Die Elbphilharmonie sollte Hamburg ursprünglich 77 Millionen Euro kosten, nun sollen es 789 Millionen werden; der Flughafen Berlin-Brandenburg dürfte am Ende bei mehr als fünf Milliarden Euro landen, vielleicht auch bei sechs oder acht. Die Bauwut grassiert - jedoch weit über diese Skandalprojekte hinaus: In Deutschland entstehen jährlich einige Hunderttausend Quadratmeter Handelsfläche, mehrere Millionen Quadratmeter Büros und mehr als 200 000 Wohnungen!
Selbst das sei viel zu wenig, heißt es. Dabei haben wir in Deutschland bereits mehr als 40 Millionen Wohnungen mit 177 Millionen Räumen. Und rechnerisch bauen wir, was die Wohnfläche anbelangt, jedes Jahr eine Stadt von der Größe Bonns neu. Die Einwohnerzahl jedoch stagniert. Genau wie vor 20 Jahren leben auch heute gut 80 Millionen Menschen in Deutschland.
Vermutlich gut 20 Prozent aller Energie verbrauchen wir für Heizen und Warmwasser (die genaue Zahl ist umstritten). Zwar modernisieren wir Heizungen und dämmen Häuser. Was wir aber dadurch an Effizienz gewinnen, verlieren wir durch die Ausweitung der Fläche pro Mensch: Der Verbrauch von Raumwärme ändert sich trotz aller Dämmerei kaum.
Die Industrie verschafft Bauherren ein gutes Gewissen: Sanierung lohne nicht, man müsse alte Häuser abreißen und vermeintlich ökologische Passivhäuser neu bauen. Eine ganzheitliche Bilanz, die nicht nur die Energie fürs Heizen berücksichtigt, sondern auch jene, die für Abriss und Neubau aufgewendet werden muss, für Material und Transport, fällt aber eher zugunsten von Altbausanierung aus.
Neubau ist selbst bei Passivhäusern nur scheinbar die ökologischere Lösung. Wir müssen die Grenzen des Wachstums endlich auch beim Bauen erkennen.
Aus Duisburg wird Düsseldorf-Nord
Politiker lieben den ersten Spatenstich. Neubau wird bevorzugt, auch in der Kultur. Derzeit werden gleich drei Bauhaus-Museen geplant: eines in Dessau für rund 25 Millionen Euro; eines in Weimar, nur 120 Kilometer entfernt, für 22 Millionen; und in Berlin soll das Bauhaus-Archiv einen Neubau für 34 Millionen Euro erhalten.
In meiner Zeit als Architekturverleger führten Architekten mich durch ihre neuen Häuser, durch die Pinakothek der Moderne in München, das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart und das Phaeno in Wolfsburg. Doch genau da keimten in mir die Zweifel. Museumsleiter erzählten, wie sie Millionen von Fördermitteln für ihre Neubauten von Bund, Land und EU bekamen - aber oft vergebens um wenige Hunderttausend Euro rangen, damit sie ihre Altbauten pflegen und ausstatten konnten.
Auf ähnliche Weise entstehen neue Büros, Gewerbeparks und Wohnsiedlungen. Neubau ist ein Dogma - das ich ins Wanken bringen möchte. Auch deswegen verkaufte ich 2013 meinen Architekturverlag und begann die Suche nach Alternativen.
In meiner Streitschrift "Verbietet das Bauen!" führe ich 50 Werkzeuge auf, die Neubauten überflüssig machen: von Altbausanierung bis Leerstand-Management, von Imagekampagnen für scheinbar randständige Wohnorte ("aus Duisburg wird Düsseldorf-Nord") bis hin zu ganz neuen Formen der Wohnraumnutzung.
Besonders wertvoll sind diese Werkzeuge angesichts des Zuzugs der Flüchtlinge: Die benötigen nämlich sofort neuen Wohnraum und nicht erst in einem Jahr. Darum brauchen wir für sie keinen Neubau, sondern wir sollten vorhandene Räume nutzen und Leerstand beseitigen. So stehen allein in den 19 größten deutschen Bürostandorten acht Millionen Quadratmeter Büros leer, hinzu kommen eine Million ungenutzter Wohnungen und darüber hinaus Hunderte Fabrikhallen und Kasernen - genug für mehrere Millionen Flüchtlinge.
Studenten ins Restaurant
Eine gleichbleibende Anzahl von Menschen braucht hierzulande immer mehr Platz, Jahr für Jahr steigt die Wohnfläche pro Person - auf inzwischen 45 Quadratmeter. In den Städten wohnt in jedem zweiten Haushalt einer allein.
Wir haben nicht zu wenig, sondern bereits zu viele Häuser. Sie würden ausreichen, wenn wir anders wohnten. Man muss nicht gleich das Bett teilen wie bei den Schlafburschen der Gründerzeit, als jede Matratze in jeder Wohnung rund um die Uhr belegt war. Aber eine großzügige Küche mit anderen zu teilen kann Spaß machen. Und einen Gästeraum abwechselnd zu nutzen, muss man nicht als Einbruch in seine Privatsphäre betrachten. Niemandem soll etwas vorgeschrieben werden, aber es lohnt sich, über gemeinschaftliche Wohnformen nachzudenken.
Wir können unsere Häuser besser nutzen, erst recht in schrumpfenden Städten. Doch sogar dort, wo Menschen wegziehen, wird neu gebaut, zum Beispiel in Cottbus: Die Stadt hat seit 1991 rund 45 000 Einwohner verloren. Um den Leerstand zu mindern, wurden dort im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends 9000 Wohnungen abgerissen. Wurde darum auf das Bauen verzichtet? Mitnichten: Im gleichen Zeitraum entstanden dort über 1000 Wohnungen neu.
Clevere Ideen machen Neubauten überflüssig
So sollte die Universität Amsterdam eine neue Mensa bekommen, doch dafür hätten Altbauten abgerissen werden müssen. Stattdessen kam Architekt Frans van Klingeren auf die Idee, dass die Studenten in den Restaurants der Altstadt essen gehen sollten, wofür sie Zuschüsse erhielten. Auf diese Weise entwarf er eine "virtuelle Mensa" ohne Abriss und Neubau.
Oder die "TheaBib" Karlsruhe, die Bibliothek im Theater: Das Karlsruher Institut für Technologie suchte 150 Arbeitsplätze für seine Studierenden. Den Raum fand man im Foyer des Staatstheaters. Tagsüber stand es leer, doch jetzt lesen hier die Studierenden, und abends wird der Raum wieder zum Theaterfoyer.
Neubauten? Keine mehr!
Sosehr es mich als Architekturliebhaber schmerzt: Ich bin davon überzeugt, dass wir uns vom Neubau verabschieden müssen. Konsequent, ausnahmslos. Nur wenn wir uns vollkommen auf eine Welt ohne Neubauten einlassen, werden wir kompromisslos über unsere vorhandenen Häuser nachdenken.
Den Leerstand bei Büros und Wohnungen beseitigen, bei Kirchen und Kasernen ebenso. Übertrumpfen wir den Nachbarn nicht länger mit einer neuen Philharmonie, sondern mit Liebe und Zuwendung zu unserer längst gebauten Stadt.
Denn die Forderung nach einem Bauverbot richtet sich weniger gegen etwas, sondern kämpft für etwas: für unsere Altbauten und das kulturelle Erbe, für lebendige Straßen und belebte Städte.