
GEO.de: Herr Frobel, dass der Todesstreifen ein Naturjuwel ist, war nicht schon immer klar. Woher kam das Bewusstsein dafür?
Kai Frobel: Ich bin in Sichtweite der Grenze in Oberfranken aufgewachsen und interessierte mich schon als Schüler für die Vogelwelt an und auf dem Grenzstreifen. Anfang der 80-er Jahre habe ich dann mit einer Gruppe von Studenten die Vogelwelt des Coburger Raumes kartiert - einschließlich 140 Kilometer Grenzstreifen. Dabei stellte sich heraus, dass dort viele gefährdete Arten vorkamen, etwa Braunkehlchen, Grauammer, Ziegenmelker, Raubwürger. Die Zwischenergebnisse haben wir 1981 unter dem Titel "Letzter Zufluchtsort Todesstreifen?" der Öffentlichkeit präsentiert. An Wiedervereinigung hat damals niemand von uns gedacht. Wir haben das eher als Beispiel genommen, wie dramatisch es um die Artenvielfalt in der offenen Agrarlandschaft abseits der Grenze bestellt ist.
Wie war es überhaupt möglich, die Tier- und Pflanzenwelt im 100 Meter breiten Todesstreifen zu erfassen?
Mit Fernglas und Gehör. Ich erinnere mich zum Beispiel an Braunkehlchen, die direkt auf dem Grenzzaun balzten. Mit dem Fernglas konnten wir auch auffälligere Pflanzen wie Arnika oder Breitblättriges Knabenkraut entdecken. Einige Amphibien, wie Laubfrösche und Kreuzkröten, waren zwar am Boden nicht zu sehen, aber leicht an ihrem Ruf zu erkennen.
Was macht den ehemaligen Grenzstreifen eigentlich so wertvoll?
Es ist zum einen die Struktur an sich: ein viele hundert Kilometer langer Streifen Land, der seit den frühen 50-er Jahren nicht dem üblichen Nutzungsdruck ausgesetzt war. Der zwar ab und zu von den Grenztruppen offen gehalten, aber landwirtschaftlich nicht genutzt und gedüngt wurde. Vergleichbar sind nur Truppenübungsplätze - die heute mit gutem Grund großflächig geschützt oder Kerne bestehender Nationalparks sind.
Sie haben direkt nach der Grenzöffnung mit Hubert Weiger, dem heutigen BUND-Vorsitzenden, zu einem deutsch-deutschen Naturschützer-Treffen nach Hof eingeladen. Wie war die Stimmung?
Eigenartig und begeisternd zugleich. Wir hatten ja nur vereinzelt persönliche Kontakte zu Naturschützern in der damaligen DDR. Denn von Seiten der DDR-Führung war die Zusammenarbeit von West- und Ost-Naturschutzverbänden nicht erwünscht. Viel wussten wir also nicht voneinander. Aber nach den ersten Vorträgen und Diskussionen war klar, dass wir zwar in unterschiedlichen politischen Systemen gelebt hatten, dass uns aber dieselben grundlegenden Naturschutzprobleme beschäftigten. Höhepunkt der Veranstaltung war dann die einstimmig verabschiedete Resolution zum Grünen Band ...
Mit welcher Kernbotschaft?
Zentraler Inhalt war, den "Grenzstreifen zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik als grünes Band und als ökologisches Rückgrat Mitteleuropas vorrangig zu sichern" und grenzüberschreitende Schutzgebiete zu errichten. Die Resolution hatte aber auch einen wichtigen Schlusssatz: "Diese Forderung ist keine nachträgliche Rechtfertigung der Grenze".
Gab es für die Idee des Grünen Bandes Vorbilder?
Nein. Und genau das war ein Problem. Eine lineare Struktur wie die des Grenzstreifens entsprach nicht den Vorstellungen des behördlichen Naturschutzes. Was heute im Naturschutz längst anerkannt ist - die Bedeutung von Biotopverbunden und grüner Infrastruktur - dafür war 89/90 die Zeit noch nicht reif. Wir haben damals von führenden Vertretern der Naturschutzverwaltung des Bundes Sätze gehört wie "Sie wollen doch nicht etwa eine Naturschutz-Autobahn quer durch Deutschland bauen?"
Gab es weitere Hürden zu nehmen?
Schon im Winter nach der Grenzöffnung gab es Bauschutt- oder Müllablagerungen im Grenzbereich. Richtig dramatisch wurde es aber mit Eingriffen durch Landwirte ab dem Frühjahr 1990. Die 180 Kilometer Lücken, die wir heute im Grünen Band haben, sind fast alle damals entstanden. Während die Naturschutzbehörden im Osten noch im Aufbau waren, kauften vor allem West-Landwirte große Flächen im Bereich der ehemaligen Grenze und fingen an sie zu bewirtschaften. In einigen Fällen wurde auch illegal Land umgepflügt.
Mit welchen Problemen haben Sie 25 Jahre später zu tun?
Mit denselben - nur unter anderen Voraussetzungen. Wir haben weiterhin einen hohen Nutzungsdruck von Seiten der Landwirtschaft. Etwa durch die Biogas-Erzeugung. Und die Bodenpreise sind stark gestiegen. Das erschwert Naturschutz-Ankäufe, um die Lücken zu schließen. Ein generelles Problem für den Naturschutz in Deutschland ist, dass die Eigentümer Flächen als sichere Wertanlage betrachten und nur ungern verkaufen, selbst wenn sie wirtschaftlich völlig bedeutungslos sind. Und der Deutsche Bauernverband sagt schon seit Jahren: "Kein Quadratmeter mehr für den Naturschutz!"
Wenn Sie 1989 gefragt worden wären, wo Sie 25 Jahre später stehen möchten mit dem Grünen Band - was hätten Sie geantwortet?
Das Ziel war auch damals schon, die Fläche geschlossen zu erhalten. Und da Naturschützer notorische Optimisten sind, hätte ich damals gesagt: "In 25 Jahren haben wir's erreicht."
Woran fehlt es?
Um das Grüne Band langfristig zu sichern, fordern wir die Unterschutzstellung als Nationales Naturmonument. Und um Flächen kaufen und Lücken schließen zu können, brauchen wir einen nationalen Fonds, der mit 18 bis 20 Millionen Euro ausgestattet ist. Das entspricht ungefähr den Kosten für 1,5 Kilometer Autobahn. Das sollte ja wohl machbar sein. Schließlich hat dieses Biotop-Verbundsystem auch eine Vorbildfunktion für das Grüne Band Europa, den ehemaligen Eisernen Vorhang mit seinen einzigartigen Naturschätzen wie den Wäldern Kareliens oder den wilden Flusslandschaften des Balkans.
Allen Widrigkeiten zum Trotz: Gibt es etwas, auf das Sie besonders stolz sind?
Zwei Drittel der Fläche des Grünen Bandes stehen unter Schutz. Das ist in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland, in dem jeder Quadratmeter von irgendjemandem genutzt wird, schon ein großer Erfolg. Stolz bin ich darauf, dass der von mir geprägte Begriff "Grünes Band" so viel Akzeptanz gefunden hat - querbeet durch die Bevölkerung. Dass er im Bundesnaturschutzgesetz verankert ist und sich schon in Koalitionsvereinbarungen fand. Dass er zum Symbol dafür geworden ist, dass die Natur keine Grenzen kennt.