Sie stehen auf einer Anhöhe in Nordhessen, Bürgermeister Bernard Klug und Windparkbetreiber Stephan Wenning, und betrachten ihre Schätze, die Windräder auf den Hügeln ringsum: "Das war die erste Mühle", sagt Wenning, 1996 gebaut, Nabenhöhe 65 Meter, jedes der drei Rotorblätter 22 Meter lang. Damals war das eine ganze Menge, heute sind die größten mehr als doppelt so hoch. Es ist windstill, die Sonne scheint. Wenning sind Stürme lieber. "Da brummt der Trafo", sagt er.
Die Anlagen bei Trendelburg produzieren im Jahr 30 Millionen Kilowattstunden, mehr als anderthalbmal so viel, wie die Bürger vor Ort verbrauchen. In Sachen Ökostrom hat der Ort früh vieles richtig gemacht. Schon in den 1990er Jahren, als
erneuerbare Energie eher als idealistisches denn als lukratives Projekt galt, pries Bürgermeister Klug seine Hügel möglichen Investoren an. Wenning ließ sich begeistern und entwarf ein Teilhaber-Modell; Mitstreiter warb er abends in der Kneipe. "5000 Mark kostete damals ein Anteil." Es kam so viel Geld zusammen, dass den Gesellschaftern heute 14 Windräder gehören. Die Betreiber verdienen am Wind, die Stadt kassiert Gewerbesteuer, etwa 100.000 Euro jährlich. Für eine Gemeinde von gerade einmal gut 5000 Einwohnern ist das eine Menge - mehr als ein Fünftel der gesamten Gewerbeeinnahmen.
Und doch sind Klug und Wenning unzufrieden. Denn nach der Einspeisung ins Netz fließt der Strom den beiden erst einmal davon, und mit ihm das Geld. Die Betreiber der erneuerbaren Energiequellen in Trendelburg haben sich verpflichtet, ihren Strom an den Stromvertrieb Eon Mitte zu verkaufen, eine Tochter des Energiekonzerns Eon, für zurzeit 9,1 Cent pro Kilowattstunde für Windkraft. Danach hat Trendelburg nichts mehr von seinem Wind, seinem Standort, es ist raus aus dem Geschäft, bevor es richtig angefangen hat. Denn eine andere Eon-Tochter, Eon Netz, besitzt die Konzession für das Leitungsnetz. Zwar zahlt das Unternehmen eine Konzessions abgabe in die Gemeindekasse, etwa 150.000 Euro im Jahr, je nach Auslastung des Netzes. Aber bei einem Strompreis von mehr als 20 Cent plus Umsatzsteuer ist das für die Gemeinde ein sehr viel schlechteres Geschäft als für die Netzbetreiber.
Das Problem betrifft zahllose Kommunen. Um die öffentliche Verschuldung zu bremsen, hatten viele Lokalpolitiker in den 1980er und 1990er Jahren ihre Stadtwerke aufgelöst und verkauft oder verpachtet, was vorher in kommunaler Hand war: nicht nur die Stromversorgung, auch Krankenhäuser, die Abfall entsorgung, den Nahverkehr, Messehallen, Wasser, Abwasser. Oft eine kurzsichtige Entscheidung. Denn mit der Privatisierung gingen politische Gestaltungsmöglichkeiten verloren. Die Verträge waren oft undurchsichtig, die finanziellen Entlastungen für die Gemeinden selten so groß wie erhofft. Dafür stiegen häufig die Preise für die Kunden. Beispiel Strom: Die Verbraucherpreise in Deutschland verdoppelten sich zwischen 2002 und 2008; im selben Zeitraum verdreifachten die Energiekonzerne Eon, Vattenfall, RWE und EnBW ihre Gewinne.
Überschüsse von gut geführten kommunalen Stadtwerken hingegen schaffen Spielräume: für Schulen, Kindergärten, Bibliotheken, Bäder. In den vergangenen Jahren haben erste Kommunen deshalb ihre Privatisierungen rückgängig gemacht. Mehr als 40 Stadtwerke wurden seit 2007 in Deutschland neu gegründet, zum Beispiel die Stadtwerke Weserbergland, die Stadtwerke Münsterland und das Regionalwerk Bodensee; mehr als 100 Konzessionsverträge mit privaten Energiekonzernen gekündigt. In Hamburg steht ein Volksentscheid zum Rückkauf der Stromnetze an. Der Trend betrifft nicht nur Deutschland: Schlagzeilen machte Paris, das 2010 die Wasserversorgung nach zweifelhaften Erfahrungen mit dem global agierenden Dienstleister Veolia rekommunalisiert hat.
In deutschen Gemeinden ist die Diskussion hochaktuell. Bis 2015 laufen pro Jahr fast 1000 Konzessionen für die Energieversorgung ab und werden neu vergeben. Eine Untersuchung der Universität Leipzig
bei Kommunen zum Thema Rekommunalisierung zeigt, dass 36 Prozent über Rückkäufe privater Unternehmensanteile nachdenken. Weitere 41 Prozent erwägen Kooperationsmodelle. Auch Bernhard Klug sieht die Gelegenheit, verlorenen Einfluss zurückzugewinnen. Er setzt auf die Zusammenarbeit mit 23 anderen Kommunen der Umgebung. Man verhandelt unter anderem mit Eon, das eine Minderheitsbeteiligung von 49 Prozent behalten soll. Ob die Stadtwerksgründung gelingt, steht noch nicht fest. In den beteiligten Kommunen leben mehr als 200.000 Menschen, die über Hunderte Kilometer Leitungen mit Strom versorgt werden. Eine Investition dieser Größenordnung birgt Risiken; die Wartung der Hochspannungsmasten und des Leitungsnetzes ist aufwendig und braucht Fachkräfte und Kapital.
Welche Vorteile die Eigenregie bieten kann, zeigt Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Die dortigen Stadtwerke generieren mit fast 400 Beschäftigten einen Umsatz von mehr als 65 Millionen Euro im Jahr und versorgen mit fünf Millionen Euro Direktinvestitionen auch die Handwerker vor Ort mit Aufträgen. Dabei ist das kommunale Unternehmen in Greifswald sogar für weniger Bürger zuständig, als es der Zusammenschluss in Nordhessen wäre.
Bernard Klug, seit mehr als 20 Jahren Bürgermeister von Trendelburg, liebt sein Amt, in dem er "betrachten kann, was ich
bewege". Der "Überzeugungstäter" hofft, dass er sich bei der Gründung des gemeinsamen Versorgungswerkes der 24 Kommunen durchsetzen kann - so wie es ihm bei den neuen Energien gelungen ist. Vier Wasserkraftwerke arbeiten in Trendelburg, die kleine Diemel gibt hier wohl fast alle Energie ab, die sie hat. Hinzu kommen Solarkollektoren auf zahlreichen Gebäuden und zwei Biogasanlagen. Es sind viele Puzzlesteine, die für lokale Umwelt- und Lebensqualität sorgen; ein Großkonzern hätte sie vermutlich nicht im Auge.
Am kleinen Schwimmbad des Ortes zeigt Klug auf ein schwarzes Aggregat, den Wärmetauscher, der sich durch die Sonne aufheizt und die Wärme dann ans Wasser abgibt. So wird das Becken solar beheizt; nach fünf Jahren hatte sich die Investition amortisiert. Die Badegäste winken ihrem Bürgermeister zu. Es sind wenig mehr als ein Dutzend. Andere Kommunen hätten das Schwimmbad vielleicht privatisiert, und der Investor hätte es dann geschlossen, weil es nicht genug Umsatz bringt. Klug sagt: "Heute ist nicht so viel los. Aber das macht nichts."