Das soziale Netzwerk facebook.com hat in Deutschland über fünf Millionen Mitglieder und ist damit das mit Abstand erfolgreichste Angebot dieser Art im Internet. Trotz der vielen Möglichkeiten ist die Bedienung denkbar einfach: Anmelden, Profil erstellen, Netzwerk spinnen und immer auf dem neuesten Stand bleiben, was die Internetfreunde so treiben. Wer aber genug vom neudeutsch "networking" genannten Internetexhibitionismus hat, erlebt schnell die bittere Seite der virtuellen Identität.
Nutzerzahlen sind im Internet so etwas wie die Währung für Erfolg. Die Netzwerke tun entsprechend alles, um Nutzer an sich zu binden. Bei facebook ist die Deaktivierung eines Kontos möglich, allerdings erst nach der Bearbeitung eines umfangreichen Fragebogens, ob man denn nicht doch lieber bleiben möchte. Das Profil erscheint dann nicht mehr in Freundeslisten oder Suchabfragen. Gibt man seine Zugangsdaten aber erneut ein, so ist der Account reaktiviert - als wäre man nie weg gewesen.
Das eigentliche Ziel - das Profil zu löschen - ist damit nicht erreicht. Das schafft man erst über ein gesondertes Formular, auf das bei facebook nicht hingewiesen wird. Zahlreiche Foren und Hilfeseiten führen den entsprechenden Link aber auf. Die Löschung dauert dann 14 Tage, in denen sie wieder per Eingabe der Zugangsdaten revidiert werden kann. Andere Plattformen gehen sogar noch einen Schritt weiter: das Netzwerk lokalisten.de verlangt von den Nutzern eine Kündigung per E-Mail, ebenso der Online-Marktplatz Ebay.de. Bei Ebay wird nach der "formellen Anfrage" nach Löschung des Accounts darauf hingewiesen, dass das Nutzerkonto erst nach 180 Tagen aus dem Netz genommen wird.
Das "Zeitalter der Privatsphäre" ist vorbei
Besonders ärgerlich können die Querelen mit den sozialen Netzwerken werden, wenn man seine persönlichen Daten entgegen der Empfehlungen von Datenschützern umfangreich angegeben hat. Bei den Netzwerken ist es um den Datenschutz nicht gut bestellt: facebook-Gründer Mark Zuckerberg äußerte in einem Interview mit "TechCrunch"-Blogger Michael Arrington, dass facebook lediglich mit der Zeit gehe. Die Menschen wollten heute ihre Informationen teilen. Das Weblog "ReadWriteWeb" fasste etwas frei zusammen: "Facebook's Zuckerberg says the age of Privacy is over".
Passend dazu veranlasste facebook im Dezember eine Änderung seiner Geschäftsbedingungen, die bestimmte Angaben, wie Name, Profilbild, Geschlecht und Wohnort zu "öffentlich zugänglichen Informationen" machte - eine erzwungene Offenheit, von Anonymität keine Spur. Mit gutem Grund: Experten wie der Computerpionier Jaron Lanier stellten fest, dass sich nur auf eine einzige Weise erfolgreich Geld im Netz verdienen lässt - mit Werbung. Lanier zufolge werden User sozialer Netzwerke in "vorgestanzte Kategorien" gepresst und zu "Multiple-Choice-Identitäten", die an Marketing-Datenbanken verkauft werden könnten.
Digitaler Selbstmord und Reputationspolitur
Der Unmut vieler User wächst, Hilfe zur Selbsthilfe boomt. Die Internetseite "suicidemachine.org" skandiert pathetisch: "Feel free like a bird again [...] with a Web 2.0 suicide!". Binnen Minuten löscht das Tool Accounts auf facebook, myspace, Twitter und linkedin. Die Resonanz auf das niederländische Angebot ist riesig. So riesig, dass facebook es bald als Dorn im Auge wahrnahm. In einem Schreiben, das auf suicidemachine.org veröffentlicht wurde, verlangt facebook die Einstellung des Dienstes "um die Privatsphäre und die Informationen seiner User zu schützen". Eingestellt wurde der Dienst deshalb nicht.
Ein weiteres Problem der Generation Web 2.0 sind Internetforen und dort ungeliebte Beiträge. Viele User gehen sehr naiv mit ihren Aussagen im Internet um - das bestätigt auch Susanne Wilberg von der Seite "Deinguterruf.de". Wem früher geschriebene Beiträge irgendwann nicht mehr behagen, dem stehen für die Entfernung derselben diverse Hürden im Weg. Forenbetreiber sehen ihr Angebot als Dialogsplattform, eine leere Position innerhalb einer Diskussion lasse den Sinn des Gesprächs unverständlich werden. Ein Recht auf die Löschung hat der Nutzer nicht - bei jeder Anmeldung in einem Forum muss er die entsprechenden Nutzungsbedingugen anerkennen, die dies in der Regel ausschließen.
Es haben sich aber in den letzten Jahren einige Anbieter sogenannten Reputationsmanagements etabliert. Deinguterruf.de ist in dieser Sparte Marktführer. Die Anbieter machen Forenbetreiber ausfindig und veranlassen die Korrektur der entsprechenden Beiträge. Dabei greifen sie auf Know-how zurück, das die normalen User in der Regel nicht mitbringen. Im Gegensatz zu suicidemachine.org löscht Deinguterruf aber keine Profile in sozialen Netzwerken. Es geht bei dem Angebot weniger um den digitalen Selbstmord, sondern um eine angemessene Präsentation seiner selbst im Internet.
Trotz der verschiedenen Maßnahmen, Daten im Internet zu entfernen, sieht Susanne Wilberg keine Trendwende beim Web 2.0: "Im Gegenteil! Der Trend geht in die Richtung, dass alles transparenter wird und immer mehr Daten im Netz veröffentlicht werden!"
"Datenkrake" Google
Es scheint, als würde das überspitzte Zitat von "ReadWriteWeb" mehr als nur einen Funken Wahrheit enthalten. Ist das Zeitalter der Privatsphäre wirklich vorbei? Können Nutzerdaten im Internet überhaupt gelöscht werden? Susanne Wilberg zieht den Vergleich mit einer Festplatte heran: "Wenn Sie Daten auf einer Festplatte löschen kann immer noch ein Großteil davon wiederhergestellt werden!".
Wie viele Daten zum Beispiel Suchmaschinen wie Google von ihren Nutzern speichern, ist nicht bekannt. Die amerikanische Marktforschungsfirma "comScore" schätzt die Speicherkapazität der Google Server auf mindestens 100 Millionen Gigabyte. Und der Sammeleifer des Konzerns kennt keine Grenzen.
Als erfolgreichster Vertreter des von Jaron Lanier angesprochenen Werbesystems weist Google der IP-Adresse des Suchenden anhand dessen Abfragen bestimmte Kategorien zu. Auf diese Weise wird ein Profil des Nutzers erstellt, auf das die bei jeder Suchabfrage angezeigte Werbung optimiert wird. Auch die sonstigen Aktivitäten des Users hinter der IP-Adresse bleiben den Suchprogrammen, sogenannten "Crawlern" nicht verborgen. Ob in Foren, Online-Shops oder bei youtube - der "Datenkrake" Google erforscht jede Bewegung akribisch.
Doch nicht nur das: in Zukunft will Google verschiedene Konzepte auf den Markt bringen, die außer der Identität hinter dem Bildschirm auch jene davor erforschen sollen. Google Latitude zum Beispiel zeigt dem Nutzer via GPS-Ortung auf einer übersichtlichen Google-Maps-Karte an, wo sich im Umkreis Freunde befinden und - wenn angegeben - was diese gerade tun.
Eine weitere Neuentwicklung ist ein optisches Erkennungssystem: Wird mit dem Handy ein Bild einer Sehenswürdigkeit geschossen, gleicht Google das Bild mit Millionen von Bildern im Internet ab und liefert Informationen wie Name und Alter des Objekts, den passenden Wikipedia-Artikel und das beste Restaurant in der näheren Umgebung. In Zukunft soll dieser Abgleich von Bildern auch mit menschlichen Gesichtern funktionieren - sobald, so ein Sprecher, "das Problem mit der Privatspähre geklärt" sei.
Im Bezug auf diese präsentierte sich Vorstandschef Eric Schmidt Anfang Dezember als Bruder im Geiste Mark Zuckerbergs, als er der CNBC sagte: "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht gar nicht erst tun."
Um Google zu umgehen, steigen viele Szenegrößen inzwischen auf alternative Suchmaschinen um. "Ixquick.com" zum Beispiel, speichert keine Nutzerdaten, leitet Suchanfragen anonym an andere Suchmaschinen weiter und zeigt die besten Ergebnisse an.
Scheinbare Transparenz
Google hat, um für mehr Transparenz zu sorgen, jüngst das "Google Dashboard" online gestellt. Damit soll auf einer Seite zusammengefasst sein, was Google über eine Person weiß. Dort sollen auch Einträge lösch- und änderbar sein. Das funktioniert allerdings nur bei Usern, die einen Google-Accout haben oder bereit sind, sich zu diesem Zweck einen solchen zu erstellen.
Ob die Daten danach wirklich gelöscht sind, bleibt zweifelhaft. Denn, so schreibt Deinguterruf.de: Das Internet vergisst nichts!