Mit drei Mausklicks wird jeder Großstädter zum Biogärtner: Klick, heute werden Karotten gepflanzt, Klick, auf die freie Parzelle hinten rechts, Klick, die Samenkörner rieseln auf das Feld. Dann muss der Neugärtner warten und kann seine virtuelle Saat beobachten. Einen Tag später brechen die ersten Keimlinge durch die Erde, nach zwölf Tagen sind die Möhren reif. Sie können geerntet werden, wieder mit einem Mausklick - und sie werden, ganz real, in einer Gemüsekiste nach Hause geliefert.
Was klingt wie ein Ableger des Computerspiels Farmville, bei dem Millionen Nutzer über das soziale Netzwerk Facebook einen virtuellen Bauernhof bewirtschaften, ist im Grunde ein Biogemüse- und -obstmarkt im Internet: Dein Biogarten heißt das Portal, die Betreiber beziehen ihre Produkte von einem Biobauernhof bei Köthen in Sachsen-Anhalt und aus dem Bio-Großhandel. Sie verschicken zwei Mal pro Woche Paprika, Kohlrabi und Bananen an Haushalte und Büros in ganz Deutschland. Das Online-Säen ist dabei reine Spielerei: Das Gemüse wird nicht für jeden einzeln angebaut, sondern stammt aus den Beständen. Wer nicht warten will, bis die Saat reif ist, kann bei Dein Biogarten auch direkt bestellen, ohne Umweg über das virtuelle Gärtnern. "Unsere Idee war, den Usern ohne eigenen Garten zu zeigen, wie ihre Tomate wächst. Normalerweise lernen sie die ja erst im Supermarkt kennen", sagt Philipp von Sahr, einer der beiden Gründer von Dein Biogarten.
Ein bewährtes Vermarktungsmodell
Gemüsekisten gibt es in Deutschland schon lange, meist funktioniert das Angebot so: Jede Woche - oder auch alle zwei Wochen - steht vor der Haustür ein Paket, darin frisches Gemüse und Obst, im Frühjahr Radieschen, im Sommer Erdbeeren und im Herbst Lauch, je nachdem, was gerade auf den Feldern reifte, saisonal und regional, aber nicht unbedingt nach Biostandards angebaut. Seit Bioprodukte immer stärker nachgefragt werden, Supermärkte zu jeder Jahreszeit jede Frucht auch aus ökologischem Anbau anbieten und seit im Internet überregionale Händler wie Dein Biogarten auftreten, hat die Konkurrenz für die Kisten zugenommen - und viele Anbieter haben sich den Konsumentenwünschen angepasst.
"Regional heißt bei uns: aus Deutschland", sagt Sahr. "Natürlich wollen wir, dass die Mehrheit unserer Produkte aus dem Inland stammt." Im Winter bezieht er aber auch Paprika und Zucchini aus Marokko und Eisbergsalat aus Spanien. Sahr sieht das ganz pragmatisch: "Um die Jahreszeit wächst in Deutschland hauptsächlich Kohl, den finden nur Hartgesottene toll. Also machen wir Abstriche", sagt er. Den Transport zum Kunden übernimmt der Paketdienst der Deutschen Post, der wirbt, er arbeite CO2-neutral. Das heißt konkret: Abgase entstehen bei den Fahrten, um Emissionen anderswo zu senken, investiert der Dienst aber in Klimaschutzprojekte. "Für den Transport ist unser Standort sehr günstig", sagt Sahr. In einem Radius von 500 Kilometern seien die meisten deutschen Städte von Sachsen-Anhalt aus gut zu erreichen.
Aus Bio-Landwirtschaft stammen alle Produkte, die Online-Händler wie Sahr in solchen Gemüsekisten anbieten. Aber wie viel Ökologie bleibt übrig, wenn Tomaten aus Israel oder Paprika aus Marokko importiert und dann in Deutschland verschickt werden? Bio sei immerhin besser als konventionell, auch bei Produkten, die außerhalb Europas wachsen. Am besten aber seien Biolebensmittel aus der Region, das sagen Agrarwissenschaftler und Experten von Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace. Am allerbesten sei es, saisonale Obst- und Gemüsesorten zu essen. Am Ende kommt es also darauf an, auf welche Produkte der einzelne Verbraucher im deutschen Winter verzichten kann oder will.
Bei Birgit Graf sind das Tomaten. Seit elf Jahren beliefert Graf Kunden im Raum Panten, Mölln, Ratzeburg und im östlichen Hamburg mit ökologischem Gemüse, Obst und mit Naturkost. Die Wege sind kurz, pro Kunde legt der Fahrer im Schnitt 1,6 Kilometer zurück. Vor Weihnachten legte Graf ihren Kunden als kleinen Leckerbissen Tomaten aus Italien ins Paket - und bekam einige Beschwerden. "Regionalität steht bei mir an oberster Stelle. Und offenbar kommen die Kunden deshalb zu mir", sagt sie.
Transport und Lagerung in Kühlhäusern sind nie klimaneutral
Graf arbeitet hauptsächlich mit Höfen aus dem Kreis Lauenburg in Schleswig-Holstein zusammen, auch im Winter. "Porree steht im Januar noch auf dem Acker. Und die Lagertechnik ist in den vergangenen Jahren viel besser geworden, Äpfel beispielsweise kann man inzwischen oft bis zur neuen Ernte lagern." Auch das kann allerdings sehr energieintensiv sein, wenn in Kühlhäusern gelagert wird. Honig und Lammfleisch kauft Graf ebenfalls in der Region. Ganz ohne Zukäufe kommt aber auch sie nicht aus: Für stillende Mütter, die keinen Kohl essen sollen, hat sie derzeit Fenchel aus Italien im Angebot. Auch Bananen fragen viele Mütter nach. "Die Grenze ist für mich überschritten, wenn Biospinat aus Thailand eingeflogen wird", sagt sie.
Wer sich bei Dein Biogarten dann doch zumindest auf deutsches Gemüse beschränken will, kann dies mit zwei Mausklicks tun: Bereits bepflanzte Parzellen werden so planiert - und man kann statt Paprika aus Marokko Karotten aus Deutschland beim Wachsen zusehen. Wer braucht schon Paprika.