Sie wollen Versuche am lebenden Tier abschaffen. Aber sind die nicht eine wichtige Grundlage des medizinischen Fortschritts, von dem wir alle profitieren?
Das wird immer behauptet. Ich sehe das kritisch. Ich bin überzeugt, dass sich die medizinische Forschung sogar besser entwickelt hätte, wenn schon vor 50 oder 100 Jahren Tierversuche verboten worden wären. Dann wären nämlich die Forschungsgelder, die heute überwiegend in Tierversuche investiert werden, in die tierversuchsfreie Forschung geflossen - mit entsprechenden Ergebnissen.
Inwiefern mit besseren Ergebnissen?
Die heutige Medizin ist ausgesprochen erfolglos. Obwohl mit einem gigantischen Aufwand geforscht wird. Die Entwicklung eines neuen Medikaments kostet rund eine Milliarde Euro. Und fast nie ist ein wirklicher Durchbruch oder eine Neuerung dabei. Über "Durchbrüche" wird immer dann geschrieben, wenn ein Medikament bei Mäusen wirkt. Dass es beim Menschen nicht wirkt, weil die Ergebnisse nicht übertragbar sind - das steht dann nicht mehr in den Zeitungen. Der Mensch ist nun mal keine Maus.
Stattdessen kann man etwa mit Kulturen aus menschlichen Zellen experimentieren oder mit Computermodellen, die mit Daten aus dem spezifisch menschlichen Stoffwechsel arbeiten. Solche Verfahren liefern nicht nur bessere Ergebnisse, sie kosten auch weniger, wenn sie erst einmal etabliert sind. Und sie sind oftmals sehr viel schneller, etwa im toxikologischen Bereich. Man kann mit automatisierten Analysemethoden in kürzester Zeit viele verschiedene Substanzen testen. Das funktioniert im Tierversuch nicht.

Welche konkreten Erfolge gibt es schon?
Da ist der Pyrogentest, bei dem Impfstoffe auf Fieber auslösende Substanzen getestet werden. Früher hat man dafür Kaninchen verwendet. Anfang der 90er Jahre wurde eine Methode entwickelt, bei der menschliches Blut eingesetzt wird. Die ist jetzt auch in der EU anerkannt. Und schon in den 80er Jahren ist es gelungen, monoklonale Antikörper im Reagenzglas herzustellen. Das sind Substanzen, die für die Krebsforschung wichtig sind. Früher wurden dafür Mäusen Krebszellen in die Bauchhöhle gespritzt, wo sich die benötigten Antikörper entwickelten. Das war für die Tiere extrem qualvoll. Und man kann heute die Ätzwirkung von Chemikalien testen, ohne dass dafür Kaninchen und Meerschweinchen leiden müssen. Dazu werden die Schichten der Haut mit menschlichen Zellen im Reagenzglas "nachgebaut". Um nur drei Beispiele zu nennen.
Warum setzen sich diese Methoden nicht durch, wenn ihre Vorteile so offensichtlich sind?
Pharmaunternehmen und chemische Industrie haben zwar Interesse an tierversuchsfreier Forschung, weil sie kostengünstiger sind, und sie tragen auch viel zu ihrer Entwicklung bei. Aber diese Unternehmen haben andererseits auch ein starkes Interesse, den Tierversuch beizubehalten, weil er für sie eine Alibifunktion hat. Wenn mit ihren Substanzen nach der Markteinführung etwas schiefgeht, können sie sich darauf berufen, alle vorgeschriebenen Tests mit Tieren gemacht zu haben. So sichern Sie sich rechtlich ab. Außerdem fehlt es einfach an staatlicher Förderung der tierversuchsfreien Forschung.
Welche Rolle spielen die Anerkennungsverfahren?
Tierversuchsfreie Methoden müssen ein langwieriges und rigoroses Verfahren durchlaufen, die sogenannte Validierung. Das ist sehr aufwändig, kostet viel Geld und Zeit. Und absurderweise werden die tierversuchsfreien Methoden auch noch an den Ergebnissen der Tierversuche gemessen, die sie ersetzen sollen. Die sind oft ungenau, schlecht reproduzierbar oder einfach falsch - weil Tiere keine Maschinen, sondern Individuen sind, die unterschiedlich auf Substanzen reagieren. So kommt es, dass alternative Methoden nicht anerkannt werden, obwohl sie nachweislich bessere Ergebnisse bringen. Tierversuche dagegen wurden nie einer vergleichbar rigorosen Prüfung unterzogen. Die werden einfach so in Gesetze aufgenommen, weil sie zum Standard gehören. Ob sie was taugen, darüber wird gar nicht nachgedacht.
Warum handelt die Politik so zögerlich?
Dafür sorgen Lobbyisten an den Schaltstellen in Brüssel, Berlin und anderswo, etwa Versuchstier-Züchter, Futtermittel- und Käfighersteller und vor allem die Vertreter von tierexperimentellen Forschungseinrichtungen und Institutionen. Großen Einfluss hat zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Tierversuche in erheblichem Umfang fördert.
Warum steigen die Forscher an den Universitäten nicht auf tierversuchsfreie Methoden um?
Sie müssen sich vorstellen, dass diese Leute ihre ganze Karriere auf einen bestimmten Tierversuch aufgebaut haben. Den führen sie jahrzehntelang durch. Und irgendwo in der Welt sitzen noch ein paar andere Forscher, die an der gleichen Sache arbeiten. Das ist ein kleine, elitäre Gemeinschaft. Dann veröffentlichen sie ihre Ergebnisse und zitieren sich gegenseitig. Ob dabei etwas Sinnvolles herauskommt, interessiert überhaupt nicht. Es geht nur ums Veröffentlichen und darum, Forschungsgelder einzustreichen. Wenn Sie so jemandem sagen, er solle umsteigen auf Zellkulturen, lacht er Sie aus. Wenn er das täte, würde er ja zugeben, dass er jahrzehntelang auf dem falschen Dampfer war.
Schon 1959 forderten die Biologen William Russell und Rex Burch, Tierversuche durch Ersatz (Replacement), Verfeinerung (Refinement) und Verringerung (Reduction) einzuschränken. Heute ist diese Strategie als 3R-Prinzip weithin bekannt und akzeptiert ...
Wir, die Ärzte gegen Tierversuche, lehnen Tierversuche aus wissenschaftlichen und aus ethischen Gründen ab. Das tut die 3R-Philosophie nicht. Sie akzeptiert die Methode Tierversuch als etablierte Standardmethode, die nur etwas modifiziert werden soll. Sicherlich kann man so die Zahl der "verbrauchten" Tiere senken. Aber das greift nicht die Wurzel des Problems an. Die Wurzel des Problems ist der Tierversuch als Methode.