Stadtgebiet gehört.
Damals, 1832, hatten französische Adelige und holländische Pflanzer mit dem Kaffeeanbau begonnen. Rings um die Stadt rodeten ihre Sklaven den Wald, um Platz für Plantagen zu schaffen. Um das Jahr 1857 beschreibt ein Reisender die Tijuca-Berge als eine "kahle und zerfressene Felsenlandschaft, die mit Farnen und schütterem Guinea-Gras bedeckt ist".
Super-GAU im Tropensturm
Gut 150 Jahre später erleidet Brasilien im gleichen Küstengebirge, nur 50 Kilometer Luftlinie entfernt, die schlimmste Wetterkatastrophe seiner Geschichte: Weit über 1000 Menschen ertrinken oder ersticken unter den Wasserfluten und den Geröll- und Schlammlawinen, die ein tropischer Gewittersturm ausgelöst hat.
In dieser einen Nacht, am 11. Januar 2011, fallen Regenmengen, wie sie in einem ganzen Jahr in Hamburg niedergehen. Von den steilen, von Vegetation entblößten Berghängen rutschen Millionen Tonnen Boden in die engen und dicht besiedelten Täler, die Städte Teresópolis, Nova Friburgo und Petrópolis werden verwüstet.
"Hier fanden wir eine Matratze, und darunter das Kind ...", erzählt Paulo Sérgio Bandeira und will nicht mehr weiterreden. Wir stehen auf einem Feld von Granitbrocken, aus dem der Kirchturm von Campo Grande lugt; die Kirche stand mitten in einer Favela. Nun sind Bagger dabei, das Terrain zu planieren und Gräben auszuheben. Hier soll einmal ein großes Rückhaltebecken entstehen.
Reichen Dämme, Kanäle, Becken und Warnanlagen aus?
Bandeira und sein Kollege Raimundo Lopes vom Umweltdezernat in Teresópolis sind skeptisch. "Wir wohnen in den Bergen, aber wir verhalten uns nicht wie Bergbewohner", murmelt Lopes. Die Katastrophe vom Januar 2011 sei vorhersehbar gewesen, Schlammlawinen hätten regelmäßig in der Regenzeit Todesopfer gefordert, auch diesmal, 2013, habe es zwei Dutzend Tote und viele Obdachlose gegeben.
Wir fahren in den neu eröffneten Naturpark Montanhas de Teresópolis. Von einem Gipfelüberblickt man die Berge und die Stadt, die sich tentakelartig in die Täler streckt. Die Zersiedelung schreitet voran, fast alle Abwässer fließen ungeklärt in die Flüsse. Dieser Entwicklung müsse ein Riegel vorgeschoben werden, meinen Bandeira und Lopes, und eben darum sei der 43 Quadratkilometer große Naturpark geschaffen worden. Bislang schützt er die Bergrücken, irgendwann soll er auch die Quellgebiete umfassen.
Natürliche Barrieren, also Parks und Schutzgebiete, gegen die Zerstörung einzurichten, setzt politischen Willen voraus. Die Katastrophe vom Januar 2011 scheint ihn bewirkt zu haben; erstmals erkennen die Entscheidungsträger nun Natur- und Klimaschutz als Prioritäten an. Die Umweltbehörden ziehen jetzt mit örtlichen und regionalen Bürgerinitiativen an einem Strang – unterstützt auch von Experten aus Deutschland. Letztlich gehe es hier darum, den Wert von intakten Naturwäldern als Puffer und Vorbeugung von Naturkatastrophen bei extremen Wetterereignissen anzuerkennen, so Ingrid Prem, die Programmleiterin Tropenwald bei der GIZ in Brasilien.
Der Küstenregenwald schwindet
Dabei bilden die Schutzgebiete bei Rio de Janeiro nur einen winzigen Teil jener Vegetationszone, die sich einst entlang Brasiliens gesamter Ostküste erstreckte: der Mata Atlântica. Von ihr sind in 17 Bundesstaaten nur rund acht Prozent der ursprünglichen Fläche übrig geblieben. Diese Waldrelikte (zusammen etwa 300 000 Quadratkilometer) sind noch immer wichtige Kohlenstoffspeicher und Wasserlieferanten. Zum Beispiel trinken viele Bewohner Rios Wasser aus dem Nationalpark Serra dos Órgãos ("Orgelpfeifengebirge") bei Teresópolis. Es wird in Flaschen abgefüllt und vermarktet.
Cecilia Cronemberger de Faria sitzt wahrhaftig an der Quelle dieses Geschäfts. Die Biologin ist die Koordinatorin zur Erfassung der Biodiversität im Nationalpark. Sein Gebirgmassiv mit Gipfeln von bis zu 2300 Meter Höhe, jenen "Orgelpfeifen", wirkt wie eine Melkmaschine auf die Wolken - und ist voller Leben: alle hundert Meter Höhendifferenz ein anderes Biotop. Cecilia und ihre Kollegen stehen vor vielen Fragen: Wie viele Arten leben wo? Welche ökologischen Kreisläufe herrschen vor? Gutes Waldmanagement setzt eine Menge Forschung voraus – und auch die finanzieren nicht zuletzt die GIZ und die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Cecilia hält es nicht am Schreibtisch, sie demonstriert den Einsatz ihrer Fotofallen, die sie an genau markierten Stellen im Dschungel anbringt. Ihre Spezialität: Wildkatzen. Im Nationalpark gibt es davon vier: den Puma und drei kleinere Arten. Morgen sollen zwei Biologen beim Spurenlesen helfen. Es könnte aber wieder einmal regnen, und das macht es nicht einfacher. Der Regenwald trägt seinen Namen schließlich nicht umsonst.