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Tsunami in Japan Eine Katastrophe und mehrere Krisen

Das Beben vor Japan wirft nicht nur die Frage nach dem Ende des Atomzeitalters auf. Es geht auch um das grundlegende Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Ein Kommentar von Torsten Schäfer

Der japanische Nuklear-Unfall ist nicht beispiellos, wie es in manchen Berichten heißt. 1979 kam es im US-Reaktor Three Mile Island zu einer teilweisen Kernschmelze. 1986 explodierte das Kraftwerk in Tschernobyl, womit die bisher größte Atomkatastrophe begann. In Europa wäre es 2006 fast so weit gekommen: Im schwedischen Kraftwerk Forsmark trennte ein Kurzschluss den Reaktor vom Stromnetz. Das Kühlsystem versagte, da zwei Stromgeneratoren ausfielen. Den Experten gelang es, sie manuell zu starten - sieben Minuten vor der einsetzenden Kernschmelze, wie der frühere Chef-Konstrukteur des Kraftwerksbetreibers der Süddeutschen Zeitung erklärte.

Europa stand vor dem GAU, was vergessen gegangen ist. Japan kämpft nun mit dem Schlimmsten - und hat gleichzeitig mehrere andere Krisen zu meistern: Neben die Atomkatastrophe tritt eine schwer zu bewältigende, humanitäre und logistische Aufgabe: Verschüttete zu suchen, Hunderttausende Menschen zu versorgen - und später neue Wohnungen für sie zu finden. Diese soziale Dimension unterscheidet Fukushima von Three Mile Island und Tschernobyl: In beiden Fällen lebten viel weniger Menschen im Umkreis der Kraftwerke. Und in beiden Fällen war die Infrastrukur für Rettungseinsätze noch intakt.

Tsunami in Japan: Die Gefahr durch radioaktive Strahlung ist unsichtbar, aber konkret
Die Gefahr durch radioaktive Strahlung ist unsichtbar, aber konkret
© REUTERS/Kim Kyung-Hoon

Japans Krisen, die atomare und die humanitäre, lösen internationale Fragen aus: etwa, ob die Atomkraft weiter ihre Berechtigung hat. In vielen Staaten beginnt nun eine neue Debatte. Die Schweiz hat bereits angekündigt, die Pläne für neue Atomkraftwerke zurückzuziehen. Und die deutsche Regierung will die Kraftwerke überprüfen und die 2010 verabschiedete Verlängerung der Laufzeiten vorerst aussetzen.

Durch den Tsumani drohen auch ökonomische Gefahren – in Japan und weltweit: Japan ist hoch verschuldet und wird nun weitere Kredite aufnehmen müssen. Das Land ist wirtschaftlich bereits schwer gebeutelt: durch Deflation, also die Verbindung aus kriselnder Wirtschaft und sinkenden Preisen, ausbleibenden Konsum – und fehlendes Wachstum. Der große Boom liegt rund 20 Jahre zurück, seitdem dümpelt Japans Wirtschaft vor sich hin. Wenn nun die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt nochmals zurückgeworfen wird, werden Folgen für die Weltwirtschaft nicht ausbleiben. Sie sind – wie so vieles derzeit – noch nicht absehbar.

Ein weiteres Problem betrifft wiederum nur Japan: Das Land befindet sich schon seit geraumer Zeit in einer schweren politischen Lage. Das Vertrauen in die Parteien ist erodiert, unter anderem durch Korruptionsskandale. Seit 2005 gab es fünf neue Regierungschefs, und in der aktuellen Regierung besetzen Minister teils mehre Ressorts. Premier Naoto Kan ist von einer Spendenaffäre belastet und hat aus dem gleichen Grund gerade den Außenminister verloren. Ob Kan nun in dieser schwierigsten Phase Stabilität geben kann, ist fraglich. Dass die Regierung teils offen zugibt, über die Situation in den Atomkraftwerken nichts zu wissen, bestärkt nicht den Glauben an den Premier.

Eine Frage, die sich nun stellt, ist grundlegend sowie global. Und rückt die Umweltpolitik in den Mittelpunkt aller Betrachtungen: Wird der nukleare Unfall dazu führen, dass das Vertrauen in die technische Beherrschung jeglicher Naturgefahren überdacht wird? Oder anders gesagt: dass das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur nicht nur kurz und laut diskutiert, sondern auch – und wenn nur stellenweise – neu ausgerichtet wird? Dies hätte dann mit einer besseren internationalen Klimapolitik zu tun. Mit einer anderen Naturschutzpolitik, dem Kampf gegen die Überfischung, das Waldsterben – und gegen vieles mehr.

Das klingt nach frommen Wünschen und oft wiederholten Forderungen. Doch genau diese Fragen stellen sich viele Menschen nun neu. Lerneffekte sind umso größer, je stärker die Krise ist - diese Erkenntnis könnte Hoffnung geben. Die Finanzkrise hat eher das Gegenteil bewiesen. In vielen westlichen Atomstaaten veränderte sie allerdings nicht das Alltagsleben, blieb abstrakt. Nukleare Strahlung trifft Menschen dagegen direkt – über weite Distanzen und für lange Zeit. Und Reaktorblöcke gibt es 442 – in 30 Ländern und oft in dicht besiedelten Regionen. All das könnte einen Unterschied ausmachen. Und womöglich doch ein Umdenken in einigen Staaten auslösen.

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