Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. 2003 musste die hiesige Wirtschaft Öl, Gas, Metalle und andere Rohstoffe im Wert von 54 Milliarden Euro importieren. Schon fünf Jahre später bezahlte sie mehr als das Doppelte für die Einfuhren, berechnet die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Demnach kauften deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt 2008 über 100 Millionen Tonnen Erdöl, 44 Millionen Tonnen Eisen und eine Million Tonnen Kupfer (Erz und Konzentrat). Zwar brachen Nachfrage und somit die Preise während der Wirtschaftskrise kurzzeitig ein, doch seit der zweiten Jahreshälfte 2009 steigen sie wieder an.
Geht der Preisanstieg weiter, müssen alternative Wege der Ressourcenbeschaffung erschlossen werden. Und Müllhalden erscheinen da zunehmend als mögliche günstigere Rohstoffquelle im eigenen Land: Früher landeten Elektrogeräte wie Kühlschränke, Plattenspieler und Bügeleisen unsortiert im Müll. Sogar alte Autos verrotten auf Deponien. Je älter die Geräte sind, desto mehr Rohstoffe enthalten sie in der Regel. Experten vom ATZ Entwicklungszentrum in Sulzbach-Rosenberg schätzen, dass auf deutschen Müllkippen rund 180 Millionen Tonnen Kunststoffe, 80 Millionen Tonnen Eisenmetalle und 13 Millionen Tonnen sogenannter Nicht-Eisenmetalle wie Kupfer und Aluminium liegen.

Der Kupferpreis stieg um über 300 Prozent
Die Idee ist bestechend. Doch so simpel ist die Lösung nicht. Noch übersteigen aber die Kosten des Rückbaus den Wert der wieder gewonnenen Rohstoffe. Stefan Gäth, Professor für Abfall- und Ressourcenmanagement an der Universität Gießen, schätzt sie auf 30 bis 40 Euro pro Kubikmeter Müll. Dazu komme noch der Transport von der Halde zum Recycling-Unternehmen. Je stärker der Müll sortiert und in einzelne Bestandteile zerlegt werde, desto mehr koste die Aufbereitung.
Im baden-württembergischen Hechingen hat Gäth mit Doktoranden eine Deponie untersucht. Zunächst haben die Forscher die Daten der dortigen Abfallwirtschaft ausgewertet, dann haben sie Probebohrungen durchgeführt. Das Ergebnis: Auf der Deponie liegen Eisen- und Nichteisenmetalle im Wert von 27 Millionen Euro. Dem stehen Kosten von 60 bis 80 Millionen Euro gegenüber, wollte die Gemeinde die Halde rückbauen. Dafür, sagt Gäth, entfielen Nachsorgekosten für die Deponie. "Die Frage ist: Dichten wir eine Deponie ab und bezahlen für die Nachsorge mindestens 30 Jahre lang rund eine Million Euro im Jahr - oder warten wir, bis sich der Rückbau in zehn bis fünfzehn Jahren lohnt", erklärt Gäth.
Langfristig höhere Preise auf den Rohstoffmärkten, gerade für Metalle und Erdöl, steigern den Wert des Mülls. Das Hamburgische Weltwirtschafts-Institut dokumentiert, wie stark sich viele Industriemetalle innerhalb von zehn Jahren verteuerten: Der monatliche Durchschnittspreis für Eisenerz stieg um über 400 Prozent - von 34 Euro pro Trocken-Metrische-Tonne im Mai 2001 auf 163 Euro im Mai 2011. Der Wert von Kupfer und Gold stieg immerhin über 300 Prozent in den vergangenen zehn Jahren.
Auch Erdöl (Brent) kostet deutlich mehr als vor zehn Jahren: 78 Euro statt damals 33 Euro pro Barrel.
Kunststoffmüll: Brennstoff der Zukunft
Gerhard Rettenberger hat den Ölpreis stets im Blick, wenn er Müll bewerten will. Rettenberger ist Professor für Abfalltechnik an der Fachhochschule Trier und sagt, vieles hänge davon ab, wie sich die Preise für Brennstoffe entwickeln. Denn Kunststoffe, Holz und Textilien machten 20 bis 30 Prozent der Siedlungsdeponien aus – Metalle dagegen nur zwei bis drei Prozent. Paradox daran: Momentan müsse man für die Entsorgung dieser Stoffe sogar bezahlen.
Wenn der Ölpreis aber weiter steigt, könnten Alternativen lukrativer werden, auch wenn man sie aus Deponien holen, waschen und trocknen muss. "Dass das in den nächsten 20 Jahren passiert, ist keine unvernünftige Annahme", sagt Rettenberger. Zudem komme es darauf an, wie sich die Aufbereitungsmöglichkeiten für Schlacke, in Kleinstmengen verarbeitete Metalle und andere feine Anteile im Müll entwickeln. Noch müsse man diesen Müll nach der Trennung wieder deponieren.
"Das Salz aus der Suppe holen"
Es ist nicht verwunderlich, dass die Recycling-Industrie die Untersuchungen der Wissenschaftler mit Interesse verfolgt. Remondis, ein Unternehmen mit Sitz in Lünen, Nordrhein-Westfalen, kümmert sich für Gemeinden und Industriebetriebe um die Entsorgung von Abfällen und recycelt diese auch. Für Remondis lohne sich der Rückbau von Deponien erst, wenn es Kunststoff ertragreich verwerten könne, sagt Pressesprecher Michael Schneider. Es sei technisch sehr aufwendig und teuer, kleinste Mengen an Metall beispielsweise aus Handys zurück zu gewinnen. "Versuchen Sie mal, das Salz aus der Suppe zu holen, das ist vergleichbar schwierig", sagt er.
Auch wenn es noch einige Jahre dauert, bis es sich wohl wirtschaftlich lohnen wird, aus ökologischer Sicht spricht viel dafür, alte Mülldeponien auszuheben. Wenn sich Essensreste und andere organische Stoffe aus dem Haus- und Gewerbemüll zersetzen, entsteht Deponiegas. Eine Tonne Siedlungsabfall produziere bis zu vier Tonnen CO2, sagt Rettenberger. Giftige Stoffe wie Farben, Batterien und Asbest, die noch im Abfall lagern, könnten endlich ordnungsgemäß entsorgt werden. Außerdem spart Recycling Energie: Wird zum Beispiel Aluminium statt aus dem Rohstoff Bauxit aus hochwertigem Aluschrott hergestellt, wird 95 Prozent weniger Energie verbraucht, so das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Die Energiequelle Müll ist endlich. Lediglich ein bis zwei Jahre des deutschen Energie- und Rohstoffbedarfs könnten die Deponien decken, schätzt Rettenberger. "Es könnte aber auch eine alte Deponie die benachbarten Industriebetriebe über 20 Jahre mit Brennstoffen versorgen", sagt er.
Eine solche Nutzung des Mülls passte durchaus zu den regionalen Energiekonzepten, wie sie gerade an Bedeutung gewinnen: Vielerorts gründen sich Stadtwerke, viele Gemeinden und auch einzelne Bürger wollen ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und den großen Energieversorgern reduzieren. Bewahrheiten sich die Prognosen der Forscher, könnten sie bald von der Energiequelle Müll profitieren. Rettenbergers Untersuchungen deuten derzeit darauf hin, dass der Wert, der im Müll schlummert, die Forscher noch positiv überraschen könnte.