GEO.de: Herr Kreiser, seit einigen Jahren gibt es in Hamburg wieder Kraniche, Seeadler und Biber. Kann man daraus schließen, dass es der Natur insgesamt besser geht?
Konstantin Kreiser: Wir haben zum Teil spektakuläre Comebacks von charismatischen Arten. Wo sie ernsthaft umgesetzt werden, zeigen EU-Naturschutzrichtlinien, die Einschränkung der Jagd und die Ausweisung von gut vernetzten Schutzgebieten Wirkung. Schutzprojekte für einzelne Arten, darunter auch die Wildkatze und die Großtrappe, haben Erfolg. Leider zeigt der Bericht des Bundesumweltministeriums aber, dass es der deutschen Natur insgesamt sehr schlecht geht. Wir werten das Dokument als schonungslose Zustandsbeschreibung einer ausblutenden Natur.
Wer sind die Verlierer der Entwicklung?
Zum Beispiel die Wiesenvögel. Wir haben in den vergangenen 25 Jahren drei Viertel der Kiebitze verloren. Dasselbe gilt für die Uferschnepfen. Bei den Feldlerchen ist es ein Drittel. Das sind dramatische Einbrüche ...
... die worauf zurückzuführen sind?
Der Rückgang vieler Arten hängt zusammen mit dem Verlust von artenreichem Grünland. Immer mehr Wiesen werden gedüngt, um den Grünfutterertrag zu erhöhen, wenn nötig trockengelegt oder sogar in Ackerfläche umgewandelt. Denn oft ist es für den Landwirt lukrativer, Mais für die Biogaserzeugung anzubauen. Die Leidtragenden sind nicht nur Wiesenvögel, sondern auch Insekten, wie Schmetterlinge.
Ein zentrales Element des "Greenings" der jüngsten EU-Landwirtschaftsreform sind die ökologischen Vorrangflächen. Fünf Prozent ihrer Nutzflächen sollen Bauern zukünftig als "ökologische Vorrangflächen" bewirtschaften, zum Schutz von Boden, Wasser und biologischer Vielfalt. Jetzt will die deutsche Regierung durchsetzen, dass auf solchen Flächen Pestizide und Mineraldünger erlaubt sind ...
Das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der sich etwas vom "Greening" der EU-Agrarpolitik erhofft hatte. Es waren die Regierungen einiger Mitgliedsstaaten, und in Deutschland speziell Ex-Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die eine große Verantwortung dafür tragen, dass die Reformvorschläge der Kommission massiv abgeschwächt wurden. Das bisschen, was vom Greening jetzt noch übrig ist, wird nun noch weiter verwässert. Das ist eine unglaubliche Ignoranz gegenüber dem tatsächlichen Zustand unserer Natur.
Hält der BMUB-Bericht auch Überraschungen für Sie parat?
Ja, leider. Dass es bei den Lebensraumtypen, etwa Grünland, Sandrasen- und Heidestandorten, dermaßen schlecht aussieht - das hätten wir nicht gedacht. Viele haben sich in den letzten sechs Jahren noch einmal deutlich verschlechtert. Und es gibt keinen einzigen Lebensraumtyp, der sich in dieser Zeit verbessert hat. Verwundert sind wir über den angeblichen Zustand der Buchenwälder. Sie sind prägend für die deutsche Natur, und wir haben bei ihrem Schutz auch international eine große Verantwortung. Im Bericht wird ihr Zustand überwiegend als "günstig" beschrieben. Davon sind wir unserer Meinung nach weit entfernt. Die meisten unserer Buchenwälder bestehen aus eher gleichaltrigen Bäumen, haben wenig Totholz und andere Strukturen, die für die Artenvielfalt wichtig sind.
Führt der Naturschutz in Deutschland Rückzugsgefechte?
Er ist auf jeden Fall in einer Krise. Er hat gesellschaftlich und in der politischen Debatte nicht den Rang, den er verdient. Denn Naturschutz ist kein Selbstzweck. Wir brauchen zum Beispiel gesunde Böden für eine langfristige Ernährungssicherung, intakte Flussauen für den Hochwasserschutz.
Das klingt nicht sehr optimistisch. Dabei hat sich die EU das Ziel gesetzt, bis 2020 den Artenschwund zu stoppen ...
Das ist ambitioniert, aber nicht illusorisch. Immerhin hat die EU das beste Naturschutzrecht der Welt, und knapp 15 Prozent der deutschen Staatsfläche stehen als Natura 2000-Gebiete unter dem Schutz der EU. Aber wir müssen das Recht auch umsetzen. Wir brauchen mehr Geld, um diese Gebiete besser zu managen, Verstöße müssen erfasst und geahndet werden. Und wir brauchen Menschen, die sich engagieren. Sei es in den bislang völlig unterbesetzten Naturschutzbehörden, als Ehrenamtliche oder als engagierte Landwirte. Dort, wo viele Menschen mitmachen, haben wir die besten Erfolge.