
Anfang dieser Woche übergab die Nichtregierungsorganisation Campact Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) eine Liste mit 378.000 Unterschriften. Die Unterzeichner fordern ein Verbot des Pflanzengifts Glyphosat, das die WHO im März 2015 für "wahrscheinlich krebserregend" erklärt hatte. Das Gift ist ein Totalherbizid, es tötet also unterschiedslos Nutz- und Wildpflanzen. In Deutschland wird es auf rund 40 Prozent aller Äcker versprüht; es wurde im Grundwasser und im menschlichen Urin nachgewiesen, kürzlich auch in Bier. Kommentar des Landwirtschaftsministers: "Am Ende entscheiden nicht Unterschriften, sondern wissenschaftliche Studien."
Genau das scheint das Problem zu sein. Denn bei derselben Datenlage kommen die Experten der WHO und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. Das BfR, maßgeblich für die Entscheidung der Europäischen Genehmigungsbehörde EFSA, hat keine Bedenken gegen das Gift.
"Nach dem derzeitigen Stand des Wissens", so das BfR, lasse sich "bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen ableiten".
Doch in Brüssel ist man offenbar hellhörig geworden. Die Entscheidung des EU-Parlaments über eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung um weitere 15 Jahre wurde vorerst auf Mai vertagt. Ein Grund dafür dürfte der heftige Widerstand aus Zivilbevölkerung und Wissenschaft sein.
Forscher sind alarmiert
In einem offenen Brief hatten schon Ende vergangenen Jahres 96 internationale Forscher die Entscheidung der EFSA scharf kritisiert. Sie sei "fehlerhaft" und "nicht glaubwürdig", weil sie von den vorliegenden Studienergebnissen nicht gestützt werde. Und weil sie nicht in einem offenen und transparenten Prozess zustande gekommen sei.
Der Toxikologe Peter Clausing vom Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN schreibt in einer Analyse von "Verzerrungen und Falschdarstellungen". Bei ihrer Bewertung hätten die Behörden wichtige Ergebnisse übersehen und zahlreiche Publikationen nicht berücksichtigt.
Sechs Umweltorganisationen aus fünf europäischen Ländern haben nun Strafanzeige gestellt - gegen Monsanto, den wichtigsten Hersteller, das BfR und die EFSA. "Es erhebt sich der Verdacht, dass europäische Zulassungsbehörden und die Industrie durch die inkorrekte Auswertung von Daten versucht haben, Glyphosat trotz seiner wahrscheinlich beim Menschen krebserzeugenden Wirkung auf dem europäischen Markt zu halten", sagt Josef Unterweger. Der Rechtsanwalt hat für die österreichische Umweltorganisation Global 2000 und ihre Unterstützer Anzeige bei den Staatsanwaltschaften in Wien und in Berlin erstattet.
Es geht nicht nur um Krebs
Bei dem Streit um das Pflanzenvernichtungsmittel geht es allerdings nicht nur um eine mögliche oder "wahrscheinlich krebserregende" Wirkung beim Menschen.
Glyphosat ist weltweit das meistverkaufte Pflanzenvernichtungsmittel. Seinen Siegeszug auf dem Weltmarkt trat das Monsanto-Produkt 1974 unter dem Namen "Roundup" an. Es wird eingesetzt, um unerwünschte Kräuter auf dem Acker zu vernichten - aber auch, um den Reifungsprozess vor der Ernte zu beschleunigen. Deutsche Bauern versprühen jedes Jahr rund 6000 Tonnen des Gifts - auf 40 Prozent aller Äcker.
Besonders erfolgreich ist Monsanto mit dem Kombi-Produkt Glyphosat und gentechnisch veränderte Pflanzen. Die Gen-Gewächse sind so manipuliert, dass sie eine Glyphosat-Dusche ohne Schaden überstehen. Mehr als 80 Prozent der weltweit angebauten Genpflanzen sind mittlerweile auf eine Glyphosat-Resistenz gezüchtet. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation GRAIN werden allein in Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien auf 460.000 Quadratkilometern gentechnisch verändertes Soja gepflanzt - auf einer Fläche so groß wie Deutschland und Österreich zusammen. Auf die jedes Jahr mehr als 600 Millionen Liter Glyphosat niederregnen.